Im Hier und Jetzt Geflüch­teter

Berihu. Foto: Uwe Brodmann
Berihu. Foto: Uwe Brodmann

Fotograf Uwe Brodmann zeigt in seiner Ausstel­lung „BLEIBE“ die Situa­tionen von Asylsu­chenden in unserer Region.

Der Braun­schweiger Fotograf Uwe Brodmann gibt Menschen, die in unserer Region Asyl suchen ein Gesicht. Seine neue Ausstel­lung „BLEIBE“ läuft vom 24. März bis zum 23. April in der Stadt­bi­blio­thek Braun­schweig. Zu sehen sind im Lesesaal rund 50 einfühl­same Porträt­auf­nahmen von Geflüch­teten. Brodmann hat sie in Panora­ma­technik fotogra­fiert, weil er auch die aktuellen Lebens­um­stände der Flücht­linge sowie ihre Wünsche und Hoffnungen darstellen will. Die Fotoar­beiten begannen im vergan­genen Herbst auf dem Höhepunkt der Flücht­lings­krise. „Die Idee dazu hatte ich aller­dings schon früher“, sagt Brodmann.

„Mich inter­es­sieren, die Lebens­ge­schichten der Menschen, die es aus Eritrea, aus dem Irak oder aus Syrien zu uns hierher gespült hat. Wer sind sie? Wer die Einzel­schick­sale kennt, erhält einen neuen Blick­winkel auf die Flücht­lings­pro­ble­matik und kommt vielleicht auch zu anderen Einschät­zungen und Meinungen. Es geht mir darum, Vorur­teile abzubauen und Verall­ge­mei­ne­rungen ad absurdum zu führen“, erläutert Brodmann seine dokumen­ta­risch-künst­le­ri­schen Arbeiten.

Während der Fototer­mine erfuhr Uwe Brodmann viel über die Lebens­läufe der Asylsu­chenden. Aus den Infor­ma­tionen verfasste Isabel Rohloff aufklä­rende Texte, die dem Betrachter der Fotos mit an die Hand gegeben werden. „Das Zusam­men­spiel von Foto und Text ermög­licht es dem Betrachter, Empathie zu entwi­ckeln. Es ist mir wichtig, die Einma­lig­keit der Personen heraus­zu­ar­beiten, sie aus der Masse hervor­treten zu lassen, damit wir uns mit ihnen als Indivi­duum beschäf­tigen können. Jeder Geflüch­tete hat eine ganz indivi­du­elle Situation“, erklärt Brodmann.

So wie Berihu: „Durch den Sudan und Libyen, über das Mittel­meer nach Lampedusa und schließ­lich via Friedland nach Cremlingen. Stationen einer Flucht aus Eritrea. Der vierund­zwan­zig­jäh­rige Berihu sitzt auf „seinem” Bett, in einem Zimmer, das er sich seit über fünfzehn Monaten mit zwei anderen jungen Männern teilt. An der Wand und am Spint hängen Vokabel­listen, denn er möchte eine Ausbil­dung zum Elektriker machen, wenn er den Integra­ti­ons­kurs besucht hat. Jetzt, wo er nach monate­langem, bangem und kräfte­zeh­rendem Warten endlich den Bescheid bekommen hat, in Deutsch­land bleiben zu dürfen.“

… oder Betty: „Geboren und aufge­wachsen ist sie im Süd-Sudan. Nach dem Tod ihres sudane­si­schen Vaters zog sie mit ihrer nigeria­ni­schen Mutter nach Nigeria, von dort aus ging ihr Weg zunächst per Bus durch die Sahara bis zu den Küsten des Mittel­meeres, mit dem Boot über die Ägäis nach Griechen­land, dann weiter zu Fuß über die Balkan­route – nun lebt Betty in Sickte. Die dreißig­jäh­rige Friseurin, zu deren Hobbys singen und tanzen gehören, besucht einen Nähkurs in der Volks­hoch­schule Wolfen­büttel, denn sie möchte später auch gerne als Schnei­derin arbeiten. Dass es nicht so heiß ist in Deutsch­land und dass es hier auch mal schneit, das gefällt ihr hier. Mit großer Verwun­de­rung hat sie zur Kenntnis nehmen müssen, dass es unmöglich ist, hier eine Arbeit zu finden, wenn man zwar sehr gut Englisch, aber kein Deutsch spricht; für ihre Zukunft wünscht sich Betty eine Familie und ein Leben in Frieden, Freiheit und Sicher­heit – wer möchte das nicht?“

… und Yassir: „Jetzt möchte ich Englisch lernen“, erklärte Yassir, als er den Integra­ti­ons­kurs mit Bravour abgeschlossen hatte. Dafür hat er sich denn auch sogleich ein entspre­chendes Lehrwerk aus der Braun­schweiger Stadt­bi­blio­thek ausge­liehen. Wenn er sich nicht gerade weiter­bildet, fährt er leiden­schaft­lich gerne Fahrrad, spielt Volley­ball oder joggt. Der äußerst fleißige und extrem hilfs­be­reite Sieben­und­zwan­zig­jäh­rige lacht gerne und viel, er schätzt die Pünkt­lich­keit der Deutschen, bemängelt aber die Flut der Papiere und Briefe, die die deutsche Bürokratie so mit sich bringt. Für seine Zukunft wünscht sich Yassir, der wie so viele in Eritrea in der Landwirt­schaft tätig war, Abitur zu machen und anschlie­ßend zu studieren, weitere liebens­wür­dige Menschen kennen­zu­lernen und dass seine Frau, die er seit seiner Flucht aus Eritrea nicht mehr gesehen hat, zu ihm nach Deutsch­land kommen kann.“

Auf Porträts von Menschen aus der Landes­auf­nah­me­be­hörde in Kralen­riede hat Uwe Brodmann ganz bewusst verzichtet, weil sie nach recht kurzer Zeit Braun­schweig wieder verlassen und andern­orts Asyl beantragen. „BLEIBE“ ist eine regionale Fotoar­beit und die Fortset­zung der sehr erfolg­rei­chen Ausstel­lung „Migration – Integra­tion“, die Brodmann vor vier Jahren erstmals zeigte und die auch in der Nieder­säch­si­schen Vertre­tung in Berlin zu sehen war. Die Frage­stel­lung bei dem Projekt war nach Thilo Sarrazins Buch „Deutsch­land schafft sich ab“, wie Ausländer in Deutsch­land, in unserer Region wirklich leben. Uwe Brodmann porträ­tierte da Migranten vom Chefarzt über einen Fußball­profi bis zur Schnei­derin. Auch da räumte er bereits mit Vorur­teilen auf. Einige der Arbeiten werden noch einmal im Zusam­men­hang mit der aktuellen Ausstel­lung gezeigt.

„BLEIBE“ wird unter­stützt von Der Braun­schwei­gi­schen Stiftung, der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz“, der Erich Mundstock Stiftung und dem Kultur­in­stitut der Stadt Braun­schweig.

Mehr Infor­ma­tionen: www.brodmann-fotografie.de

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