In der Heimat boomt die Rüstungs­wirt­schaft

Herzog Ernst-August von Braunschweig und Herzogin Viktoria-Luise besichtigen mit Heinrich Büssing (rechts) das Braunschweiger Werk, das kriegswichtige Fahrzeuge baute. Büssing-Foto Archiv E.-J. Zauner
Herzog Ernst-August von Braunschweig und Herzogin Viktoria-Luise besichtigen mit Heinrich Büssing (rechts) das Braunschweiger Werk, das kriegswichtige Fahrzeuge baute. Büssing-Foto Archiv E.-J. Zauner

Folge 2 der Serie zu den Ereig­nissen im Braun­schweiger Land und den Kriegs­schau­plätzen von 1914–1918.

Während die Soldaten an den Fronten die Schrecken des Krieges erlitten, lief in der Heimat die Kriegs­pro­duk­tion auf Hochtouren. Frauen ersetzten die kämpfenden Männer in der Produk­tion und im täglichen Leben. Sie arbei­teten in den Fabriken und fuhren z.B. Straßen­bahnen. In der Region Braun­schweig waren während der Kriegs­zeit bis zu 400 Unter­nehmen in die Rüstungs­pro­duk­tion einge­bunden – und machte blendende Geschäfte.

Ein Beispiel sind die Braun­schweiger Büssing-Werke. Schon vor Kriegs­be­ginn war Büssing auf die Belie­fe­rung des deutschen Heeres mit kriegs­taug­li­chen Lastwagen gut vorbe­reitet. Bereits 1907 hatte General­major Alfred Freiherr von Lyncker, Inspek­teur der Verkehrs­truppen, den Wert dieses Trans­port­mit­tels für die militä­ri­sche Logistik erkannt. Das Kriegs­mi­nis­te­rium legte deshalb 1908 ein Subven­ti­ons­pro­gramm für Lastwagen auf. Büssing gehörte zu den vier Firmen im Reich, die so genannte Subven­ti­ons­last­wagen bauen durften. Bei 7,5 Tonnen Gesamt­ge­wicht mussten die Lastwagen 16 km/h schnell sein und eine Reich­weite von 250 Kilometer mit einer Tankfül­lung haben. Unter­nehmen, die einen Subven­ti­ons­last­wagen kauften, erhielten vom Staat 4000 Mark (etwa 20 Prozent des Anschaf­fungs­preises) beim Kauf sowie jährlich 1000 Mark Betriebs­kos­ten­zu­schuss.

1908 erhielten die Braun­schweiger außerdem von der Heeres­ver­wal­tung den Auftrag, ein benzin-elektri­sches Fahrzeug zu bauen. Vorbild war das Produkt eines jungen Ingenieurs aus Wien. Er hieß Ferdinand Porsche. In einer zeitge­nös­si­schen Büssing-Werks­schrift heißt es: „Ferner bestellte die Heeres­ver­wal­tung noch einen benzin-elektri­schen Lastzug, bei dem auf dem Maschi­nen­wagen selbst die elektri­sche Kraft mittels zweier Büssing-Motoren von 50 bis 60 PS erzeugt wurde.” Büssing baute daraufhin 1908 einen elektri­schen Lastzug mit fünf Anhängern, die über 18 PS starke Radna­ben­mo­toren angetrieben wurden. Die Zugma­schine hatte zwei 60 PS starke Motoren, die gleich­zeitig den Siemens-Generator zur Strom­erzeu­gung antrieben. Büssing setzte die Hybrid-Zusam­men­ar­beit mit Siemens übrigens sehr erfolg­reich beim Bau von benzin-elektri­schen Schiffs­an­trieben fort.

Durch das Subven­ti­ons­pro­gramm konnte das Heer bei Kriegs­be­ginn auf einen großen Fundus von Lastwagen zugreifen. Die Produk­tion bei Büssing lief auf Hochtouren. Die Braun­schweiger lieferten Lastwagen für den Kriegs­ein­satz, die zum Teil auch für den Schie­nen­be­trieb umgerüstet werden konnten, schwere Schlepper für das Gelände, ein Vielzahl von Sonder­fahr­zeugen und auch einen gepan­zerten Wagen. Der Büssing Panzer­wagen hatte zwei Fahrer­stände und konnte so ebenso schnell vorwärts- wie rückwärts­fahren. Bestückt war er mit vier Maschi­nen­ge­wehren.

Während die Soldaten in verlust­reiche Kämpfe verwi­ckelt waren, wurde die Versor­gungs­lage daheim immer proble­ma­ti­scher. Das Stadt­ar­chiv Braun­schweig bewahrt einen Karton voller Bezugs­marken für beispiels­weise Lebens­mittel, Kleidung, Petroleum und Pflege­mittel wie Seife auf. Für Personen mit anste­ckenden Krank­heiten gab es Seife und Wasch­pulver extra – aller­dings nur auf amtsärzt­liche Beschei­ni­gung. Und für Kinder bis 18 Monate durfte eine Zusatz­seife bezogen werden.

