Glasper­len­fa­brik van Selow im Rampen­licht

Präsentation im Städtischen Museum: (von links) Museumsdirektor Peter Joch, Richard Borek und Michael Grisko, Geschäftsführer der Richard Borek Stiftung. Foto: Der Löwe

Neuer Kunstband über exotische Objekte aus Braun­schweig, die im 18. Jahrhun­dert die Fantasie der Zeitge­nossen anregte.

Wenn es die Buchreihe „Braun­schwei­gi­sches Kunst­hand­werk“ nicht geben würde, dann wäre die Braun­schweiger Koral­len­fa­brik des Johann Michael van Selow weiterhin nur einem kleinen, erlesenen Exper­ten­kreis bekannt gewesen. So aber wurde die Manufaktur für eine breitere Öffent­lich­keit wieder ins Rampen­licht gerückt. In seinen nur zwölf Braun­schwe­reiger Jahren (1755–1767) schuf van Selow rund 400 mit Perlen­mo­saiken gestal­tete Tische, Kommoden, Tablette, Flaschen, Papageien als Tierfi­guren und weitere Gegen­stände des täglichen Lebens. Der von Kunst­his­to­ri­kerin Henriette Graf (Potsdam) erarbei­tete Kunstband über diese fast verges­sene Episode des Braun­schwei­gi­schen Kunst­hand­werks wurde im Städti­schen Museum vorge­stellt. Beiträge zum Buch steuerten auch Andreas Flöck, Angelika Rauch und Garnet Rösch-Meier bei.

Ovaler Tisch mit Herren­haus in Parkan­lage, Privat­samm­lung, München. Foto: aus Die Braun­schweiger Koral­len­fa­brik des Johann Michael van Selow

Es ist der fünfte Band, den die Richard Borek Stiftung gemeinsam mit der Braun­schwei­gi­sche Stiftung und der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz heraus­ge­geben hat. Zuvor waren bereits „Stobwasser – Lackkunst aus Braun­schweig und Berlin“ (2005), „Braun­schwei­gi­sche Münzen und Medaillen – 1000 Jahre Münzkunst und Geschichte in Stadt und Land Braun­schweig“ (2010), „Die Porzel­lan­ma­nu­faktur Fürsten­berg“ (2016) und „Braun­schweiger Möbel des 18. Jahrhun­derts“ (2021) erschienen.

Idee vor 25 Jahren entwi­ckelt

Die Buchreihe geht auf eine Initia­tive der Richard Borek Stiftung zurück. Vor 25 Jahren habe die Stiftung mit dem damaligen Direktor des Städti­schen Museums Braun­schweig, Gerd Spies, ein Museums­kon­zept entwi­ckelt, das die Bedeutung des Herzog­tums Braun­schweig als ehema­liger Standort für heraus­ra­gendes Kunst­hand­werk aller Materia­lien auch in Braun­schweig selbst bekannt machen sollte. Die Verein­ba­rung sei bedau­er­li­cher­weise nicht zustande gekommen, aber es sei gelungen die beiden anderen großen Braun­schwei­gi­schen Stiftungen für die Heraus­gabe der Kunst­bände zu gewinnen.

„In den Bänden werden wichtige Artefakte regio­naler kultu­reller Identität bewahrt und die Kultur­ge­schichte zur Diskus­sion gestellt, auch hinsicht­lich ihrer Relevanz für die Zukunft. Dabei begleitet uns der Anspruch, infor­ma­tive und dauer­hafte Nachschla­ge­werke zu entwi­ckeln, die Standard­pu­bli­ka­tion sind bezie­hungs­weise im Laufe der Jahre werden“, sagte Richard Borek im Rahmen der Präsen­ta­tion des neuen Bandes.

Papagei­en­skulptur, Johann Michael van Selow. Foto: Herzog Anton Ulrich-Museum

Die Objekte von Selows ordneten sich schon im 18. Jahrhun­dert in eine zuneh­mende Ästhe­ti­sie­rung und Indivi­dua­li­sie­rung des Lebens ein, die sich bis heute fortsetze, so Richard Borek. Henriette Graf schreibt dazu: „Er [also van Selow] stellte museale Gegen­stände her, die alltags­taug­lich waren. Seine exoti­schen Objekte waren teure Gebrauchs­ge­gen­stände, die das Haus schmückten und zur Bewun­de­rung von Besuchern beitrugen.” Van Selows Arbeiten zeichnen sich durch einen hohen Wieder­erken­nungs­wert aus und besitzen ein wohl weltweites Allein­stel­lungs­merkmal. Dennoch litt van Selow unter chroni­scher Geldnot und musste schließ­lich aufgeben, obwohl Herzog Carl I. ihn mehrfach unter­stützt hatte.

