Die „Wieder­ge­burt der Archi­tektur“

Friedrich Gilly, Gemälde von Friedrich Georg Weitsch, um 1797. Aus: Alfred Rietdorf, Gilly, Wiedergeburt der Architektur, Berlin 1940

Der berühmte Berliner Baumeister Friedrich Gilly schuf auch das Vieweg­haus am Burgplatz.

In diesem Jahr jährt sich der Geburtstag des berühmten Berliner Baumeis­ters Friedrich Gilly zum 250. Mal. Er gilt auch als Erbauer des Vieweg­hauses in Braun­schweig. Die Geschichte des Gebäudes am Burgplatz, in dem heute das Braun­schwei­gi­sche Landes­mu­seum behei­matet ist, zeichnet „Der Löwe – das Portal für das Braun­schwei­gi­sche“ in einer viertei­ligen Reihe nach. In Teil 1 erinnern wir an die wichtigsten Lebens­ta­tionen des damals modernsten Baumeis­ters Deutsch­lands, dessen Entwürfe bis in die heutige Zeit wirken.

Am 16. Februar 1772 wurde Gilly in Stettin geboren. Er entstammte einer hugenot­ti­schen Familie aus Frank­reich, die sich in Preußen 1689 angesie­delt hatte. Die Gillys waren Strumpf­wirker und Kaufleute, und erst Fried­richs Vater David (1748–1808) wechselte 1761 ins Baufach. Nach etlichen Dienst­jahren zog er 1788 nach Berlin und wurde dort Geheimer Oberbaurat für die Provinz Pommern.

Vom Vater gefördert

Friedrich Gilly, Büste von Johann Gottfried Schadow, 1801. Aus: Ulrike Krenzlin, Johann Gottfried Schadow, Stuttgart 1990

Der Vater förderte die Leiden­schaft des Sohnes für die Baukunst in jeder Weise. Schon ab dem 16. Lebens­jahr nahm Friedrich Unter­richt an der Berliner Akademie für Bildende Künste unter anderem bei Carl Gotthard Langhans, dem Baumeister des Branden­burger Tors, im Fach Archi­tektur sowie bei Daniel Chodo­wieki und Johann Gottfried Schadow im Zeichen­fach. Schadow widmete ihm 1801 eine Büste.

Am 3. August 1800 verstarb Friedrich Gilly viel zu früh an Tuber­ku­lose. Sein Werk umfasst nur wenig Gebautes, fast nichts ist erhalten. Hingegen ist sein Nachlass an Entwürfen und theore­ti­schen Schriften zu Archi­tektur und Lehre sehr umfang­reich.
Gilly begrün­dete in seiner Zeit ein Interesse am Denkmal­schutz. Als er den Vater 1794 auf einer Dienst­reise nach Westpreußen beglei­tete, begeis­terte er sich für die halb verfal­lene Marien­burg des Deutschen Ritter­or­dens in Westpreußen. Gillys Zeich­nungen der großen Burg wurden durch ihre Ausstel­lung 1795 in Berlin berühmt und verviel­fäl­tigt, wodurch sie eine neue Empfind­lich­keit für die verge­henden Alter­tümer Preußens als Natio­nal­bau­kunst des Landes erweckten, verbunden mit einem Appell zu deren Erhaltung.

Schutz der Alter­tümer

Gillys bedeu­tendster Schüler Karl Friedrich Schinkel erwirkte aufgrund dieses neuen Geschichts­be­wußt­seins ab 1815,  dass in Preußen der Staat für den Schutz der Alter­tümer einstand. 1919 gingen daraus im Deutschen Reich im Verein mit den frühen Denkmal­schutz­ge­setzen in anderen deutschen Ländern wie Baden und Hessen der Denkmal­schutz als Verfas­sungs­auf­trag hervor.

Aber Gilly verehrte – wie im späten 18. Jahrhun­dert auch nicht anders zu erwarten – besonders die griechi­sche Archi­tektur der Antike, nach Studien der Stich­werke zum Beispiel von James Stuart und Nicholas Revett von 1762  in der könig­li­chen  Biblio­thek in Berlin. Ferner traf er dort auf die jüngsten Veröf­fent­li­chungen der franzö­si­schen Theore­tiker und Archi­tekten wie J. F. Blondel,  J. L. Desprez, E. L. Boullée, M. A. Laugier und N. Ledoux. Diese Vertreter einer neuen Archi­tektur in Frank­reich wandten sich bereits zu Zeiten der Monarchie gegen die Affek­tiert­heit des Rokokos und die Eintö­nig­keit des Louis seize. Blondels und Ledoux Lehren vom „Charakter“ einer Baufauf­gabe sollten zum „wahren Stil“ und damit zu den Anfängen der Archi­tektur führen, vergleichbar mit J. J. Rousseaus Forde­rungen zu einem Zurück zum Urzustand der Menschen.

Franzö­si­sche Vorbilder

Desprez, Laugier, Boullée und Ledoux sahen außerdem in den einfachen stereo­me­tri­schen Körpern wie Kugel, Quader, Zylinder und Kegel die urtüm­li­chen Bauformen. Nicht immer zur Verwirk­li­chung gedacht, stellten sie häufig überzeit­liche Projekte wie Grabbauten und Denkmäler dar. An der auch von ihnen verehrten griechi­schen Antike inter­es­sierte sie nicht die gestal­te­ri­sche Fülle, sondern bloß die sich steigernde Anordnung großer Bauein­heiten und der pure Säulen- und Gebälkbau. Für notwen­dige kleinere Bauteile wie Tore, Eingangs­hallen und Portiken wurde daher ein Gefüge aus ornament­losen Stützen, Balken, Mauer­flä­chen und Gewölben verwendet. Mitunter kam noch die dorischen Säulen­ord­nung der Griechen zur Anwendung, weil ihr eine verwandte Wuchti­geit anhaftet. Anfang des 20. Jahrhun­derts wurde diese kompro­miss­lose Archi­tek­tur­sprache von dem Kunst­his­to­riker Emil Kaufmann zutref­fend als „Revolu­ti­ons­ar­chi­tektur“ bezeichnet. Bei Gilly traf man auf ähnliches Gedan­kengut, und seine Nordfrank­reich- und Paris­fahrt 1797 bestä­tigte seine Erkennt­nisse.

