Experten-Streit um die Sparkasse

Das Autorenteam mit Professor Dr. Lothar Hagebölling (vorne) und dem Vorstandsvorsitzenden der Braunschweigischen Landessparkasse (rechts daneben) und Axel Richter, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE (links daneben). Foto: BLSK
Das Autorenteam mit Professor Dr. Lothar Hagebölling (vorne) und dem Vorstandsvorsitzenden der Braunschweigischen Landessparkasse (rechts daneben) und Axel Richter, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE (links daneben). Foto: BLSK

Histo­ri­ker­gruppe erforscht die Geschichte des Banken­we­sens im Braun­schwei­gi­schen Land.

War das Fürst­liche Leihhaus zu Braun­schweig tatsäch­lich die erste Sparkasse Deutsch­lands oder nicht? An dieser Frage scheiden sich die Geister. Aber spätes­tens am 9. März 2015 muss der Experten-Streit beigelegt und eine gemein­same Sprach­re­ge­lung gefunden worden sein. Denn an diesem Tag erscheint das in Arbeit befind­liche Standard­werk zur Geschichte der Braun­schwei­gi­schen Landes­spar­kasse und der NORD/LB.

Das Datum ist nicht willkür­lich gewählt. Es markiert exakt die 250. Wieder­kehr der Errich­tung des „öffent­li­chen Leyhauses oder Lombards“ durch Herzog Carl I. zu Braun­schweig und Lüneburg. Heraus­geber Professor Dr. Lothar Hageböl­ling und eine Gruppe renom­mierter Histo­riker erfor­schen die Vergan­gen­heit der Braun­schwei­gi­schen Landes­spar­kasse. Geplant ist eine rund 800 Seiten starke wissen­schaft­liche Publi­ka­tion.

Das Forschungs­pro­jekt ist initiiert worden von der STIFTUNG NORD/LB • ÖFFENTLICHE und der Stiftung Nieder­säch­si­sches Wirtschafts­ar­chiv Braun­schweig. Erste Ergeb­nisse wurden im Ottmer-Bau der Braun­schwei­gi­schen Landes­spar­kasse am Friedrich-Wilhelm-Platz in Braun­schweig mit Einfüh­rungs­vor­trägen von Professor Dr. Hageböl­ling und Dr. Peter Albrecht vorge­stellt.

Professor Dr. Hageböl­ling erklärte, dass sowohl die Braun­schwei­gi­sche Landes­spar­kasse als auch die Nord/LB in dem Braun­schwei­gi­schen Leihhaus ihre ältesten Wurzeln sähen. Die Gründung des Leihhauses habe seiner­zeit das Aufblühen der Wirtschaft und die Wohlfahrt der Unter­tanen durch Senkung von Zinsni­veau und Schul­den­dienst zum Ziel gehabt.

Die Haupt­auf­gaben des Leihhauses seien die Verlei­hung von Geld gegen Handpfänder, die Auslei­hung von Geld auf „Mobilia, die Auslei­hung von Hypotheken auf Grund­stücke, die verzins­liche Annahme von Geldern von allen und jeden sowie die Verwah­rung von Geld in offenen oder versie­gelten Beuteln gewesen.

Soziologe Dr. Albrecht wider­sprach Überle­gungen, das Fürst­liche Leihhaus zu Braun­schweig könnte die erste Sparkasse Deutsch­lands gewesen sein. Nach seiner Überzeu­gung sei das Institut erst 1834 wirklich zu einer Sparkasse geworden. Seine Begrün­dung: Erst von da an waren kleine Einlagen von 1 bis 10 Talern möglich. Zuvor sei die Grenze bei 50 Talern gewesen, was in etwa dem Jahres­ge­halt eines Schul­lei­ters auf dem Lande entspro­chen habe. Und die älteste Bank könne das Braun­schwei­gi­sche Leihhaus auch nicht gewesen sein, weil es bereits 1726 eine Gründung in Hamburg gegeben habe.

