Helden, Schurken und der Schloss­brand 1830

Karl Dietrich Pirscher, „Die ewig denkwürdige Nacht vom 7ten auf den 8ten September 1830 in Braunschweig“ (Braunschweig, um 1835). Lithografie (Detail). Foto: Niedersächsisches Landesarchiv Wolfenbüttel, 50 Slg 1016 Nr. 13.

Die sogenannte Braun­schweiger Revolu­tion trieb den ungeliebten „Diaman­ten­herzog“ Karl II. (1804–1873) in die Flucht.

Am 7. September 1830 ging das Braun­schweiger Schloss in Flammen auf. Eine wütende Menge stürmte die herzog­li­chen Privat­ge­mä­cher und die benach­barte Kanzlei. Die sogenannte Braun­schweiger Revolu­tion trieb den ungeliebten „Diaman­ten­herzog“ Karl II. (1804–1873) in die Flucht. Karls jüngerer Bruder Wilhelm (1806–1884) übernahm wenige Tage später provi­so­risch die Regierung.

Die Erstür­mung des Schlosses brachte Diverses von dort in Umlauf, von Alltags­dingen bis zu Schrifttum, Bargeld und Kostbar­keiten. Wir können uns vorstellen, wie unüber­sicht­lich die Lage war; zeitge­nös­si­sche Darstel­lungen zeigen große Menschen­mengen. Gegen­stände wurden einge­steckt und wegge­schafft, um sie vor den Flammen zu schützen. Was passierte mit diesen Sachen und mit den Menschen, die sie an sich nahmen?
In Archiv­akten zur Wieder­be­schaf­fung von Gegen­ständen aus dem herzog­li­chen Besitz und aus der Staats­kanzlei entsteht inter­es­san­ter­weise der Eindruck, als sei beim Schloss­brand nichts Beson­deres passiert. Statt Plünde­rung und Diebstahl zu krimi­na­li­sieren, wurde nämlich auf Verstän­di­gung gesetzt. Wir entdecken sogar ein Motiv des Helden­tums!

Dank an die Einwohner

Noch ein Jahr nach dem Schloss­brand wurden Gegen­stände abgelie­fert. Foto: Nieder­säch­si­sches Landes­ar­chiv – Abteilung Wolfen­büttel, 12 A Neu, Fb 5, Nr. 776.

Das Herzog­liche Staats­mi­nis­te­rium bedankte sich nämlich unmit­telbar nach dem Feuer mit einer Bekannt­ma­chung in den Braun­schweiger Anzeigen für den „thätig und unermüdet geleis­teten Beistand“ vieler Bürger, die geholfen hatten, Akten aus der brennenden Staats­kanzlei zu retten. „Bei der fragli­chen Feuers­brunst sind aber auch viele Acten […] entweder ein Raub der Flammen geworden, oder auf sonstige Weise abhanden gekommen“, hieß es weiter. Das Minis­te­rium forderte die Einwohner auf, Papiere und Gegen­stände „an den Rath Wolpers im Domprops­tei­ge­bäude unver­züg­lich abzulie­fern.“

Zentrale Anlauf­stellen sollten es den Braun­schwei­gern leicht machen, Gegen­stände abzulie­fern. Rat Wolpers, der zustän­dige Beamte, erstat­tete dem Minis­te­rium regel­mäßig Bericht: „Der hiesige Einwohner Söchtig, wohnhaft auf der Kaiser­straße, erschien heute [am 9. September 1830] um an mich das angeblich von ihm gerettete Große Staats Siegel abzulie­fern, worüber er sich eine Beschei­ni­gung und demnächst wegen seiner Armuth eine Erkennt­lich­keit erbat. Erstere wurde ihm von mir ertheilt und wegen Letzterer desfalls zur Geduld verwiesen.“ Söchtig stellt sich also als Held dar, der das Siegel gerettet habe. Wolpers scheint nicht so recht an selbst­lose Motive zu glauben. Aber das Minis­te­rium ließ nur fraglos Quittungen ausstellen.

Schloss verspricht Wohlstand

Aus diesen Amtsvor­gängen erfahren wir heute etwas mehr über die Ausstat­tung der herzog­li­chen Residenz; zum Beispiel lernen wir, dass Bücher, Bargeld, silberne Dessert­messer und Korken­zieher abgelie­fert wurden. Vor allem kleine Handwerker und Tagelöhner wurden vorstellig und erhofften sich eine Belohnung. Das Jahr 1830 war schwierig gewesen, die Ernte schlecht, die Getrei­de­preise hoch. Herzog Karl II. hatte kaum in öffent­liche Baupro­jekte inves­tiert, also waren viele Handwerker ohne Arbeit. Das Schloss wurde somit zu einem Ort, der in harten Zeiten plötzlich Wohlstand versprach, wenn man es geschickt anfing. Viele Braun­schweiger – genaue Zahlen haben wir leider nicht – entschieden sich dafür, „heiße Ware“ einzu­rei­chen und statt­dessen „Finder­lohn“ einzu­for­dern. Damit wurden sie nicht weiter behelligt. Um weitere Unruhe zu vermeiden, verstän­digten sich der Magistrat und das herzog­liche Minis­te­rium mit den Bürgern auf generelle Amnestie.

Es gab aber auch schwerere Fälle von Plünde­rung und Diebstahl, die tatsäch­lich zum Prozess führten. Die Schuh­ma­cher­ge­sellen Werner und Henning hatten beim Schloss­brand „Pretiosen und Gelder“ gestohlen und in ihrem Rucksack außer Landes gebracht. Schmuck, Edelsteine und Siegel mit dem herzog­li­chen Wappen wurden von der Polizei in einem Bordell in Hannover sicher­ge­stellt. Die beiden Diebe wurden zu neun Monaten „öffent­li­cher Arbeits­strafe“ verur­teilt.

Heidi Mehrkens ist Lecturer in Modern European History an der schot­ti­schen Univer­sity of Aberdeen. Sie lehrt und forscht unter anderem zur Kultur- und Politik­ge­schichte moderner europäi­scher Monar­chien sowie zur Militär- und Medien­ge­schichte des 19. Jahrhun­derts. Sie arbeitet derzeit zur Regie­rungs­zeit Herzog Karls II. von Braun­schweig im inter­na­tio­nalen Kontext.

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