Aus dem Museum zurück auf die Straße

Haus Hinter der Magnikirche 4 hat eine Kriegslücke geschlossen. Foto: Thomas Ostwald
Haus Hinter der Magnikirche 4 hat eine Kriegslücke geschlossen. Foto: Thomas Ostwald

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 12: Fachwerk­haus Hinter der Magni­kirche 4

Dieses ist die skurrile Geschichte von der Odyssee eines jahrhun­der­te­alten Fachwerk-Doppel­haus, das einst am Kohlmarkt stand. Es wurde mitsamt Spruch­balken, die in Teilen bereits nahezu eine Ewigkeit im Museum gelagert hatten, an seinem neuen Standort im Magni­viertel wieder aufgebaut. Es füllte Kriegs­lücke und bietet heute mit den anderen Häusern den Eindruck einer intakten Fachwerk­zeile. Es wirkt, als gehörte es schon immer dahin. Es ist zweifellos ein Beleg dafür, dass das Konzept der Tradi­ti­ons­in­seln im Nachkriegs-Braun­schweig eine sehr gelungene Idee war.

Die Tradi­ti­ons­in­seln sind fünf Quartiere, die nach altem Vorbild wieder aufgebaut wurden. Neben dem Magni­viertel zählen noch der Burgplatz, das Michaelis-Viertel, der Altstadt­markt und das Viertel um St. Aegidien dazu. Im Krieg waren 90 Prozent der Innen­stadt durch Bomben­an­griffe zerstört worden. Der Angriff am 15. Oktober 1944 war der schlimmste von insgesamt 42.

Zurück zu unserem eigent­li­chen Thema dieser Folge: Auf dem Kohlmarkt in Braun­schweig stand bis zum Jahre 1544 die Kirche St. Ulrici. Durch Ratsbe­schluss wurde sie angeblich aufgrund ihrer Baufäl­lig­keit abgerissen, wahrschein­lich aber aufgrund von Patronat-Strei­tig­keiten zwischen dem Herzog und dem Rat der Altstadt. Dieser geschichts­träch­tige Platz fand seine erste Erwähnung im Jahr 1342 als „uppe deme kolemarkede“ – aller­dings wurde hier kein Kohl verkauft, sonder auf dem Platz lagerte man die Holzkohle der Köhler aus dem Hart.

Der Kohlmarkt ist ein „Klint“, also eine Erhebung aus dem Sumpf der Oker und bereits um das Jahr 1000 besiedelt. 1979/80 hat man dort Grabungen vorge­nommen und die Existenz einer karolin­gi­schen Holzkirche inmitten eines Gräber­feldes für die 2. Hälfte des 9. Jahrhun­derts nachweisen können. Mit einer Vertie­fung und Schau­kästen erinnerte man an diese Kirche, die dem Heiligen Ulrich geweiht war. In den späteren Jahren wurde diese Vertie­fung wieder entfernt, heute erinnert an den Kirchenbau ein farblich verän­dertes Pflaster.

Die Gemeinde von St. Ulrici zog also nach dem Kirchen­ab­riss um in das ehemalige Franzis­ka­ner­kloster Hintern Brüdern. Seitdem heißt diese Gemeinde St. Ulrici – Hintern Brüdern.

Auf dem Kohlmarkt stand auch ein präch­tiges Fachwerk­haus, das 1514 erbaut wurde und zugleich als Pfarrhaus und Witwen­haus diente. Doch wurde es schon recht schwierig, nach dem Tode eines Pfarrers Amtsnach­folger zu finden, weil diese sich in der Regel um die Witwe ihres Vorgän­gers zu kümmern hatten. Bis in das 18. Jahrhun­dert hinein verhin­derte in vielen Regionen die Nutzung der Pfarr­pfründe durch die Witwe und ihre Kinder häufig die Neube­set­zung der vakanten Pfarr­stelle, so dass man teilweise dazu überging, dem neuen Pfarrer die Pfarr­witwe zur Versor­gung zu überlassen. Einheit­liche Regelungen für die Pfarr­witwen gab es nicht, so dass die Entschei­dung der jewei­ligen Landes­kirche blieb. Noch Ende des 19. Jahrhun­derts wurde in Preußen eine Regelung beschlossen, nach der die „Gnaden­zeit“ für die fortlau­fenden Bezüge auf ein halbes Jahr festge­setzt wurde (Quelle: O. Janz, Bürger beson­derer Art. Evange­li­sche Pfarrer in Preußen…)

Das Pfarrhaus am Kohlmarkt 4 wurde zunächst ander­weitig genutzt, stand auch längere Zeit leer, wurde dann aber erst 1895 zur Hälfte abgerissen, und der erste Teil des Spruch­bal­kens kam ins Städti­sche Museum. Der zweite Teil des Hauses überstand den Weltkrieg und wurde 1954 abgerissen. Bei der Rekon­struk­tion des Hauses Hinter der Magni­kirche 4 verwen­dete man dann die Reste des Abrisses und fügte den gesamten Spruch­balken wieder ein.

Den schönen Spruch­balken, der seine Inschrift erst dann entfaltet, wenn man alle Teile hinter­ein­ander liest, konnte man auf seine alte Länge hin nicht verwenden, auch er musste gekürzt werden und findet sich nun in Teilen vom Zwerch­haus, dem Giebelaufbau des Hauses, bis über den Eingang verteilt – eine solche Verwen­dung eines Spruch­bal­kens bzw. des vorra­genden Schwell­bal­kens zwischen Erdge­schoß und oberem Stockwerk, hatte es sonst nie gegeben.

Wer nun einmal in die lauschige Fachwerk­ecke hinter der St. Magni-Kirche geht und das Haus neben dem überbauten Torbogen (auch diese Aufbauten erfolgten aus erhal­tenen Balken in der Nachkriegs­zeit) und den „laufenden Spruch­balken“ betrachtet, wird große Mühe haben, die Schrift entzif­fern können, denn die latei­ni­sche Inschrift weist zu allem Überfluss auch noch Abkür­zungen aufweist. Die Ergän­zungen muss sich der Betrachter also dazu denken. Vollständig würde der Text wie folgt lauten:

„Anno Domini Milesimo.
Quingen­te­simo Decimo quarto Georgius Irren­berch bruno­vi­ensi
Rector hui(us) ecclesie i(n) Honore(m) divi Udalrici ep(iscop)i
(an)ctor(um) conpatron(orum)
Damiani ha(n)c Domu(m) cosme et f(ieri) fec(i)t“

Und um das Rätsel aufzu­lösen, folgt hier die Überset­zung:

Im Jahre des Herrn 1514 ließ Georg Irrenberg von Braun­schweig
Rektor dieser Kirche
zu Ehren des heiligen Bischofs Ulrich und seiner Mithei­ligen Cosmas und Damian
dieses Haus erbauen“

Fotos

Das könnte Sie auch interessieren