Von Braun­schweig in die Welt

Museumsleiterin Dr. Heike Pöppelmann und Kuratorin Bettina Gierke führen durch die Ausstellung. Foto: Team Der Löwe
Museumsleiterin Dr. Heike Pöppelmann und Kuratorin Bettina Gierke führen durch die Ausstellung. Foto: Team Der Löwe

Das Braun­schweiger Landes­mu­seum lädt ein zur leben­digen Ausein­an­der­set­zung mit der jüdischen Geschichte in der Löwen­stadt.

Wieder einmal haben das Team des Landes­mu­seums Braun­schweig um die Direk­torin Dr. Heike Pöppel­mann und ihre Kuratorin Bettina Gierke das ganze Kloster und die angren­zenden Gebäude von St. Ägidien für ihre Ideen genutzt. Und wieder einmal, wie bei der unlängst gelau­fenen Doppel-Ausstel­lung zu dem Fotografen Uwe Brodmann, die zugleich im Städti­schen Museum gezeigt wurde, oder der auch der ästhe­tisch so eindrucks­vollen Präsen­ta­tion zum Jugend­stil, eröffnet das Landes­mu­seum einen doppelten Blick in die Welt und die Stadt und in Vergan­gen­heit und Gegenwart zugleich.

Und so erzählen die beiden Museums­ma­che­rinnen bei einem gemein­samen Gang durch die Räume voller Begeis­te­rung Geschichten und Details zu den drei noch bis zum 26. Oktober gezeigten Ausstel­lungen.

Neben der Video­in­stal­la­tion „Memory of maybe tomorrow“ von Sarai Meyron, ist die Fotoaus­stel­lung „A place of our own“ der Fotografin und Künst­lerin Iris Hassid zu sehen, die den Alltag von vier jungen paläs­ti­nen­si­schen Studen­tinnen in Tel Aviv, alle vier mit israe­li­scher Staats­bür­ger­schaft im Zeitraum von 2014–2020 dokumen­tierte. Zu guter Letzt rückt mit Ephraim Mosche Lilien ein Braun­schweiger Grafiker und Intel­lek­tu­eller in den Blick, der von 1874–1925 lebte und zahlreiche, z.T. ikonische religiöse Visua­li­sie­rungen und Bilder des modernen Judentums prägte.

100 Jahre Hornburger Synagoge – Kultur­schatz im Landes­mu­seum

Anlass für diesen Ausstel­lungs­reigen, dessen Planungen bis weit vor den 7. Oktober 2024 zurück­gehen, ist das 100-jährige Jubiläum der Erstprä­sen­ta­tion der Hornburger Synagoge im Braun­schweiger Landes­mu­seum. Ziel von Heike Pöppel­mann ist es, die mehr als 1.000 Objekte zählende Judaica-Sammlung des Braun­schwei­gi­schen Landes­mu­seums, die zu den histo­risch bedeu­tendsten in Deutsch­land gehört, verstärkt in das Bewusst­sein der Besuche­rinnen und Besucher zu rücken.

Innenansicht der Hornbürger Synagoge. Foto: Team Der Löwe
Innen­an­sicht der Hornbürger Synagoge. Foto: Team Der Löwe

Diese Sammlung war schon bald nach der Gründung des Vater­län­di­schen Museums 1891 bis gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Teil der Dauer­aus­stel­lung. Ein zentraler Bestand­teil war die fast vollständig erhaltene barocke Innen­ein­rich­tung der Synagoge aus der Landge­meinde Hornburg, die seit 1924 im Braun­schwei­gi­schen Landes­mu­seum bewahrt wird.

Nach aufwen­digen Sanie­rungs­maß­nahmen in den Jahren 2019 bis 2021 wurde rund um die einzig­ar­tige Synago­gen­ein­rich­tung eine neue Dauer­aus­stel­lung konzi­piert und einge­richtet. Während die Video­in­stal­la­tion direkt hier zu sehen ist, werden die beiden anderen Ausstel­lungen auf den Sonder­aus­stel­lungs­flä­chen gezeigt.

