Die „Iraner­ar­beit“ ist eine Herzens­an­ge­le­gen­heit

Pastor Thomas Seifert beim Gottesdienst in der Paul-Gerhardt-Gemeinde, Foto: privat
Pastor Thomas Seifert beim Gottesdienst in der Paul-Gerhardt-Gemeinde, Foto: privat

Pastor Thomas Seifert und die Paul-Gerhardt-Gemeinde im Heidberg gelingt eine vorbild­liche Integra­tion.

Ausgangs­punkt der beein­dru­ckenden „Iraner­ar­beit“ waren für den Braun­schweiger Pastor Thomas Seifert seine frühere Tätigkeit im Armen­viertel eines riesigen Hütten­dorfs am Rande der Kalahari-Wüste und ein überra­schender Brief eines Berliner Pastors, der ihn in die Landes­auf­nah­me­be­hörde in der Boese­la­ger­straße zu einer Familie führte, die unter schwie­rigsten Umständen aus dem Iran geflüchtet war. Mutter, Vater und ein 14 Jahre alter Sohn. Sie fragten ihn, ob er ihnen nicht christ­li­chen Unter­richt erteilen könne. Das war 2012. Heute, fast zehn Jahre später, sind mehr als 100 aus dem Iran stammende Christen in der selbst­stän­digen Evange­lisch-Luthe­ri­schen Paul-Gerhardt-Gemeinde im Heidberg integriert und viele weitere ehemalige Iran-Flücht­linge, die in der Landes­auf­nah­me­be­hörde in der Boese­la­ger­straße einst angekommen waren, wurden von Pastor Seifert getauft und halten seither engen Kontakt.

24 Jahre in Afrika

Pastor Thomas Seifert. Foto: privat
Pastor Thomas Seifert. Foto: privat

Seifert, der eigent­lich Ingenieur werden wollte, kam durch den Einfluss eines in Deutsch­land arbei­tenden Missio­nars zum Theolo­gie­stu­dium. Nahezu 24 Jahre lang arbeitete er danach in Afrika. Seine drei erwach­senen Kinder kamen in Botswana zur Welt. Nach dem Tod seiner ersten Frau (2005) entschied er sich aber, nach Deutsch­land zurück­zu­kehren (2009). „Ich weiß, dass der Glaube die Kraft hat, echte Lebens­hilfe im Alltag zu schenken“, sagt Thomas Seifert. Die „Iraner­ar­beit“ ist ihm eine Herzens­an­ge­le­gen­heit, Beleg für seine These und auch ein persön­li­ches Geschenk, denn er kann seinen Glauben und die christ­liche Botschaft weiter­geben, so wie er das auch in Afrika getan hatte. Es freut ihn, dass seine „Iraner­ar­beit“ auf so frucht­baren Boden gestoßen und längst auch in seiner ihm anver­trauten Gemeinde etabliert ist.

„Die Gruppe in der Boese­la­ger­straße wuchs schnell. Viele waren in ihrer Heimat verfolgte Christen und mussten wegen ihres Glaubens fliehen. Andere wiederum hatten Gott bislang nie als gütigen Vater kennen­ge­lernt, sondern immer nur als drohende Instanz. Zum Glück kam früh ein Ehepaar hinzu, das einen Verwandten mitbrachte, der im Iran Philo­so­phie­pro­fessor gewesen war und fließend Englisch sprach. Er konnte die Bibel­le­sungen in die persische Sprache Farsi übersetzen und erleich­terte mir den Zugang zu den geflüch­teten Iranern erheblich“, berichtet Pastor Thomas Seifert von den Anfängen.

Lebhaftes Gemein­de­leben

Entwi­ckelt hat sich daraus ein lebhaftes Gemein­de­leben. Gottes­dienste in der Paul-Gerhardt-Gemeinde enthalten stets Teile in deutscher und in persi­scher Sprache. Mehr als akzep­tiert wird das von den Gottes­dienst­teil­neh­mern. „Ich habe in meiner Zeit in Afika gelernt, dass Menschen ganz andere Wertmaß­stäbe, Vorstel­lungen, Priori­täten in der Lebens­ge­stal­tung und im Glaubens­leben haben können, als man sie selbst für richtig und selbst­ver­ständ­lich hält und dass einige davon wertvoll und berei­chernd sind“, sagt Thomas Seifert. Er würde sich wünschen, auch geflüch­teten Menschen aus anderen Ländern zu helfen, aber seine Kapazi­täten und die der Gemeinde sind begrenzt. Vielleicht kann seine „Iraner­ar­beit“ aber andere Theologen und Gemeinden motivieren, ähnlich aktiv zu werden.

In seiner Paul-Gerhardt-Gemeinde empfinden die aller­meisten die Teilhabe der Neubür­ge­rinnen und ‑bürger aus dem Iran tatsäch­lich als Berei­che­rung. An vielen Wochen­enden reisen mittler­weile bestens integrierte Iraner aus ganz Nieder­sachsen an, die einst in der Boese­la­ger­straße als Flücht­linge angekommen waren und Pastor Seifert kennen­ge­lernt hatten, um sonntags am Gottes­dienst in Braun­schweig teilzu­nehmen. Sie kommen wie selbst­ver­ständ­lich in Familien der Gemeinde unter. Es findet ein Austausch auf Basis des christ­li­chen Glaubens und vor allem auf Augenhöhe statt. So geht gelungene Integra­tion. Aktuell finden die Gottes­dienste wegen der Corona-Pandemie online statt. Aber es kommen wieder bessere Zeiten, hofft nicht nur Pastor Thomas Seifert.

Fakten:

Die Paul-Gerhardt-Gemeinde im Heidberg entstand nach dem zweiten Weltkrieg und war kirch­liche Heimat altlu­the­ri­scher Flücht­linge aus den ehema­ligen deutschen Ostge­bieten. Namens­geber Paul Gerhardt (1607 – 1676) war ein bedeu­tender evange­lisch-luthe­ri­scher Theologe und Dichter von Kirchen­lie­dern. Seit dem Zusam­men­schluss verschie­dener luthe­ri­scher Bekennt­nis­kir­chen im Jahr 1972 gehört die Gemeinde zur Selbstän­digen Evange­lisch-Luthe­ri­schen Kirche (SELK). Die SELK finan­ziert sich nicht aus Steuern, sondern aus Beiträgen, Kollekten und Spenden. Sie ist Teil der Arbeits­ge­mein­schaft Christ­li­cher Kirchen (ACK) in Deutsch­land.

 

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