Neuer Lockdown – das sagen Kultur­schaf­fende der Region dazu

Thomas Hirche kann sein kleines Braunschweiger Theater „Das Kult“ kaum noch wirtschaftlich betreiben. Der neuerliche Lockdown trifft ihn um so härter. Foto: Henning Thobaben / Archiv
Thomas Hirche kann sein kleines Braunschweiger Theater „Das Kult“ kaum noch wirtschaftlich betreiben. Der neuerliche Lockdown trifft ihn um so härter. Foto: Henning Thobaben / Archiv

Das Verständnis für die neue Schlie­ßungs­ver­fü­gung hält sich in Grenzen – vor allem bei den Betrei­bern privater Bühnen.

Als Miriam Paul Anfang des Jahres das Braun­schweiger Figuren­theater Faden­schein übernahm, stürzte sie sich mit Feuer­eifer in die Programm­pla­nung. Am 12. März traf die Ladung mit 7500 Frühjahrs­spiel­plänen zum Verteilen ein – für die Tonne. Einen Tag später musste sie das Theater schließen. Gestern erhielt das Faden­schein die Programm-Flyer für November und Dezember, quasi zeitgleich mit der Nachricht vom erneuten Lockdown. „Das ist schon bitter“, sagt Yvonne Uhlig, die Sprecherin der kleinen Privat­bühne.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 29.10.2020 (Bezahl-Artikel)

Wo man sich gestern umhört, herrscht bei Kultur­schaf­fenden eine Mischung zwischen leiser Verzweif­lung, stoischem Zähne­zu­sam­men­beißen und Galgen­humor. Dass auch Theater vom neuer­li­chen Lockdown betroffen sind, sehen viele kritisch – äußern das aber unter­schied­lich deutlich, je nachdem, ob sie öffent­liche geför­derte Häuser leiten oder Privat­theater, an denen ihre Existenz hängt.

Braun­schweigs Altstadt-Komödie hat ein „folgsames Publikum“

Letztlich sei ihm der Lockdown sogar lieber als die unklare Lage der letzten Tage, sagt etwa Florian Batter­mann, Chef der Braun­schweiger Komödie am Altstadt­markt. Frühere Appelle der Kanzlerin, besser zu Hause zu bleiben, hätten bereits zu deutlich schlechter besuchten Vorstel­lungen geführt. „Unser Publikum ist da durchaus folgsam.“

Genau deshalb aber sei es so unfair, „dass wir nun erneut praktisch ein Berufs­verbot erhalten“, grummelt Batter­mann. „Wir hatten hier keinen einzigen Infek­ti­ons­fall. Dann hätte sich das Gesund­heitsamt gemeldet, denn wir sammeln ja die Kontakte von jedem Besucher.“ Auch dank moderner Lüftungs­technik sei es in der Komödie praktisch sicherer als zuhause.

20.000 Euro Unter­stüt­zung hat Batter­mann nach eigenen Angaben bisher von Stadt und Land erhalten. Demge­gen­über stünden schon jetzt Minder­ein­nahmen von mehr als 500.000 Euro. Nun der neuer­liche Lockdown. Und es sei ja keines­falls sicher, dass der wirklich Anfang Dezember ende. „Und was passiert im Januar?“, fragt Batter­mann. Er setzt nun auf die Ankün­di­gung von Finanz­mi­nister Olaf Scholz, vom neuer­li­chen Lockdown Betrof­fene mit 75 Prozent der Einnahmen des entspre­chenden Vorjah­res­zeit­raums zu entschä­digen, auch wenn diese zunächst für Soloselb­stän­dige gilt. Angesichts der unver­schul­deten Schlie­ßungs­ver­fü­gung wäre dies das Mindeste, so Batter­mann.

Großer Durch­hal­te­wille im Figuren­theater Faden­schein

Zurück ins Faden­schein. Der neue Lockdown treffe das Theater hart, weil November und Dezember Haupt­saison seien, sagt Sprecherin Yvonne Uhlig. Durch die Reduktion der Zuschau­er­ka­pa­zität von 120 auf 40 arbeite man aller­dings oft unwirt­schaft­lich, zumal Kinder­gärten und Schulen nur noch mit kleinen Gruppen kämen und oft nicht mal alle Plätze füllten.