Ein Braun­schweiger in der Welt – Ephraim Moshe Lilien

Ephraim Moshe Lilien (1875–1925) ist weder in Braun­schweig geboren noch in der Löwen­stadt gestorben, aber dennoch ist sein Leben auf das Engste mit der Stadt Heinrichs des Löwen verbunden. Davon zeugen u.a. die auch in der Ausstel­lung zu sehenden genau beobach­teten und stimmungs­vollen Bilder Braun­schweiger Wahrzei­chen. Aber auch die Hochzeit 1906, der Umzug und die Einbür­ge­rung ab 1920 verbanden ihn mit der Stadt. Auch seine Projekte zum Buch der Bücher, der Bibel, zusammen mit dem Wester­mann Verlag und nicht zuletzt sein Einsatz für Künstler Braun­schweigs verdeut­li­chen seine regionale Verbun­den­heit.

Vielen ist kaum bewusst, dass Lilien, der 1907 seine erste Reise nach Palästina unternahm, mit seinen, teils nach Fotogra­fien entstanden Grafiken zu den, so Heike Pöppel­mann, „bekann­testen jüdischen Künstlern des 20. Jahrhun­derts“ gehörte. Er schuf nicht nur Bilder für eine auf 10 Bände angelegte Bibel, die im Wester­mann Verlag (schließ­lich nur bis Band 3) erschien.

Anlässlich des 100. Todestages von Ephraim Moses Lilien wurde seine Grabstätte gereinigt. V. l. n. r.: der ehemalige Domprediger Joachim Hempel, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Braunschweig und Ehrenbürgerin Renate Wagner-Redding, Geschäftsführer der Richard Borek Stiftung Prof. Dr. Michael Grisko, Kuratorin Bettina Gierke, Museumsleiterin Dr. Heike Pöppelmann und Kulturdezernentin Prof. Dr. Anja Hesse. Foto: Team Der Löwe
Anläss­lich des 100. Todes­tages von Ephraim Moses Lilien wurde seine Grabstätte gereinigt. V. l. n. r.: der ehemalige Dompre­diger Joachim Hempel, Vorsit­zende der Jüdischen Gemeinde Braun­schweig und Ehren­bür­gerin Renate Wagner-Redding, Geschäfts­führer der Richard Borek Stiftung Prof. Dr. Michael Grisko, Kuratorin Bettina Gierke, Museums­lei­terin Dr. Heike Pöppel­mann und Kultur­de­zer­nentin Prof. Dr. Anja Hesse. Foto: Team Der Löwe

Darüber hinaus gehörte sein Bild des Gründungs­va­ters des Zionismus Theodor Herzl auf dem Balkon zu den ikoni­schen Visua­li­sie­rungen der damals noch jungen Bewegung, die die Gründung eines eigenen Natio­nal­staates zum Ziel hatte. Neben dem Bild des Anführers war Lilien aber auch verant­wort­lich für die Bildsprache einer gesamten Bewegung. Dies verdeut­licht Heike Pöppel­mann, wenn sie betont, dass der aus armen Verhält­nissen stammende Lilien, der zunächst Schil­der­maler war, bevor er in Krakau und Wien zur damals boomenden Gebrauchs­kunst fand, in seinen Grafiken und Bildern „das Bild vom selbst­be­wussten und heroi­schen jüdischen Menschen“ schuf.

Kurzes und ereig­nis­rei­ches Leben

Lilien hinter­ließ trotz seines kurzen Lebens ein umfang­rei­ches Werk. Er war Politiker, Grafiker, er zog, wie viele seiner Zeitge­nossen, in den Ersten Weltkrieg und engagierte sich schließ­lich für verarmte Künstler. Vier Reisen führen ihn nach Palästina, es entstanden zahlreiche Grafiken für Bücher. Die Ausstel­lung erhebt nicht den Anspruch, eine geschlos­sene Biografie zu erzählen, sondern eröffnet anhand einzelner Projekte einen Einblick in seine von der Fotografie inspi­rierte Arbeits­weise, die Jugend­stil­ele­mente und Ornamentik zu einer eigenen Bildsprache verbindet.

Martin Buber schrieb einmal über den Künstler: „Er ist tief in das Wunder unseres Volkes einge­drungen, hat Sinn und Wert unserer alten Motive erkannt und sich zu eigen gemacht. (…) Er hat herrliche Blätter gezeichnet. Er verfügt über eine reiche, reife Technik. Dennoch ist seine Kunst noch mehr Verhei­ßung als Erfüllung“. Zur Ausstel­lung ist ein kleiner und mit 10 Euro ebenso kosten­güns­tiger wie umfang­reich bebil­derter Katalog erschienen.

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