Um die Ernährung in der Stadt zu verbes­sern, eröffnete Mitte 1915 am Alten Eiermarkt die AVG (Abfall-Verwer­tungs­ge­sell­schaft). Ihr Zweck: Die Annahme von Küchen­ab­fällen, Brotresten, Knochen, Kartof­fel­schalen, aber auch alle leeren Konser­ven­dosen. Im Aufruf heißt es: „Bringt sie sauber und frisch den Kaninchen, Hühnern und Schweinen für die unter Futternot leidenden Viehhalter.” Der Aufruf zeigte Wirkung: Täglich 25 bis 30 Zentner Kartof­fel­schalen brachten die Kinder zur Sammel­stelle. Sie bekamen Gutscheine – für 100 Gutscheine gab es ein Kaninchen.

In der Stadt wurde ein Liebes­gaben-Ausschuss gegründet, der Spenden für die Soldaten an der Front sammelte. Laut Liste des Ausschusses waren besonders gefragt: Zigarren, Zigarillos, Zigaretten, Tabak, Kautabak, Brief­ta­schen, Spiegel, Taschen­tü­cher, Handtü­cher, Taschen­messer, Zahnbürsten, Hosen­träger, Fußlappen, Feldpost­karten, Brief­pa­pier, Füllfe­der­halter und vieles mehr.

Die Zeitung „Braun­schweiger Allge­meiner Anzeiger – Verbrei­tetste Braun­schweiger Zeitung” rief zu einer Sammlung der beson­deren Art auf: Sie bat um Spenden von „Fernglä­sern und Pistolen für Unter­of­fi­ziere”. In Anzeigen boten Braun­schweiger Geschäfte wetter­feste, warme Kleidung für den Schüt­zen­graben an sowie Köstritzer Schwarz­bier als Nähr- und Kraftbier für die verwun­deten Krieger.

Die Kinos zeigten heroische Werke mit Titeln wie „Die Einbrin­gung der eroberten franzö­si­schen Kanonen”, „Im Flugzeug über Paris”, „Freuden der Reser­ve­übung – eine tolle Militär­hu­mo­reske”, „Die letzte Abnahme der König­sulanen Hannover durch unseren Kaiser” aber auch Unter­hal­tungs­filme wie z.B. „Der ungetreue Albert” mit der Erläu­te­rung: „Sehr originell – Deutscher Humor – Deutsche Schau­spieler”.

Der Braun­schweiger Flotten-Verein sammelte für die Besatzung des Linien­schiffes “Braun­schweig” mit markigen Worten in einer Anzeige :” …Und welcher Deutsche wird jetzt nicht alles tun, um unsere Blauja­cken gesund und tüchtig zu erhalten, für den Kampf , welcher unserer Flotte noch bevor­steht, der Nieder­wer­fung Englands, dieses Rädels­füh­rers und Draht­zie­hers der verbün­deten feind­li­chen Mächte.” Was der Seemann braucht, wussten der Flotten-Verein natürlich auch: “…auch sind bei kalter stürmi­scher Nacht die Zutaten zu einem wärmenden Punsch sicher nicht unwill­kommen.”

Das Linien­schiff “Braun­schweig” war 1904 bei der Germa­nia­werft in Kiel vom Stapel gelaufen und spielte im Seekrieg allerding keine große Rolle. Sie war 1914 im Wettlauf des Wettrüs­tens vor dem Krieg schon veral­tetet. 1916 wurde das Schiff, das bis zu 750 Mann Besatzung hatte, aus dem Kriegs­dienst genommen und lag danach in Kiel als Exerzier- und Wohnschiff vor Anker.

In der Heimat wurde 1914 der „Hurra-Patrio­tismus” mit Sieges­mel­dungen gepflegt, während auf den hinteren Seiten seiten­lange Verlust­listen und Todes­an­zeigen zu finden waren. Beides spiegelte sich in Gedichten wider, wie sie der „Braun­schweiger Allge­meine Anzeiger” am 5. September 1914 veröf­fent­lichte:

Süß ist es und ehrenvoll…
Manch frommer Held mit Freudig­keit
Hat zugesetzt mit Leib und Blute,
Starb sel’gen Tod auf grüner Heid’
Dem Vaterland zugute.
Kein schön’rer Tod ist in der Welt,
Als wer vom Feind erschlagen,
Auf grüner Heid’, im freien Feld
Darf nicht hör’n groß Wehklagen.

Das Braun­schweiger Infan­te­rie­re­gi­ment 92, das gemeinsam mit dem Stab und der 3. Eskadron der Braun­schweiger Husaren Nr. 17 sowie dem 2. Hanno­ver­schen Infan­te­rie­re­gi­ment Nr. 77 (Standort Celle) die 40. Infan­terie-Brigade bildete, erhielt nach verlust­rei­chen Kämpfen an der Westfront im April 1915 den Marsch­be­fehl an die Ostfront, um die verbün­deten öster­rei­chi­schen Truppen zu unter­stützen.

Wird fortge­setzt

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