Ricarda Huch schei­terte an der Bürokratie

Ricarda Huch. Archiv: IBR
Ricarda Huch. Archiv: IBR

Geschichte(n) aus dem Braun­schwei­gi­schen, Folge 5: Schrift­stel­lerin erhielt, obwohl in Braun­schweig geboren, nie die braun­schwei­gi­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit.

Für Thomas Mann war sie 1924 „die erste Frau Deutsch­lands, wahrschein­lich die erste Europas“ und dieses ungewöhn­liche Urteil wurde nur noch von dem ihres Kölner Verlegers Joseph Caspar Witsch übertroffen: „Ricarda Huch ist die größte europäi­sche Schrift­stel­lerin. Ich wüsste auch … keinen Autor zu nennen – nicht einmal Thomas Mann –, keinen franzö­si­schen und keinen engli­schen, der ihr gewachsen wäre an Univer­sa­lität … wir müssen schon fast zu Goethe zurück­gehen und zu den großen Erschei­nungen des 18. Jahrhun­derts in Frank­reich und England, um Entspre­chendes zu finden.“

Octavia Ricarda Huch wurde am 18. Juli 1864 in Braun­schweig geboren, wie ihr Taufschein unzwei­fel­haft belegt. Sie zählt zu den großen und berühmten Persön­lich­keiten der an Kultur und Literatur so bedeu­tenden Stadt und Region Braun­schweig. In ihren „Städte­bil­dern“ ebenso wie in ihren autobio­gra­phi­schen Schriften hat Ricarda Huch der Stadt Braun­schweig bedeut­same Denkmäler der litera­ri­schen Erinne­rungs­kultur geschaffen. Aus vielfäl­tigen Gründen war aller­dings ihr Verhältnis zu Braun­schweig und der Braun­schweiger Gesell­schaft zwiespältig geblieben, doch stets hat sie sich mit großer Überzeu­gung zu ihrer Heimat­stadt Braun­schweig bekannt.

Heimat­stadt Braun­schweig? Als Geburts­stadt ist Braun­schweig auf jeden Fall belegt. Dies bedeutete offenbar aber nicht, dass sie auch braun­schwei­gi­sche Staats­bür­gerin war. Zumindest bestanden bei den braun­schwei­gi­schen Behörden gravie­rende Zweifel an dieser Tatsache. 1887 war Ricarda Huch bekannt­lich nach Zürich umgezogen, um ein Studium an der einzigen deutsch­spra­chigen Univer­sität, die zu dieser Zeit Frauen zum Studium zuließ, zu absol­vieren. Innerhalb eines Jahres erwarb sie in Zürich die Hochschul­reife und studierte an der dortigen Univer­sität das Fach Geschichte, das sie 1891 mit einer exzel­lenten Doktor­ar­beit zur Schweizer Geschichte erfolg­reich abschloss. Es folgten eine Anstel­lung als Biblio­the­karin an der Stadt­bi­blio­thek Zürich, das Oberleh­rer­ex­amen und die Beschäf­ti­gung als Deutsch­leh­rerin an einer privaten Mädchen- und Höheren Töchter­schule. 1893 erschien Ricarda Huchs erster Roman „Erinne­rungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren“.

In diesen Zürcher Jahren benötigte sie für die Schweizer Behörden einen Nachweis ihrer braun­schwei­gi­schen Staats­bür­ger­schaft.  Eigent­lich eine bloße Forma­lität, war Ricarda Huch doch nachweis­lich 1864 in Braun­schweig geboren worden. Daher schrieb sie am 19. September 1892 an den Stadt-Magistrat von Braun­schweig: „Laut des beilie­genden Taufscheines am 18. Juli 1864 zu Braun­schweig geboren, bis 1887 in Braun­schweig wohnhaft gewesen, war ich bislang der Ansicht, dass ich auch braun­schwei­gi­sche Staats­an­ge­hö­rige sei.“ Ihre vorsich­tige Skepsis, die sich in diesen Worten andeutete, war offenbar berech­tigt.

Ein längerer Brief­wechsel zwischen den Ämtern von Zürich und Braun­schweig setzte ein, der am 18. November 1893 die überra­schende und erstaun­liche Feststel­lung der Herzog­li­chen Polizei­di­rek­tion Braun­schweig enthielt: „Ich beehre mich hinzu­zu­fügen, dass den neuer­dings diesseits angestellten Ermitt­lungen zufolge Frl. Ricarda Huch die Braun­schwei­gi­sche Staats­an­ge­hö­rig­keit nicht besitzt, die entge­gen­ste­hende Angabe auf anlie­gendem Atteste muß auf einem Irrthum beruhen.“ Ganz offenbar war man es in der braun­schwei­gi­schen Staats­bü­ro­kratie leid, sich mit dieser Frage weiter zu beschäf­tigen.

Tatsäch­lich wurde Ricarda Huch, der bedeu­tendsten Schrift­stel­lerin Braun­schweigs, auch in der Folgezeit die Staats­an­ge­hö­rig­keit in Braun­schweig nicht zugespro­chen. Trotz dieser amtlichen Feststel­lung aber bleibt die Tatsache: Ricarda Huch ist eine Literatin und Histo­ri­kerin, die mit ihrem Werk bis in die Gegenwart aktuell und lesens­wert bleibt, gerade auch im Jahr 2018 mit ihrem großar­tigen Werk zum „Dreißig­jäh­rigen Krieg“.

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