Empfind­liche Lücken im Magni­viertel

Ölschlägern, Ansicht nach Osten, 1893. Foto: aus: Braunschweigs Baudenkmäler, 1893

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 15: Der ursprüng­liche Charakter des histo­ri­schen Stadt­quar­tiers wurde Hinter der Magni­kirche bewahrt.

Die Sanierung des Fachwerk­ensem­bles am Ackerhof kann als die gegen­wärtig wohl inter­es­san­teste Denkmal-Baustelle in der Löwen­stadt angesehen werden. Damit findet das histo­ri­sche Stadt­quar­tier, das sich mit seinen fünfzig Fachwerk­häu­sern um die Magni­kirche schart, eine wunder­volle Abrundung. Aber auch hier hinter­ließen die Zerstö­rungen des Zweiten Weltkrieges empfind­liche Lücken. Dieser Beitrag soll verschwun­dene Kostbar­keiten im Magni­viertel in die Erinne­rung zurück­rufen.

Ölschlä­gern 40, um 1940. Foto: aus R. Fricke: Braun­schweiger Fachwerk, 1942

Das Magni­viertel ist eine der Keimzellen der Entste­hung Braun­schweigs. Mit der im Jahr 1031 erfolgten Weihe der Magni­kirche wurde der Ort erstmals urkund­lich als „Brunes­guik“ erwähnt. Vor der Kirche entstand ein Straßen­markt, der sich in westliche Richtung zum ursprüng­li­chen (inner­städ­ti­schen) Okerlauf hin zwischen den Straßen­zügen Ölschlä­gern und Lange­damm­straße aufspannte. Die Straßen­namen „Damm“ und „Lange­damm­straße“ zeigen, dass der durch die einstige Flussaue über die Oker führende alte Fernhan­delsweg aufge­schüttet werden musste.

Handwerker und Klein­händler

Im Rahmen des enormen Stadt­wachs­tums und der Entste­hung der Weich­bilde während des 12. und 13. Jahrhun­derts ging das Quartier in der Teilstadt Altewiek auf. Die wirtschaft­li­chen Schwer­punkte verla­gerten sich nun in die Altstadt und den Hagen, innerhalb der Altewiek in den Bereich um den Aegidi­en­markt. Die auf klein­tei­liegen Parzellen überlie­ferten alten Häuser im Magni­viertel zeugen von einem eher beschei­denen Wohlstand. Hier lebten im Spätmit­tel­alter und in der Frühen Neuzeit Handwerker und Klein­händler sowie Angehö­rige der unteren Bevöl­ke­rungs­schichten – die großen Patrizier- und Kaufmanns­häuser standen rings um Altstadt- und Hagen­markt. Die frühere Sozial­struktur lässt sich am erhal­tenen Baube­stand noch gut ablesen.

Ölschlä­gern 40, Detail Tor und Schnitz­werk, um 1920. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Die Feuers­brünste des Bomben­krieges nun ließen einige der schönsten Häuser des Magni­vier­tels dahin­sinken. An erster Stelle sei hier der 1530 entstan­dene Fachwerkbau Ölschlä­gern Nr. 40 genannt. Das mit zwei auskra­genden Speicher­stock­werken ausge­stat­tete Haus gehörte zu den bedeu­tenden Beispielen des Braun­schweiger Fachwerks aus dem Übergang von der Spätgotik zur Frühre­nais­sance. Die Schwell­balken der Oberge­schosse zeigten sich mit einem feinen gotischen Laubge­win­de­stab, in den eine Bauin­schrift einge­woben war:

„An dem verden juny upgericht
des Spottes uggelik achte my nicht
Anno Domini mccccc und xxx iare
is duth gebuet dat ys ware“

Das Dielentor des demnach 1530 errich­teten Hauses war mit Fabel­wesen verziert, die an das reiche Schnitz­werk des Hunebors­tel­schen Hauses (heute Burgplatz 2a, Handwerks­kammer) erinnerten.

