Kunst bespielt das Schloss

Klangkünstlerin Neha Thakar. Foto: Susanne Jasper
Klangkünstlerin Neha Thakar. Foto: Susanne Jasper

Meister­schüler der HBK stellen erstmals in der Städti­schen Galerie Wolfsburg aus.

Allein das Wasser­schloss aus der Renais­sance ist schon einen Besuch wert. Gemäch­lich fließt die Aller an dem alten Gemäuer vorbei, weit geht der Blick in den Park. Wer hier eintritt, wähnt sich auf krummen Treppen, umgeben von trutzigen Rundmauern wie aus der Zeit gefallen, zumal in einer derart modernen, zukunfts­ori­en­tierten Stadt wie Wolfsburg. Der starke Kontrast zur Kunst der Gegenwart ist in diesem idylli­schen Ambiente seit vielen Jahren Programm. Denn hier ist die Städti­sche Galerie Wolfsburg zuhause.

Erstmals ist diese renom­mierte Galerie nun Gastge­berin der tradi­ti­ons­rei­chen Meister­schüler-Ausstel­lung der Hochschule für Bildende Künste (HBK) in Braun­schweig. Das Gastspiel, das mit Unter­stüt­zung der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz (SBK) zustande kam, konfron­tiert die acht ausge­wählten Meister­schüler erstmals damit, sich und ihre Arbeit außerhalb der Schutz­mauern der eigenen Hochschule in Szene setzen zu müssen. Da ist das Ambiente des Schlosses, wie sich beim Rundgang erweist, ein ebenso reizvolles wie dominantes Gegenüber. Was sich hier präsen­tiert, hat es nicht so einfach wie in den neutralen Räumen der HBK, sondern muss sich durch­setzen gegen die histo­ri­sche Setzung der Bausub­stanz. Für die Ausstel­lenden eine so reizvolle wie bedeut­same Heraus­for­de­rung, da sich doch Kunst heute zunehmend situativ gestaltet, also in direkter Ausein­an­der­set­zung mit der jewei­ligen Räumlich­keit.

Diesem Gedanken kommt die Konzep­tion der Schau entgegen. Es gibt für alle acht Künstler gemeinsam ein „Macro­dis­play“ in einem großen Saal sowie für jeden einzelnen ein „Micro­dis­play“, das sie raumgrei­fend bespielen. Vor allem die Micro­dis­plays machen den beson­deren Charme der Ausstel­lung aus. Zumal eine Begehung zugleich auch ein Schloss­rund­gang ist, wie man ihn vermut­lich noch nicht erlebt hat. Da kommen sonst verschlos­sene Winkel wie etwa die Gäste­woh­nung in den Blick.

In diesen kargen Kammern haben zwei Künst­le­rinnen starke Instal­la­tionen gebaut. In einem grauen Raum mit zwei Video­schirmen fängt Serena Ferrario die Atmosphäre einer kargen Fremdheit ein. Sie hat an verschie­denen Orten Ost- und Südeu­ropas alltäg­liche Straßen­szenen gefilmt, die sich zu einem fremd-vertrauten Lebens­fluss zusam­men­fügen, in den man als Betrachter unwill­kür­lich eintaucht.

Im Nachbar­zimmer findet sich ein zartes Zelt von Christina Stolz. Tritt man durch den Schleier hinein, so entfaltet sich vor einer Licht­quelle eine fremd­ar­tige Schönheit von Zeichen und geheim­nis­vollen Bildsym­bolen. Auch hier wird eine Fremdheit beschworen, die gerade deshalb ästhe­tisch so verfüh­re­risch wirkt, weil sie nicht zu entschlüs­seln ist.

Kraft­voller, ausgrei­fender gestaltet unterm Schloss­dach Christian Hapke seinen Raum mit Reali­täts­resten und viel Sand: Für den Künstler ein Material, das Vergäng­lich­keit symbo­li­siert, aber auch Erinne­rungen speichert, weil es sich immer wieder neu gestalten lässt, dabei aber dasselbe bleibt.

Sabine Müller hat sich für ihre heiter-filigrane Mischung aus Keramik, Malerei und Zeichnung eine äußerst schmale Kammer ausge­wählt. Wie zu erfahren war, einstmals die Schlaf­statt einer Magd. So wird die Arbeit auf sympa­thi­sche Weise deutbar als der Versuch eine jämmer­liche Behausung heimelig und persön­lich zu machen.

Einen wunderbar passenden Ort für ihre Arbeit hat auch Marlene Bart gefunden. In der alten Druckerei ziemlich weit unten im Bauch des Schlosses hat sie ein eigen­wil­liges Archiv aus Alltags­ge­gen­ständen, Konser­vie­rungen und schema­ti­schen medizi­ni­schen Bildern so angeordnet, dass die Sugges­tion einer abgrün­digen, sehr subjek­tiven, womöglich auch ein wenig okkulten Wissens­kammer entsteht.

Oskar Klink­hammer hingegen schafft Apparate, die Mechanik und organi­sche Struk­turen zusam­men­führen. Dazu skurrile Phantasie-Skulp­turen aus geschmückten Vogel­ske­letten, in Kunstharz gegos­senen Maden, die Assozia­tionen zu exoti­schen Talis­manen oder heidni­schen Götzen hervor­rufen.

Die Klang­künst­lerin Neha Thakar hat ihre Kunst der Umgebung abgelauscht. Sie füllt ihr Micro­dis­play unter anderem mit den Geräu­schen, die das Wasser unter der Oberfläche der Aller macht. Zudem hat sie ein archaisch-modernes, zugleich geister­be­schwö­rendes und techni­zis­ti­sches Instru­ment geschaffen auf dem sie mit einem Geigen­bogen eine Mischung aus Sirenenton und Bohrer­brummen hervor­bringt, zwischen Natur­be­schwö­rung und Natur­be­meis­te­rung.

Überra­schungen hält André Sassen­roth bereit. Wie ein mittel­al­ter­li­cher Kurio­si­täten-Gaukler zieht er mit einer fahrbaren Galerie herum, in welcher er sein Programm im Laufe der Ausstel­lung immer wieder verändern will. So reagieren die jungen Künstler gekonnt und kreativ auf das alte Ambiente. Das Experi­ment darf als gelungen gelten. Zu hoffen bleibt, dass die Meister­schüler in den anderen Räumen viel und auch ein neues, anderes Publikum finden als die üblichen Verdäch­tigen in der HBK.

Wer in der Ausstel­lung im Museum vertreten ist, bewirbt sich zugleich auf das „Meister­schü­ler­sti­pen­dium“ der SBK. Eine zweite Fachjury ermittelt hierbei bis zu drei Preis­träger aus der Ausstel­lung heraus, die ein Arbeits­sti­pen­dium in Höhe von bis zu 6000 Euro für die Dauer eines Jahres erhalten. Im kommenden Jahr werden die Prämierten zudem die Gelegen­heit erhalten, ihre Arbeits­er­geb­nisse in einer Gruppen­aus­stel­lung erneut in der Städti­schen Galerie Wolfsburg zu präsen­tieren.

Alles in allem ist dies der Beginn einer regional vorbild­li­chen Zusam­men­ar­beit, vielleicht sogar der Beginn einer neuen Tradition.

Städti­sche Galerie Wolfsburg
Schloss­straße 8
38448 Wolfsburg
Di.: 13 bis 20 Uhr, Mi. –Fr. 10 bis 17 Uhr, Sa.: 13 bis 18 Uhr, So.: 11 bis 18 Uhr.
Bis 27. August.

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