Große Verdienste um den „Faust“

Das Staatstheater ist ein herausragender Bau für die Stadt. Es wurde am 1. Oktober 1861 eingeweiht. Foto: Staatstheater Braunschweig/Stefan Koch
Das Staatstheater ist ein herausragender Bau für die Stadt. Es wurde am 1. Oktober 1861 eingeweiht. Foto: Staatstheater Braunschweig/Stefan Koch

Geschichte(n) aus dem Braun­schwei­gi­schen, Folge 20: Bemer­kens­werte Urauf­füh­rungen zeugen vom ehrwür­digen Ruf als Theater­stadt.

Als am 1. Oktober 1861 das Herzog­liche Hoftheater am Steinweg eröffnet wurde, begann eine neue Epoche der Theater­ge­schichte in Braun­schweig. Nach 171 Jahren endete damit die tradi­ti­ons­reiche Zeit des Hofthea­ters am Hagen­markt.

Die Neueröff­nung erfolgte mit dem Schau­spiel „Iphigenie auf Tauris“ von Johann Wolfgang von Goethe. Das Stück wird aktuell im Kleinen Haus des Staats­thea­ters noch bis zum 6. Mai gespielt. Damit schließt sich ein Kreis, der Anlass für eine Rückschau bietet.

Erstes Theater in Wolfen­büttel

Das Herzog­liche Hoftheater war ein präch­tiger Theater-Neubau, der als einer der schönsten und bedeu­tendsten in Europa galt. Braun­schweig stand damals bereits in einer langen Theater­tra­di­tion, für die das Fürstentum Braun­schweig-Wolfen­büttel in seiner Zeit großes Ansehen in Deutsch­land besaß. Der eigent­liche Ursprung des Theaters im Braun­schwei­gi­schen lag in Wolfen­büttel.

Es war jedoch ein langer Weg, denn erst als die höfische Gesell­schaft sich dafür inter­es­sierte, gelang schritt­weise die öffent­liche Anerken­nung. Beim gebil­deten Bürgertum stieß das Theater­spielen nicht immer auf Zustim­mung. So war der Humanist, Arzt und Literat Euricius Cordus (1485–1536) in Braun­schweig geradezu verbit­tert über die „alten Vetteln und vagabun­die­renden Dilet­tanten“, die das Volk mit geschmack­losen Scherzen. „Das Evange­lium kann man den Braun­schwei­gern nur beibringen, wenn man es ihnen unter die Mumme, ihr Lieblings­ge­tränk, mischt“, schrieb er.

Im Sächsi­schen galt sogar: „Schau­spieler und Gaukhler sind nicht leut wie andere Menschen, denn sie nur ein Schein der mensch­heit haben, und fast den Todten zu verglei­chen sind“. Diese Personen durften keine öffent­li­chen Ämter annehmen, konnten keine Eide leisten und die Kirche schloss sie vom Abendmahl, vom Altar und vom kirch­li­chen Begräbnis aus. Und so geht auch die Legende, dass die berühmte Prinzi­palin, Caroline Neuber (1697–1760), obwohl sie im Braun­schweiger Dom kirchlich gehei­ratet hatte, am Ende ihres Lebens zu diesen gesell­schaft­lich Geäch­teten gerechnet wurde. Ihr Sarg soll 1760 nachts über die Kirch­hof­mauer gehoben worden sein, damit sie heimlich beigesetzt werden konnte, da ihr als Schau­spie­lerin ein christ­li­ches Begräbnis verwehrt wurde.

Der Herzog schrieb selbst

Im 16. Jahrhun­dert hatte Herzog Heinrich Julius (1564 – 1613) bei seiner Hochzeit am Hof von Dänemark die Auffüh­rung engli­scher Schau­spiel­truppen erlebt und seiner Anregung dürfte es zu verdanken sein, dass bald englische Komödi­anten in Wolfen­büttel auftraten. Beein­flusst von den engli­schen Wander­ko­mö­di­anten, verfasste der Herzog selbst Theater­stücke. Heinrich Julius war nicht nur einer der ersten Drama­tiker, der sich der deutschen Sprache bediente, sondern auch Stoffe aus dem Alltags­leben thema­ti­sierte. Er richtete in Wolfen­büttel das erste festste­hende Theater in Deutsch­land ein.

Es war ein theater­freu­diges Jahrhun­dert, in dem schließ­lich Braun­schweigs Opernhaus am Hagen­markt eröffnet wurde. Bereits 1675 entstand das Schloss­theater in Celle, 1678 das kleine Theater im Leine­schloss in Hannover, 1688 das pracht­volle Opernhaus im Schloss in Wolfen­büttel. Im Jahr 1689 folgte schließ­lich das große Opernhaus in Hannover, ehe 1690 Herzog Anton Ulrich sein Opernhaus in Braun­schweig eröffnen konnte. Es war eine vielbe­ach­tete und pracht­volle Eröff­nungs­ver­an­stal­tung während der Frühjahrs­messe 1690, für die das Hoftheater zugleich ein wichtiger kultu­reller Beitrag vor allem für die auswär­tigen und auslän­di­schen Gäste darstellen sollte.

