Einst Braun­schweigs bedeu­tendste Flanier­meile

Steinweg nach Osten mit Staatstheater, um 1910. Foto: Privatbesitz

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Folge 31: der Steinweg

Der Steinweg ist einer der markanten Straßen­züge der Braun­schweiger Innen­stadt. Denn er zielt auf die Schau­front des Staats­thea­ters und bildet somit eine Sicht­achse. Diese existiert seit der Errich­tung des „Großen Hauses“ in den Jahren 1859–1861. Gleich­zeitig lenkt der Steinweg den Verkehr aus dem östlichen Ringge­biet mitten in das histo­ri­sche Zentrum: Von seiner Einmün­dung auf den Bohlweg geht der Blick nach Westen auf die nahege­le­gene Burg Dankwar­derode. Hinter dem Theater­ge­bäude setzt sich die Achse mit der Jaspe­r­allee nach Osten hin fort.

Das Steintor stand in der Sicht­achse

Steinweg nach Osten mit Staats­theater. Foto: E. Arnhold

Bis zu seinem 1771 erfolgten Abbruch stand im Blick­punkt des Stein­weges ein hoch aufra­gendes Stadttor – das Steintor. Es gehörte neben dem Fallers­leber Tor zu den beiden Toran­lagen in der östlichen Befes­ti­gung des einstigen Weich­bildes Hagen. Dort war noch zu Lebzeiten Heinrichs des Löwen in den späten 1170er Jahren eine Stadt­mauer errichtet worden. Heinrich der Löwe hatte die Braun­schweiger Teilstadt um 1160 gegründet, der Steinweg war eine ihrer prägenden Straßen­züge. Die lineare Straßen­füh­rung zeugt wie diejenige der Fallers­le­ber­straße von der planmä­ßigen Stadt­an­lage des Weich­bildes schon vor 850 Jahren.

Im Gegensatz zum Bohlweg, dessen Straßen­belag ursprüng­lich aus Holzbalken oder eben Bohlen bestand, verfügte der Steinweg vermut­lich schon früh über eine Stein­pflas­te­rung. Sehr wahrschein­lich ist damit ist seine Namens­ge­bung herzu­leiten – genauso wie die Bezeich­nung der Stein­straße in der Altstadt auf einen entspre­chend frühen festen Belag hinweist. Älteste überlie­ferte Bezeich­nungen des Stein­weges im Hagen sind „via lapidea“ (1239) und „upme stenweghe“ (1307).

Wie der Bohlweg entwi­ckelte sich der Steinweg seit den Gründer­jahren nach 1870 zu einer Flanier­meile mit zahlrei­chen Geschäften, Gasthäu­sern und Hotels. Dort waren sicher­lich die Nähe des damaligen Hofthea­ters und auch zur herzog­li­chen Residenz ausschlag­ge­bend. In renom­mierten Häusern wie Café Lück, Park-Hotel oder Zentral­hotel kehrten berühmte Persön­lich­keiten ein, so am Staats­theater gastie­rende Künst­le­rinnen und Künstler. Zu nennen wären hier unter vielen anderen der Dirigent Wilhelm Furtwängler oder der Schau­spieler Heinz Rühmann. Aufgrund der Konjunktur in der Zeit zwischen 1890 und dem Ersten Weltkrieg entstanden am Steinweg zahlreiche Neubauten im Stil des Histo­rismus.

Schon im Mittel­alter bedeutend

Steinweg 20, um 1940. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Da der Steinweg bereits im Mittel­alter von Bedeutung war, entstanden hier seit dem 13. Jahrhun­dert verein­zelt auch größere und teilweise in massiver Bauweise errich­tete Bürger­häuser. Eines dieser Gebäude war das statt­liche Haus Steinweg 20 an der Ecke zur Mauern­straße. Es wurde im 16. Jahrhun­dert in Fachwerk umgebaut und um ein Stockwerk erhöht, weitere Verän­de­rungen erfolgten in der Barock­zeit. Ein ähnlicher Bau war das noch größere Haus Steinweg 4, dessen älterer Kern im Jahr 1784 für den Feldmar­schall von Staff­horst als Komman­dan­ten­haus umgebaut und aufge­stockt wurde. Damit erhielt es eine fast symme­tri­sche Fassade mit Zwerch­haus und flankie­renden Gauben. Im Inneren entstand ein schönes Treppen­haus des Frühklas­si­zismus.

