Odyssee eines jahrhun­der­te­alten Portals

Nur das Portal der Hagenmarkt-Apotheke (links) überstand die Kriegszerstörung. Heute ist es auf der Nordseite des Gewandhauses eingebaut. Foto: Archiv: Ostwald
Nur das Portal der Hagenmarkt-Apotheke (links) überstand die Kriegszerstörung. Heute ist es auf der Nordseite des Gewandhauses eingebaut. Foto: Archiv: Ostwald

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 33: Nach dem Krieg vom Hagen­markt zum Altstadt­markt  trans­por­tiert.

Das überaus prächtige Portal, das heute vom Altstadt­markt aus in den großen Sitzungs­saal der Industrie- und Handels­kammer führt, wirkt auf Betrachter so, als wäre es schon immer dort als prägendes Bauteil verbaut gewesen. Touristen würde nie in den Sinn kommen, dass es eigent­lich gar nicht an diesen Platz gehört. Tatsäch­lich ist es aber erst nach dem Krieg (1950) dort integriert worden.

Nach seiner kleinen Odyssee ist das Renais­sance­portal des hiesigen Bildhauers Wolter Hasemann (vor 1580 geboren und am 11. Juli 1614 in Braun­schweig gestorben) nun ein bedeu­tender Blickfang der wunder­schönen „Tradi­ti­ons­insel“ Altstadt­markt vor allem mit dem Marien­brunnen, dem Gewand­haus und dem Altstadt­rat­haus. Übrigens ist auch der Fachwerk­anbau am Gewand­haus erst im Zuge des Aufbaus der Tradi­ti­ons­insel von Rüningen dorthin gekommen. Es steht symbo­lisch für die früheren Fachwerk­häuser, die am Gewand­haus anlehnten. Dort befand sich auch das sogenannte “Klipphaus”, in dem sich die Klipp­stube befand – ein Lokal der reichen Patrizier. Von dort gelangte man auch in den Gewand­haus­keller.

Neben dem Altstadt­markt zählen mit dem Burgplatz, dem Magni­viertel, dem Quartier St. Aegidien und dem Michae­lis­viertel vier weitere Bereiche zu den bemer­kens­werten Tradi­ti­ons­in­seln, die nach dem Krieg konzi­piert wurden. Um in Teilen an das frühere Stadtbild Braun­schweigs zu erinnern, wurden ganze Gebäude, die noch erhalten waren, oder eben Teile wie das Portal an entspre­chende Stellen versetzt. Die alte Fachwerk­stadt zählte mit ihrem weitge­hend mittel­al­ter­lich geblie­benem Grundriss zu den bedeu­tendsten in Europa. Im Zweiten Weltkrieg war die Innen­stadt jedoch zu 90 Prozent zerstört worden. Die Idee zu den heute so beliebten Tradi­ti­ons­in­seln hatte der damalige Landes­kon­ser­vator Dr. Kurt Seelecke umgesetzt. Ihm zu Ehren wurde deswegen der Bereich zwischen Magni- und Stein­tor­wall 2009 Kurt-Seeleke-Platz getauft.

Das Portal hatte zuvor am Hagen­markt gestanden und war dort von der Markt­seite her Eingang zur dortigen Apotheke.  Es zieren zwei Karya­tiden (das sind säulen­tra­gende Figuren), die Inschrift „Verbum Domini Manet in Aeternum“ („Das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit“, übrigens ein Motto der Refor­ma­tion) und das Wappen mit dem Stadt­löwen. Wie durch ein Wunder überstand das Portal die Bomben­nächte weitge­hend unbeschä­digt und wurde schon 1949/50 an der Nordseite des Gewand­hauses eingefügt.

Die dort befind­liche Treppe gehört heute zu den am meisten fotogra­fierten Objekten in unserer Stadt – aber nicht etwa aufgrund des wunder­schön restau­rierten Tores, sondern weil sich dort gerne alle „Losge­spro­chenen“, beendeten Kurse und Seminare dort zu einem Gruppen­foto aufstellen.

