Vorreiter Masche­rode unter Strom

Attraktion in Mascherode: Ein Pferdefuhrwerk zieht einen Transformator durch den Ort, März 1925. Foto: Archiv Habekost
Attraktion in Mascherode: Ein Pferdefuhrwerk zieht einen Transformator durch den Ort, März 1925. Foto: Archiv Habekost

Geschichte(n) von nebenan, Folge 4: Die Elektri­fi­zie­rung der Dörfer rund um Braun­schweig vor 100 Jahren.

Mit der Inbetrieb­nahme des Gleich­strom­werk in der Wilhelm­straße begann im Jahr 1900 die Versor­gung privater und gewerb­li­cher Kunden in Braun­schweig mit elektri­schem Strom. Bis dieser „Luxus“ jedoch auch in den Dörfern um die Stadt herum ankommen sollte, vergingen weitere Jahrzehnte. Einzelne Stadt­teile wie Masche­rode verzeich­neten die vollstän­dige Elektri­fi­zie­rung um 1925, wie ein Protokoll des dortigen Gemein­de­vor­ste­hers belegt. Generell war die Elektri­fi­zie­rung in Deutsch­land ein Prozess, der in den 1880er Jahren begann und sich durch den Aufbau von Netzen sowie die Einfüh­rung von Strom in Haushalten und für den öffent­li­chen Nahver­kehr fortsetzte. Bereits 1897 fuhr beispiels­weise die erste elektri­sche Straßen­bahn vom August­platz in Braun­schweig bis nach Wolfen­büttel zum Landratsamt.

Braun­kohle in Helmstedt

Nach der Strom­ver­sor­gung für die Stadt machten sich die Verant­wort­li­chen in den Braun­schweig umgebenden Dörfern Gedanken über die zukünf­tige Versor­gung ihrer Bürger und Betriebe mit Elektri­zität. Der Anstoß zur Reali­sie­rung kam von der Firma Preußen­Elektra (Preußi­sche Elektri­zi­täts-Aktien­ge­sell­schaft) aus Berlin. Sie hatte die Braun­schwei­gi­schen Kohlen­berg­werke und die Überland­zen­trale Helmstedt (ÜLZ) gegründet, weil sich in Helmstedts Süden große Braun­koh­le­re­serven befanden, die unmit­telbar zur Strom­her­stel­lung geeignet waren. Um die erstellten Kraft­werke effizient nutzen zu können, sollten neue Absatz­märkte erschlossen werden. Deswegen ergriff die Geschäfts­füh­rung die Initia­tive, die Dörfer im Herzogtum Braun­schweig von den Vorteilen der Elektri­fi­zie­rung zu überzeugen.

Schließ­lich bat die Herzog­liche Kreis­di­rek­tion Masche­rodes Gemein­de­vor­steher August Bötel, die Poten­ziale für einen Anschluss des Ortes auszu­loten. Dazu wurde ein Frage­bogen an alle Landwirt­schafts- und Handwerks­be­triebe von ihm ausge­geben und dann ermittelt, dass 410 Einwohner zu zählen und die Ortschaft als „wohlha­bend” einzu­schätzen war. Es gab damals 26 landwirt­schaft­liche Betriebe, davon 22 mit Pferde­hal­tung. Neben den Angaben über Feldgrößen und angebauten Früchten listete August Bötel auch die „handwerks­mä­ßigen Betriebe” auf. Das waren Bäcker, Stell­ma­cher, Tischler und Zimmer­mann, Schmied sowie Bauun­ter­nehmer.

Beschluss der Herzog­li­chen Kreis­di­rek­tion

Das Anschluss­pro­ze­dere ging weiter, als 1913 der Gemein­derat Masche­rode von der Herzog­li­chen Kreis­di­rek­tion einbe­rufen wurde. Man fasste dabei einen ordent­li­chen Beschluss zur gewünschten Elektri­fi­zie­rung, der vom Herzog­li­chen Staats­mi­nis­te­rium gebilligt wurde. Gleich­zeitig hatten die Herzog­li­chen Kreis­kom­mu­nal­ver­bände Riddag­hausen / Vechelde (dazu zählte Masche­rode) und Wolfen­büttel das Überland­werk Braun­schweig GmbH (ÜLW BS) gegründet. Es bündelte die von 93 Landge­meinden unter­schrie­benen Liefer­ver­träge und schloss mit der ÜLZ Helmstedt, der Tochter der Preußen­Elektra, für das erste Geschäfts­jahr 1913/14 einen Strom­be­zugs­ver­trag.

Schließ­lich erhielt die ÜLZ den Auftrag, eine 50 000-Volt-Leitung vom Kraftwerk bei der Grube „Emma” im Kreis Helmstedt bis zur Überga­be­sta­tion „Moritz­burg” (am Möncheweg zwischen der Linden­berg­sied­lung und der Südstadt) zu instal­lieren. Von dort verlegte das Überland­werk Braun­schweig Mittel­span­nungs-Versor­gungs­lei­tungen (15/20 KV) als Freiland­lei­tungen in die angeschlos­senen Dörfer. Bei genügender Ortsgröße errich­tete man dort Trans­for­ma­to­ren­häuser zur Umspan­nung in 220/380 Volt.

Ein weiter Weg: Vom Ostbahnhof in Braunschweig bis zum Umspannwerk Moritzburg in Mascherode, März 1925. Foto: Archiv Habekost
Ein weiter Weg: Vom Ostbahnhof in Braun­schweig bis zum Umspann­werk Moritz­burg in Masche­rode, März 1925. Foto: Archiv Habekost

Erstes Trans­for­ma­to­ren­haus 1914

In Masche­rode entstand 1914 das Trans­for­ma­to­ren­haus an der Ecke Möncheweg / Alte Kirch­straße / Hinter den Hainen. Später kamen noch die Trans­for­ma­to­ren­häuser Schmie­deweg und Jägersruh hinzu. Im zweiten Geschäfts­jahr verlang­samte sich der Bau von Leitungen und Betriebs­an­lagen. Durch kriegs­be­dingte Beschlag­nahme von Kupfer gab es teilweise sogar Baustopps bei einher­ge­hender Suche nach Ersatz­ma­te­ria­lien (verzinktes Eisenseil wurde benutzt, hatte aller­dings eine siebenmal kleinere Leitfä­hig­keit als Kupfer!).

Im Geschäfts­jahr 1915/16 des ÜLW BS wird für Masche­rode festge­halten, dass es bei 415 Einwoh­nern bereits 40 Abnehmer gab. 641 Glühlampen und elf Motoren wurden mit Strom versorgt. Das waren 1,5 Lampen pro Einwohner bei einem Durch­schnitt aller Gemeinden im Amt Riddags­hausen / Vechelde von 0,87. Masche­rode wies also bedeu­tende Anschluss­werte auf, einschließ­lich einer durch­ge­henden Straßen­be­leuch­tung.

Trotz des Ersten Weltkrieges und der unsicheren politi­schen Verhält­nisse Anfang der 1920er-Jahre setzte sich die verstärkte Nutzung der Elektri­zität im Land Braun­schweig durch. Es wirkten sich offen­sicht­lich die wirtschaft­li­chen Schwie­rig­keiten von 1928 an nicht negativ aus. Der Siegeszug der Elektri­fi­zie­rung ließ sich nicht aufhalten, weil sich das Leben der Menschen durch sie sehr viel komfor­ta­bler gestalten ließ.

Henning Habekost ist Stadt­teil­hei­mat­pfleger für Masche­rode.

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