Nur zwölf Jahre in Braun­schweig

Im Jahr 1755 hatte sich van Selow in Braun­schweig als „Künstler“ und „Muschel­ar­beiter“ nieder­ge­lassen und die Manufaktur für Glasper­len­mo­saiken sowie mit Glasperlen, Muscheln, Schnecken und diversen anderen Materia­lien in Kitt einge­legten Skulp­turen gegründet. lm Sommer 1767 verließ er Braun­schweig wieder, und seine Spur verlor sich. Weder sein Name noch der seines Sohnes tauchten jemals in den Akten wieder auf. Die Manufaktur war an den Tischler Thiele Heinrich Eggeling verkauft worden, aber sie war nicht mehr zu retten. Die Nachfrage nach den Erzeug­nissen war nicht mehr vorhanden. Die letzte Nachricht über die Koral­len­fa­brik war ein Inserat im Braun­schweiger Anzeiger vom 10. August 1771. Darin hieß es: 14 Stück sehr sauber gemachte Korallen-Tisch­blätter, wie auch ein sehr schöner mit Korallen ausge­legter Quadrille-Tisch zum billigen Preis zu verkaufen.

Van Selow verkaufte seine Erzeug­nisse nach den Erkennt­nissen von Henriette Graf wohl ausschließ­lich in Braun­schweig und auf den hiesigen Messen. Aus seiner regen Korre­spon­denz mit Herzog Carl I. ließen sich trotz anhal­tender wirtschaft­li­cher Schwie­rig­keiten ein unbeschä­digtes Selbst­be­wusst­sein und ein für seine Zeit gutes Deutsch ablesen. Auch wenn er in Amsterdam als Geschäfts­mann aufge­treten sei, so habe er sich doch mehr als Künstler oder Kunst­hand­werker verstand.

Einband „Die Braun­schweiger Koral­len­fa­brik des Johann Michael van Selow“. Foto: Verlag

„Van Selow vereinte mithilfe von Glasperlen die Kunst­fer­tig­keit der Darstel­lung von Naturalia und Exotika. Er konnte damit die Neugier des Rokokos auf Fremdes und Exoti­sches befrie­digen. Die Papageien, Muscheln, Schnecken und Korallen auf seinen Mosaiken regten die Fantasie der Zeitge­nossen an und gaben ihnen das Gefühl, mehr zu kennen und zu wissen als andere“, erläutert Henriette Graf.

Die Korallen genannten Glasperlen waren in erster Linie Rocail­le­perlen, die in unter­schied­li­chen Größen und Farben alle Tisch­platten bedecken. Rocail­le­perlen sind nicht kugel­förmig sondern abgeflacht, im Querschnitt rund und mit einem Loch zum Auffädeln versehen. Die Frage nach der Herkunft der Glasperlen, die verwendet wurden, ließe sich, so die Autorin, nicht eindeutig klären. Eine Analyse der Inhalts­stoffe ergab eine denkbare Prove­nienz aus den Nieder­landen, Frank­reich oder Venedig.

Noch bis zum 3. Oktober gibt es die Möglich­keit, in der Sonder­aus­stel­lung des Schloss­mu­seums Wolfen­büttel Museums van-Selow-Werke privater Sammle­rinnen und Sammler sowie verschie­dener Museen zu begut­achten.

Infos:
„Die Braun­schweiger Koral­len­fa­brik des Johann Michael van Selow“
Henriette Graf
Reihe Braun­schwei­gi­sches Kunst­hand­werk Band 5. Heraus­ge­geben von der Richard Borek Stiftung, Stiftung Braun­schwei­gi­scherer Kultur­be­sitz und die Braun­schwei­gi­sche Stiftung
Hardcover, geb., mit Schutz­um­schlag, Faden­hef­tung, 306 S., 252 z.T. farbige Abb.
ISBN 978–3‑9823115–1‑7
75,00 Euro

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