Die heutige Anzahl von Apotheken in Braun­schweig ist bemer­kens­wert, gab es doch in den vergan­genen Jahrhun­derten nur sehr wenige. 1309 ist eine erste Apotheke in den Chroniken der Stadt vermerkt. Seit 1479 bestand am Eiermarkt die Rats-Apotheke. Dort arbeitete ein „geprüfter Apotheker“ auf Rechnung des Stadt­rates als Pächter. Dann folgten, wie überall in Europa, von den Fürsten privi­le­gierte Apotheken 1677 und 1720 am Hagen­markt und die Hof-Apotheke (Sack). Zusätz­lich gab es illegale oder sogenannte „Winkel-Apotheken“, die auf eigene Rechnung arbei­teten.

Zur Regie­rungs­zeit Herzog Carl I. wurden dann die drei bestehenden, offizi­ellen Apotheken 1750 vom Staat gekauft und zusammen mit der neu gegrün­deten Aegidien-Apotheke als Staats­apo­theken betrieben. Hier waren die Apotheker nicht mehr als Eigen­tümer, sondern nur als Verwalter tätig. Dieses in der Apothe­ker­ge­schichte einmalige Experi­ment schei­terte 1770, so dass es danach wieder vier privi­le­gierte Apotheken in Braun­schweig gab. Erst 1889 wurde die Anzahl der zugelas­senen Apotheken durch neue Personal-Konzes­sionen erhöht.

Die Hagen­markt-Apotheke auf dem Grund­stück Hagenmarkt/Ecke Wenden­straße wurde bereits im 13. Jahrhun­dert mit einem Fachwerkbau und einer angefügten Kemenate errichtet. Seit 1677 befand sich in dem Gebäude eine fürstlich privi­le­gierte Apotheke, die zunächst von Andreas Zacharias Happe betrieben wurde, in der Folgezeit von wechselnden Apothe­kern, im 19. Und 20. Jahrhun­dert dann durch die Familien Grote und Bohlmann.

Bis zur großen Bombar­die­rung der Stadt und der dabei erfolgten Zerstö­rung der Hagen­markt-Apotheke stand dort ein Gebäude, das vermut­lich um 1590 von dem Großen Bürger­meister des Hagen, Augustin von Peine, errichtet wurde. Das statt­liche Gebäude wies zwei massive Geschosse auf, darüber befand sich ein Fachwerk­teil mit geschmückten Schwell­balken, das an der Markt­seite 18 Spann und an der Wenden­straße 17 Spann lang war.

Seit 1951 befindet sich die Hagen­markt-Apotheke nun in einem Neubau, der aufgrund der Verbrei­te­rung der Wenden­straße eine Fußgän­ger­pas­sage erhielt. Gegenüber wurde in dem Backstein­ge­bäude das Einwoh­ner­mel­deamt unter­ge­bracht. Der Reise­schrift­steller Friedrich Gerstä­cker verfasste mit seinem Roman „Im Eckfenster“ einen der ganz frühen Detek­tiv­ro­mane der deutschen Literatur, der rund um den Hagen­markt im 19. Jahrhun­dert spielte. Das „Eckfenster“ mit großen Schau­fens­tern (eigent­lich ein Möbel­ge­schäft) befand sich gegenüber der Apotheke, und in beiden Gebäuden spielen wichtige Ereig­nisse der Geschichte.

Fotos

Das könnte Sie auch interessieren

  • Sogar die Katha­ri­nen­kirche galt als Hindernis

    Sogar die Katha­ri­nen­kirche galt als Hindernis

    Braunschweigs Plätze, Folge 17: Der alte Hagenmarkt mit seinen einst palaisartigen Wohnbauten mutierte zu einer Verkehrsdrehscheibe. Weiterlesen

  • Im Schatten von St. Martini

    Im Schatten von St. Martini

    Verschwundene Kostbarkeiten, Folge 30: Heydenstraße, Sonnenstraße und Turnierstraße Weiterlesen

  • Aus dem Museum zurück auf die Straße

    Aus dem Museum zurück auf die Straße

    Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 12: Fachwerk­haus Hinter der Magni­kirche 4 Dieses ist die skurrile Geschichte von der Odyssee eines jahrhun­der­te­alten Fachwerk-Doppel­haus, das einst am Kohlmarkt stand. Es wurde mitsamt Spruch­balken, die in Teilen bereits nahezu eine Ewigkeit im Museum gelagert hatten, an seinem neuen Standort im Magni­viertel wieder aufgebaut. Es füllte Kriegs­lücke… Weiterlesen