„Emilia Galotti“ vor 250 Jahren in Braun­schweig urauf­ge­führt

Opernhaus am Hagenmarkt, Kupferstich von A. A. Beck, 1747. Foto: Wikipedia
Opernhaus am Hagenmarkt, Kupferstich von A. A. Beck, 1747. Foto: Wikipedia

Gotthold Ephraim Lessing war mit der Tragödie auf der Höhe der Zeit und Braun­schweigs Theater in aller Munde.

Vor 250 Jahren, am 13. März 1772 wurde Lessings Tragödie „Emilia Galotti“ am Herzog­li­chen Theater zu Braun­schweig am Hagen­markt urauf­ge­führt. Es war die erste der großen Urauf­füh­rung in der Braun­schweiger Theater­ge­schichte. Mit Bedacht war der Geburtstag der Herzogin Philip­pine Charlotte für diese viel beachtete Urauf­füh­rung gewählt worden. Gotthold Ephraim Lessing selbst wollte der Fürstin, die er verehrte, seine besondere Achtung zu erweisen. Trotz zwiespäl­tiger Erfah­rungen und mancher Wider­spens­tig­keit empfand Lessing Dankbar­keit gegenüber dem Braun­schwei­gi­schen Herzog­haus, das ihn 1770 zur Herzog August Biblio­thek nach Wolfen­büttel geholt hatte.

Zeichen der Zuneigung

Philip­pine Charlotte, die Schwester Fried­richs II. von Preußen, hatte Lessing, den berühmten und anerkannten Autor, immer wieder zu einer neuen Tragödie gedrängt. Sie folgte mit damit dem litera­ri­schen Zeitgeist: Lustspiele waren zwar sehr beliebt, aber Tragödien standen dagegen in höchstem Ansehen. Was die Auffüh­rung betraf, so ging es Lessing weniger um die Inter­essen des Braun­schweiger Theater­di­rek­tors, Karl Theophil Döbbelin, als vielmehr darum, gegenüber der Herzogin ein Zeichen der Zuneigung zu setzen. Verschie­dene Theater hatten sich damals um die Urauf­füh­rung der „Emilia Galotti“ bemüht, so dass Lessing bis kurz vor der Premiere den letzten Akt unter Verschluss hielt. Er wollte verhin­dern, dass das Stück vor dem 13. März aufge­führt wurde und damit sein „Kompli­ment“ an Wert verloren hätte.

Lessing hatte Zahnschmerzen

Gotthold Ephraim Lessing. Foto: Kunstsammlung Uni Leipzig
Gotthold Ephraim Lessing. Foto: Kunst­samm­lung Uni Leipzig

Mit Wissen und wohlwol­lender Duldung des Herzog­hauses – Lessing hatte sich im Vorfeld am Hof rückver­si­chert – fand die Urauf­füh­rung wie geplant statt, aller­dings in Abwesen­heit der Herzogin. Überlie­fert ist indes, dass sich der Erbprinz Carl Wilhelm Ferdinand inkognito unter den Besuchern befand. Auch Lessing war in Wolfen­büttel geblieben und begrün­dete diese Entschei­dung in einem Brief an sein Verlobte Eva König: „Ich habe seit acht Tagen so rasende Zahnschmerzen, dass ich mich bei der einge­fal­lenen strengen Kälte nicht herüber getraut habe“.

Wie so oft in solchen Fällen brodelte die Gerüch­te­küche in der Braun­schweiger Gesell­schaft und man glaubte sich durch das Verhalten Lessings sogar bestätigt: Lange vor der Auffüh­rung war hinter vorge­hal­tener Hand ein Affront gegen Carl Wilhelm Ferdinand vermutet worden. Es hieß, die Figur der Orsina spiele auf die Gräfin Branconi an, die attrak­tive Mätresse des Erbprinzen. Lessing zeigte sich verärgert, denn das Gerücht besaß tatsäch­lich keinerlei Grundlage.

Schließ­lich hatte er die Figur, bereits lange bevor er seine Stelle in Wolfen­büttel angetreten hatte, konzi­piert. Außerdem gab es keinen Anlass, die Geliebte seines Förderers, und damit diesen selbst, ins Zwielicht zu rücken. Angesichts der damaligen Konven­tionen war die Stellung einer Mätresse gesell­schaft­lich anerkannt und keines­wegs anstößig gewesen. Aber auch Gerüchte können Spuren hinter­lassen und wenn es nur in späteren Kommen­taren der Litera­tur­wis­sen­schaft sein sollte, die gerne mit einem grund­le­genden Konflikt Lessings mit dem Braun­schweiger Hof argumen­tierten, was aber nachweis­lich haltlos war.

Ein großer Theater­er­folg

„Emilia Galotti“ wurde ein großer und nachhal­tiger Theater­er­folg. Lessing war mit dem Stück auf der Höhe der Zeit und Braun­schweigs Theater in aller Munde. Im Lessing-Handbuch findet sich dazu der Vermerk: „Emilia Galotti gehört zu den meist­in­ter­pre­tierten Werken der deutsch­spra­chigen Literatur.“

In der Litera­tur­wis­sen­schaft nimmt der Konflikt zwischen dem Hof des Prinzen und der bürger­li­chen Familie Galotti eine wichtige Inter­pre­ta­ti­ons­rolle ein. Damit sei eine tragische Verfüh­rung der bürger­li­chen Unschuld durch den adligen Macht­haber verbunden. Diese tradierte Betrach­tung hat in der Forschung der jüngeren Vergan­gen­heit deutliche Verän­de­rungen erfahren. Danach werde den Handelnden nicht die Kluft der Klassen­ge­gen­sätze zum Schicksal, sondern ihre Unfähig­keit zu möglicher Verstän­di­gung.

„Emilia Galotti“ erfuhr eine Vielfalt an politi­schen Inter­pre­ta­tionen – gerade darin liegt die ungebro­chene Bedeutung und stets erneuerte Aktua­lität des Stücks begründet.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

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