Im Übrigen zeigten sich die langen – und schnur­ge­raden – Straßen­fluchten ursprüng­lich mit einer fast lücken­losen Fachwerk­be­bauung. Diese wurde zuletzt jedoch durch die deutlich höhere Gründer­zeit­be­bauung mit ihren kahlen Brand­wänden unter­bro­chen. Eine Preziose unter den Fachwerk­häu­sern war das an der Nordseite des Stein­weges gelegene Haus Nr. 16. Das 1665 errich­tete Bauwerk verkör­perte als eines der letzten Beispiele den klassi­schen Typ des Kaufmanns­hauses mit hoher Diele, Dielentor sowie Zwischen­ge­schoss und vorkra­genden Speicher­stö­cken. Über der Dachtraufe saß ein Zwerch­haus mit Winde­vor­rich­tung und Luke für den Waren­aufzug. Die Front war mit reichen Schnit­ze­reien der Spätre­nais­sance verziert. Das Gebäude datierte in einer tiefen Rezession der Baukon­junktur in der Löwen­stadt: Waren noch in den Jahren vor dem Westfä­li­schen Frieden (1648) und damit in der Endphase des Dreißig­jäh­rigen Krieges zahlreiche Bürger­häuser entstanden, lassen sich für die 1650er und 60er Jahre kaum Neubauten identi­fi­zieren. 1657 hatte zudem eine verhee­rende Pestepi­demie gewütet. Und 1671 endete mit der Eroberung durch herzog­liche Truppen das lange Zeitalter der stadt­bür­ger­li­chen Freiheiten. Daher stand Steinweg 16 an einer Schei­de­marke der Stadt­ge­schichte.

Steinweg 16, um 1930. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Gleich­mäßig helle Tünche

Steinweg 35, um 1940. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

An der Einmün­dung der Schöp­pen­stedter Straße befanden sich bis zum Abbruch um 1890 mit Steinweg 18 und 19 zwei hochra­gende Renais­sance­häuser gegenüber, die in ihrem letzten Zustand mit einer gleich­mä­ßigen hellen Tünche überfasst waren. In Nr. 18 war bereits ein gründer­zeit­li­cher Laden eingebaut, während Haus 19 ein barockes Tor erhalten hatte. Die gleich­far­bigen, zumeist hellgrauen Anstriche erfolgten häufig in der Zeit des Klassi­zismus um 1800, um auch den Fachwerk­häu­sern den Anschein von Stein­bauten zu vermit­teln. Eine solche Fassa­den­ge­stal­tung zeigte auch das noch spätmit­tel­al­ter­liche Haus Steinweg 35. Das wohl um bzw. nach 1450 entstan­dene Bauwerk mit stark vorkra­gendem Oberge­schoss trug ein breites Zwerch­haus mit klassi­zis­ti­schem Halbrund­fenster, während das Erdge­schoss durch einen histo­ris­ti­schen Laden­einbau vollständig überformt war. Das verhält­nis­mäßig kleine Haus wirkte zwischen den gründer­zeit­li­chen Nachbarn wie einge­klemmt.

Am östlichen Ende der südlichen Straßen­seite zog ein solitäres Massiv­ge­bäude die Blicke auf sich. Der wie ein kleines Palais wirkende Spätba­rockbau Steinweg 34 von 1772/73 war gleich­zeitig mit dem späteren Acker­hof­portal von dem Baumeister Wilhelm von Gebhardi errichtet worden und gehörte zum Residenz­be­reich. Das Portal versetzte man nur wenige Jahre später an seinen durch zahlreiche Abbil­dungen überlie­ferten Standort im Magni­viertel (1971 abgetragen). Nun führte ein Gittertor mit wuchtigen Stein­pfei­lern vom Steinweg in den ehema­ligen Schloss­garten.

Chance verpasst

Nach der fast restlosen Zerstö­rung der Stein­weg­be­bauung im Zweiten Weltkrieg und der folgenden Tabula rasa entstanden Entwürfe für eine einheit­liche Bebauung nach den modernsten Konzepten des Städte­baus. Auf beiden Seiten der Achse sollten zweige­schos­sige Laden­zeilen mit jeweils sieben rückwärtig anschlie­ßenden hohen Wohnzeilen errichtet werden. Im Grundriss hätte die Bebauung kammförmig gewirkt. Eine eindrucks­volle Perspek­tiv­zeich­nung von Stadt­baurat Johannes Göderitz (1950) illus­triert das Projekt, von dem lediglich ein Teilab­schnitt an der Südseite des Steinwegs verwirk­licht wurde. Die konse­quente Umsetzung des Vorhabens hätte wohl den bemer­kens­wer­testen Straßenzug der Braun­schweiger Nachkriegs­mo­derne geschaffen.

Perspek­tiv­zeich­nung Steinweg von Johannes Göderitz, 1950. Foto: aus Merian, Braun­schweig, 1950

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

 

 

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