An der Südseite des Ölschlä­gern standen zwischen dem Volks­freund-Haus (Ecke Schloss­straße) und einem erhal­tenen Gründer­zeitbau Ecke Kuhstraße außer dem Haus Nr. 40 weitere bemer­kens­werte Fachwerk­bauten aus dem 15. und 16. Jahrhun­dert. Das spätmit­tel­al­ter­liche Haus Nr. 31 war an den Schwell­balken der stark auskra­genden Oberge­schosse mit den zeitty­pi­schen Treppen­friesen verziert. Im obersten Stockwerk hatte sich das ursprüng­liche Speicher­ge­schoss mit den vergit­terten Öffnungen zur Belüftung des Speicher­raums und den zugehö­rigen Ladeluken bis zuletzt unver­än­dert erhalten. Haus Nr. 32 war ein Renais­sancebau von um 1550 mit einer gedie­genen Haustür aus der Barock­zeit.

Ohne Bezug zur Umgebung

Die Fassade des bereits 1914 für den Durch­bruch der Schloss­straße abgetra­genen statt­li­chen Hauses Ölschlä­gern 29 ist seiner­zeit in verkürzter Form Hinter der Magni­kirche 1 wieder aufgebaut worden. Sie ist besonders wertvoll – zeigt sie doch im unteren Teil einen spätgo­ti­schen Treppen­fries und im oberen Stockwerk sowie am Zwerchaus reiche Schnit­ze­reien der Spätre­nais­sance von 1645. Das Haus war noch in der Endphase des Dreißig­jäh­rigen Krieges mit einem Speicher­ge­schoss aufge­stockt worden. Die heutige Bebauung der Ölschlä­gern-Südseite aus den 1960er Jahren präsen­tiert sich ohne Bezug zur städte­bau­li­chen Umgebung.

Ölschlä­gern 31, um 1940. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Eine besonders reizvolle Situation bot die kurze Verbin­dung vom Ostteil des Ölschlä­gern zur Lange­damm­straße: die Wüste­worth. Hier stach das spätgo­ti­sche Eckhaus Nr. 1 mit Treppen­fries­ver­zie­rung und steilem Giebel aus der umgebenden Bebauung heraus. Der kleine platz­ar­tige Straßenzug stieß im Norden auf das breite Haus Lange­damm­straße 7, dessen älterer Kernbau aus dem 15. Jahrhun­dert in der Barock­zeit umgebaut worden war. Hinter dem unspek­ta­kulär erschei­nenden Gebäude erstreckte sich einer der reizvollsten Höfe der alten Stadt. Er war nach Norden hin von einer geschlos­senen dreisei­tigen Bebauung umgeben. Die dreige­schos­sigen Wirtschafts- und Speicher­ge­bäude mit ihren vorkra­genden Stock­werken stammten aus dem 16. Jahrhun­dert. Die Speicher­stöcke waren teilweise nur von außen über steile Stiegen zugäng­lich.

Anlehnung an das alte Stadtbild

Außer der Magni­kirche selbst traf es 1944 auch die unmit­tel­bare Umgebung des Gottes­hauses: In der Nordwest­ecke des stillen Kirch­hofes wurde die Häuser­gruppe Hinter der Magni­kirche 2, 3 und 4 – zwei gut propor­tio­nierte Barock­bauten und ein spätmit­tel­al­ter­li­ches Haus – zerstört. Im Gegensatz zum modern wieder­auf­ge­bauten Kirchen­schiff von St. Magni verfolgte man bei der Schlie­ßung der Bomben­lücke eine Bebauung in Anlehnung an das alte Stadtbild. Für den 1956 entstan­denen Neubau Hinter der Magni­kirche 4 wurden Teile des zuvor in einem Hinterhof am Kohlmarkt abgetra­genen einstigen Pfarr­hauses von St. Ulrici von 1514 verwendet. Damit konnte der Charakter dieses ungemein intimen Ortes bewahrt werden.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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