Nur für das „gehobene“ Publikum

Zunächst sollten und durften nur musika­li­sche Auffüh­rungen statt­finden. Das Schau­spiel dagegen galt noch immer als primitiv und nicht gesell­schafts­fähig. Daher waren dessen allgemein unter­halt­same Auftritte nur in den gewöhn­li­chen Spiel­stätten wie in Gaststätten oder Unter­hal­tungs­be­trieben möglich. Dort spielten auch weiterhin die wandernden Schau­spiel­truppen.

In den 171 Jahren des Hofthea­ters am Hagen­markt fanden drei besonders heraus­ra­gende Premieren statt. Am 13. März 1772, dem Geburtstag der Herzogin Philip­pine Charlotte (1716 – 1801), wurde Lessings bürger­li­ches Trauer­spiel „Emilia Galotti“ urauf­ge­führt. Lessing nutzte dieses Datum, um die von ihm verehrte Herzogin zu würdigen. Er war auf der Höhe der Zeit und Braun­schweigs Theater in aller Munde.

Buhrufe für Heinrich Heine

Die nächste große Urauf­füh­rung wurde am 20. August 1823 Heinrich Heines Tragödie „Almansor“. Es sollte ein denkwür­diges Ereignis der braun­schwei­gi­schen Theater­ge­schichte werden. Pfiffe und ableh­nende Rufe wurden so laut, dass die Schau­spieler die Auffüh­rung mit einer vorge­zo­genen, impro­vi­sierten Schluss­szene abbrachen und der Vorhang fiel. Während die Presse damals den „Almansor“ überwie­gend positiv bewertete, kam es also bei der einzigen zeitge­nös­si­schen Auffüh­rung zu einem Desaster. Heine hatte zu diesem Zeitpunkt gehofft, seine litera­ri­sche Existenz auch über die Theater begründen zu können. Nach den Erfah­rungen mit „dem ausge­pfif­fenen Almansor“ blieb es aber die einzige Insze­nie­rung eines Theater­stücks Heines zu dessen Lebzeiten.

Bis in die Gegenwart hinein wirkt die letzte der ganz großen Urauf­füh­rungen am 19. Januar 1829. Braun­schweig galt als eine aufstre­bende Bühne von wachsendem Ruf. Ehrgeiz des Hofthea­ter­di­rek­tors Klinge­mann war es, ein bisher als unauf­führbar geltendes Theater­stück in Braun­schweig zu insze­nieren, nämlich Goethes „Faust“. Angeregt hatte dieses Unter­nehmen wohl der damals in Braun­schweig regie­rende junge Herzog Karl II. (1804–1873), der legendäre „Diaman­ten­herzog“, der 1830 durch einen Aufstand vertrieben wurde.

Die Resonanz auf die Urauf­füh­rung war überwäl­ti­gend positiv, entschei­dender war jedoch die indirekte Wirkungs­ge­schichte durch die überre­gio­nale Bericht­erstat­tung und den Versand des Bühnen­ma­nu­skriptes an andere Theater. Eine solche Abschrift des Bühnen­ma­nu­skriptes wurde auch von der Weimarer Bühne erworben und lag der dortigen Auffüh­rung des „Faust“ am 29. August 1829 zugrunde. Braun­schweig hat sich um Goethe und dessen „Faust“ verdient gemacht, wie die Theater­ge­schichte belegt.

Neubau am Steinweg

Trotz dieser theater­ge­schicht­lich bedeut­samen Erfolge und der großen Bedeutung, die das Hoftheater am Hagen­markt für die Kultur­ge­schichte Braun­schweigs besaß, war es in die Jahre gekommen. Zeitwei­lige Einbauten neuer Theater­technik und immer wieder neue Um- und Erwei­te­rungs­bauten, zuletzt der große Umbau 1826 durch Peter Joseph Krahe, schufen indes keine dauer­hafte Abhilfe.

Mehrere Entwürfe entstanden für einen archi­tek­to­ni­schen Neubau-Wettbe­werb. Doch es sollte bei der bekannten Sparsam­keit von Herzog Wilhelm (1806 – 1884) noch einige Zeit dauern, bis der Beschluss für einen Theater­neubau nach den Plänen der Archi­tekten Karl Heinrich Wolf (1793 – 1869) und K.F. Heinrich Ahlberg (1816 – 1874) am Steinweg getroffen wurde. Mit der festli­chen Eröffnung am 1. und 2. Oktober 1861 begann schließ­lich eine neue, bis heute währende Ära der Braun­schwei­gi­schen Theater­ge­schichte am Steinweg.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

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