Einen heftigen Streit von Histo­ri­kern zu diesem Sparkassen-Thema habe es, so Hageböl­ling, bereits in den 1950er und 1960er Jahren gegeben. In seinem Werk „Geschichte der deutschen Sparkassen bis zum Anfang des 20. Jahrhun­derts“ habe Adolf Trende die Sparkas­sen­ei­gen­schaft des Leihhauses verneint. Der gegen­sätz­li­chen Auffas­sung sei Wolfgang Keller in seinem Aufsatz „Das Fürst­liche Leyhaus zu Braun­schweig“ in der Viertel­jah­res­schrift für Sozial- und Wirtschafts­ge­schichte 1964 gewesen.

Das aktuelle Standard­werk mit dem Arbeits­titel „Die Geschichte des öffent­lich-recht­li­chen Banken- und Sparkas­sen­we­sens im Braun­schwei­gi­schen Land von den Anfängen bis heute“ soll endgül­tige Klarheit bringen. „Es wäre doch zu schön, die älteste Sparkasse Deutsch­lands in Braun­schweig behei­matet zu wissen“, zeigte sich nicht nur Professor Dr. Lothar Hageböl­ling gespannt auf die Forschungs­er­geb­nisse.

Neben ihm und Dr. Peter Albrecht, der die Epoche von 1765 bis 1832 erforscht, wirken Dr. Andreas Kulhawy (1832–1919), Sebastian Knake (1919–1969), Dr. Harald Wixforth (1970–2015), Professor Dr. Matthias Steinbach (Zeitzeugen) und Professor Dr. Leschhorn (Münz- und Geldge­schichte) an dem Standard­werk mit.

Christoph Schulz, Vorstands­vor­sit­zender der Braun­schwei­gi­schen Landes­spar­kasse und Vorstands­mit­glied der NORD/LB, freut sich sehr auf den Tag des Erschei­nens. „Als ich vor acht Jahren zur Braun­schwei­gi­schen Landes­spar­kasse kam, habe ich eine lücken­lose Aufar­bei­tung der Geschichte unseres Instituts vermisst. Das holen wir jetzt nach. Das Standard­werk wird die Basis für zielgrup­pen­ge­rechte Medien wie zum Beispiel für unsere Jubilä­ums­schrift“, sagte Christoph Schulz während seiner Begrü­ßungs­rede zu den Einfüh­rungs­re­fe­raten.

Zuvor hatte er an der Autoren­be­spre­chung teilge­nommen und war Zeuge kontro­verser wissen­schaft­li­cher Debatten geworden. Dabei ging es nicht nur darum, ob das Leyhaus nun die erste Sparkasse Deutsch­lands im eigent­li­chen Sinne war oder nicht. „Wenn das Buch so wird wie die Diskus­sionen der Autoren, dann wird es ein sehr gutes, spannendes und erhel­lendes Buch“, meinte Christoph Schulz.

Wichtige Eckdaten:

1765: Gründung des Fürst­li­chen Leihhauses zu Braun­schweig durch Herzog Carl I.

1834: Gesetz zur Sparkassen-Gründung in Verbin­dung mit den Herzog­li­chen Leihhaus­an­stalten

1891–1895: Neubau der Leihhaus­an­stalt an der Dankward­straße, später Sitz der Braun­schwei­gi­schen Staats­bank, heute der Braun­schwei­gi­schen Landes­spar­kasse.

1919: Gründung der Braun­schwei­gi­schen Staats­bank.

1970: Zusam­men­schluss zur NORD/LB von Braun­schwei­gi­scher Staats­bank einschließ­lich Braun­schwei­gi­scher Landes­spar­kasse (Wert 372 Millionen D‑Mark), Nieder­säch­si­scher Landes­bank (323 Millionen D‑Mark), Hanno­ver­scher Landes­kre­dit­an­stalt (44,4 Millionen D‑Mark) und Nieder­säch­si­scher Wohnungs­kre­dit­an­stalt (29,1 Millionen D‑Mark)

2005: Weitge­hende Eigen­stän­dig­keit der Braun­schwei­gi­schen Landes­spar­kasse durch Staats­ver­trag

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