Schon Gillys frühe Entwürfe einer Toranlage von 1795 und vor allem die vielen Skizzen zum nicht ausge­führten Denkmal Fried­richs des Großen in Berlin von 1796 schildern diese neue Entwurfsart. Besonders die Pfeilerhalle am Hang mit zentraler Rotunde für einen Sarkophag besteht nur noch aus einer gestuften Abfolge von kasten­för­migen Hallen gleichen Rasters, getragen von kantigen Stützen und Balken. In Gillys Worten drücke sich nunmehr „Pracht … [in der] aller­ein­fachsten Schönheit [aus]; [in] ehrerbie­tiger Größe, die allen üppigen Sinnen­reiz entfernt…[und] mit Würde zum Anblick des großen Gegen­standes führte“. Allen­falls die „dorische Säulen­ord­nung“ ließ er wie die Franzosen in seinen Entwürfen als Gliede­rung zu.

Einfache Baugefüge und Bauformen

Das Braunschweigische Landesmuseum wird umfassend saniert. Foto: Braunschweigisches Landesmuseum
Das Vieweg­haus entstand von 1799 bis 1804 und war bis 1976 Wohn- und Verlags­haus. Es ist eines der wichtigsten Beispiele für die klassi­zis­ti­sche Archi­tektur um 1800. Heute beher­bergt es das Braun­schwei­gi­sche Landes­mu­seum. Foto: Braun­schwei­gi­sches Landes­mu­seum

Gilly entdeckte bei einfachen Bauge­fügen und Bauformen die ihnen innewoh­nende, eigene Ästhetik. So sollte von nun an gebaut werden und beim Betrachter hehre Empfin­dungen geweckt werden, um ihn zum Guten und Schönen zu erziehen. Dies war für Gilly – um nochmals mit seinen Worten zu sprechen – die „Wieder­ge­burt der Archi­tektur“. Bauten solcher Gesinnung wie das Fried­richs­denkmal sollten aber um ihrer großen Wirkung halber am besten auf einem großen freien (Potsdamer) Platz stehen. Damit trifft man auf eine weitere Neuerung in Gillys Lehre. Eine gewach­sene und vielfäl­tige, städti­sche Umgebung wurde hier zum ersten Mal zu einer rahmenden Folie aufge­wertet. Die Umgebung blieb unange­tastet, während der Barock durch gezielte Eingriffe in ältere Stadt­viertel seine zentralen Bauten hervorhob. Gillys ausge­führte Gebäude waren freilich beschei­dener, angepaßter, wie in Berlin die nicht mehr existenten Häuser zum Beispiel in der Behrens­straße sowie in der Breiten- und Jäger­straße von um 1798/1800 zeigen konnten.

Gillys Archi­tek­tur­theo­rien wurden ab Janaur 1799 auf einer von ihm mitbe­grün­deten, privaten Archi­tek­tur­ge­schell­schaft erörtert, zu der auch u.a. Ferdinand Langhaus, Haller v. Hallerstein, Leo v. Klenze, Heinrich Gentz und der junge Karl Friedrich Schinkel zählten. Ihre plane­ri­schen Absichten mündeten, unter­stützt durch Vater David Gilly, in die am 18. März 1799 von König Friedrich Wilhelm III. von Preußen einge­rich­tete Bauaka­demie. Zur neuen Ausbil­dung gehörten neben Gillys Entwurfs­ka­te­go­rien auch solche Lehrin­halte, die zur Bewäl­ti­gung aller anste­henden Bauauf­gaben dienten. Neben anderen wurde dort Friedrich Gilly Professor fürs Zeichnen und sein Vater David Professor für den Schleusen‑, Brücken‑, Hafen- und Wegebau.

„Bauhaus“ knüpfte an Gilly an

Im frühen 20. Jahrhun­derts konnte die moderne Archi­tektur und ihre von antiken Vorbil­dern gelöste Entwurfsart der „Werkbünde“ und des „Bauhauses“ in Friedrich Gillys betont ornament­losen Bauge­fügen und Massen­grup­pie­rungen direkte Anknüp­fung finden. Damit ging auch der Ersatz des Natur­steins als Baustoff einher, den Gilly noch verwendet hatte. Die NS-Archi­tektur blieb hingegen beim Natur­bau­stoff in Verbin­dung mit einfachsten Formen, der zu einem klobigen Neoklas­si­szismus führte. Die Vor- und Nachkriegs­mo­derne schuf aber durch Stahl­kon­struk­tion, Sicht­beton und lichte Glaswände filigrane und solitäre Großbauten. Mies van der Rohes neue Natio­nal­ga­lerie in Berlin mag als beredtes Beispiel stehen, die Gillys Hallen­kon­struk­tion vom Fried­richs­denkmal frei nachbildet. Darin wirkt Gillys Archi­tektur bis heute nach: das Baugefüge in seiner  räumli­chen und städte­bau­li­chen Anordnung zu begreifen, um es danach in einem zweiten Schritt angemessen durch­zu­ge­stalten.

Dr. Bernd Wedemeyer ist Bau- und Kunst­his­to­riker sowie Autor mehrerer Bücher über das Braun­schweiger Residenz­schloss.

Hier geht es zu Teil 2 der Serie.

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