„Aber meine Chefin Miriam Paul hat sich den Enthu­si­asmus bewahrt und will weiter unbedingt Theater gerade für Kinder bieten“, sagt Uhlig. Nun arbeite man sich mit viel Aufwand durch zahlreiche Förder­an­träge und hoffe etwa auf Mittel für eine neue Belüftung. Es habe aber auch unbüro­kra­ti­sche Unter­stüt­zung gegeben, etwa von der Braun­schwei­gi­schen Stiftung.

In seinem kleinen Braun­schweiger Privat­theater „Das Kult“ hat Leiter Thomas Hirche nur noch 30 statt 90 Plätze zur Verfügung. Auch er zahle bei Gastspielen auswär­tiger Künstler teils sogar drauf, erzählt Hirche. Denn die erhielten 70 Prozent des Eintritts plus Kost und Logis. Finan­ziell lohnten sich die Auftritt auch für sie kaum. Aber sie hätten zumindest ein paar Einnahmen, „und wir alle wollen den Menschen gerade jetzt auch ein wenig gute Unter­hal­tung bieten“. Dass nun trotz aller – erfolg­rei­chen – Bemühungen um Infek­ti­ons­si­cher­heit im Kult „den Menschen die Kultur wieder wegge­nommen wird“, ärgert Hirche. Auch er erwartet eine Entschä­di­gung.

Inten­danten der Theater in Wolfsburg und Braun­schweig äußern sich zurück­hal­tend

Zurück­hal­tender äußern sich die Inten­danten des Theaters Wolfsburg Dirk Lattemann und des Staats­thea­ters Braun­schweig Dagmar Schling­mann. Angesichts der rapide steigenden Infek­ti­ons­zahlen sei ein harter Einschnitt nötig gewesen. „Aber ich hätte mir mehr Diffe­ren­zie­rung gewünscht. Wir haben einen Kultur­auf­trag, und ich glaube, dass er für den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt wichtig ist“, sagt Lattemann. Dass Insti­tu­tionen, in denen das Infek­ti­ons­ri­siko erfah­rungs­gemäß sehr gering sei, trotzdem geschlossen würden, „fühlt sich etwas ungerecht an“.

Auch Dagmar Schling­mann hadert ein wenig damit, „dass Theater von der Politik als Freizeit­ein­rich­tungen wie Schwimm­bäder und Sport­stu­dios einge­ordnet werden“ – und nicht als Bildungs­ein­rich­tungen. Trotzdem habe die Politik reagieren müssen und das diesmal immerhin bundes­weit einheit­lich getan. Gut und wichtig sei die Ankün­di­gung, freischaf­fende Künstler mit 75 Prozent der Einkünfte des Vergleichs­zeit­raums zu entschä­digen: „Auch bei uns haben ja nicht alle feste Verträge.“ Die vier für November geplanten ausver­kauften Premieren würden nun im Dezember statt­finden, Karten­in­haber angeschrieben. Immerhin dürfe der Proben­be­trieb diesmal weiter­laufen.

Kommentar von Florian Arnold

Das Verspre­chen der Politik, Kultur­schaf­fende diesmal für den Lockdown zu entschä­digen, muss eingelöst werden. Denn sachlich gibt es keinen Grund für deren Berufs­verbot. Aus Kinos, Museen und Theatern sind keine nennens­werten Infek­ti­ons­fälle bekannt. Mag sein, dass die Politik bei der Steuerung von 80 Millionen Menschen in einer Pandemie nicht allzu diffe­ren­ziert vorgehen kann und eine klare Richtung vorgeben muss. Klar wird aber auch: Dass Kultur unver­zichtbar sei, sagen Politiker in Sonntags­reden – in Krisen­zeiten gilt das nicht.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 29.10.2020 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/kultur/article230793812/Neuer-Lockdown-das-sagen-Kulturschaffende-der-Region-dazu.html (Bezahl-Artikel)

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