Als die Prima­bal­le­rina Feuer fing

Das Staatstheater nach 1861. Foto: aus C. Uhde, Braunschweigs Baudenkmäler, 1893

Momente Braun­schweiger Theater­ge­schichte: Vom ersten festste­henden Theater Deutsch­lands in Wolfen­büttel bis zum Staats­theater am Steinweg.

Als am 1. Oktober 1861 das Herzog­liche Hoftheater am Steinweg eröffnet wurde, begann eine neue Epoche der Theater­ge­schichte in Braun­schweig. Nach 171 Jahren endete die tradi­ti­ons­reiche Zeit des Hofthea­ters am Hagen­markt. Die Neueröff­nung 1861 erfolgte mit dem Schau­spiel „Iphigenie auf Tauris“ von Johann Wolfgang von Goethe. Am 2. Oktober 1861 folgte die Oper „Tannhäuser“ von Richard Wagner unter der musika­li­schen Leitung von Hofka­pell­meister Franz Abt (1819 ‑1885). Damit war das neue Herzog­liche Hoftheater am Steinweg eröffnet. Es war ein präch­tiger Neubau, der damals als einer der schönsten und bedeu­tendsten in Europa galt.

Großes Ansehen in Deutsch­land

Braun­schweig stand damals in einer langen Theater­tra­di­tion, für die das Fürstentum Braun­schweig-Wolfen­büttel in seiner Zeit großes Ansehen in Deutsch­land besaß. Der eigent­liche Ursprung des Theaters im Braun­schwei­gi­schen lag in Wolfen­büttel. Im 16. Jahrhun­dert hatte Herzog Heinrich Julius (1564 – 1613) bei seiner Hochzeit am Hof von Dänemark die Auffüh­rung engli­scher Schau­spiel­truppen erlebt und seiner Anregung dürfte es zu verdanken sein, dass bald englische Komödi­anten in Wolfen­büttel antraten. Er richtete in Wolfen­büttel das erste festste­hende Theater in Deutsch­land ein und gilt als wichtiger Vertreter der deutschen und braun­schwei­gi­schen Theater­ge­schichte.

Als Ernst August von Hannover 1689 sein Opernhaus eröffnete, erfolgte dies mit dem Stück „Enrico Leone“, das die Geschichte Heinrichs des Löwen behan­delte. Damit setzte der Hanno­ve­raner ein politi­sches Zeichen im Konkur­renz­kampf zwischen hanno­ver­schen und braun­schwei­gi­schen Welfen. Nur wenige Monate später, am 4. Februar 1690, feierte Herzog Anton Ulrich die Eröffnung seines Opern­hauses in Braun­schweig, einge­richtet im umgebauten Hagen­rat­haus. Es galt seiner­zeit als das „vollkom­menste aller norddeut­schen Theater“. Für 170 Jahre wurde das neue Theater am Hagen­markt der zentrale Ort der Kultur und Kunst im Fürstentum Braun­schweig-Wolfen­büttel.

Das Opernhaus am Hagen­markt, 1714, Sich von Johann Georg Beck. Foto: Stadt­ar­chiv

Nur für das „gehobene“ Publikum

Der Eintritt in das Theater betrug damals zwölf Marien­gro­schen. Es war ein nicht unerheb­li­cher Betrag, offenbar sollte damit sicher­ge­stellt werden, dass nur das gewünschte „gehobene“ Publikum es sich leisten konnte, die Oper zu besuchen. Zunächst sollten und durften auch nur musika­li­sche Auffüh­rungen statt­finden. Das Schau­spiel dagegen galt noch als primitiv und nicht gesell­schafts­fähig. Daher waren dessen allgemein unter­halt­same Auftritte nur in Gaststätten und Unter­hal­tungs­be­trieben möglich. Dort spielten die wandemden Schau­spiel­truppen.

Gotthold Ephraim Lessing, Porträt von Anna Rosina des Gasc. Foto: gemein­frei

Am 13. März 1772, dem Geburtstag der Herzogin Philip­pine Charlotte (1716 – 1801), wurde Lessings bürger­li­ches Trauer­spiel „Emilia Galotti“ am Herzog­li­chen Theater zu Braun­schweig am Hagen­markt urauf­ge­führt. Es war dies die erste der drei großen histo­ri­schen Urauf­füh­rungen der Braun­schwei­gi­schen Theater­ge­schichte. Es war ein großer Theater­er­folg. Äußere Wider­stände gesell­schaft­li­cher Konven­tionen und innere Barrieren einer hindernd bewah­renden Selbst­ver­pflich­tung einer jungen Frau spiegelten den Zwiespalt des Zeitver­ständ­nisses eindrück­lich wider. Lessing war auf der Höhe der Zeit und Braun­schweigs Theater in aller Munde.

Der Skandal um Heines „Almansor“

Die nächste große Urauf­füh­rung wurde 1823 Heinrich Heines Tragödie „Almansor“ und diese sollte ein denkwür­diges Ereignis der braun­schwei­gi­schen Theater­ge­schichte werden. „Was, den Unsinn des albernen Juden sollen wir länger anhören?“, so konnte man in den hinteren Reihen des Braun­schweiger Theaters bei einem Urauf­füh­rungs­abend deutlich hören. Noch deutli­cher vernahm man das rhyth­mi­sche Trampeln der Füße, schließ­lich Pfeifen und laute Rufe. Es wurde so laut, dass die Schau­spieler die Auffüh­rung mit einer vorge­zo­genen, impro­vi­sierten Schluss­szene abbrachen und der Vorhang fiel. Die Medien berich­teten in großer Aufma­chung von diesem Skandal.

Heine polemi­sierte mit seinem Werk gegen den Antise­mi­tismus der Restau­ra­ti­ons­zeit, den er persön­lich kennen­ge­lernt hatte. Mit der Tragödie „Almansur“ nutzte er die Glaubens­kämpfe und die Unter­drü­ckung der Mauren im Spanien des 15. Jahrhun­derts, um Proble­matik und Zwiespalt der eigenen Zeit und Person zu thema­ti­sieren. Wie der Autor befindet sich der Held des Dramas, der junge Maure Almansor, im Zwiespalt zwischen Assimi­la­tion an die vorherr­schende christ­liche Kultur und Treue zur eigenen Herkunft und Religion. Vor dem Hinter­grund des Holocausts ist der Ausspruch eines spani­schen Moslems in dem Stück, als Reaktion darauf, dass der Kardinal den Koran öffent­lich verbrennen ließ, bedeutend: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen“. Die Urauf­füh­rung in Braun­schweig blieb die einzige Insze­nie­rung der Tragödie „Almansur“ zu Heines Lebzeiten.

Johann Wolfgang von Goethe, Porträt von Joseph-Karl Stieler. Foto gemein­frei

Die Urauf­füh­rung von Goethes „Faust“ fand am 19. Januar 1829 im Herzog­li­chen Hoftheater in Braun­schweig statt. Die Resonanz auf die Urauf­füh­rung war überwäl­ti­gend positiv, entschei­dender jedoch die indirekte Wirkungs­ge­schichte durch die überre­gio­nale Bericht­erstat­tung und den Versand des Bühnen­ma­nu­skriptes an andere Theater. Eine solche Abschrift des Bühnen­ma­nu­skripts wurde auch von der Weimarer Bühne erworben und hat der dortigen Auffüh­rung des „Faust“ am 29. August 1829 zugrunde gelegen. Goethe selbst war bei der Urauf­füh­rung nicht anwesend.

Verdienste um Goethe und „Faust“

Bereits am Tage nach der Premiere berich­tete ihm Theater­di­rektor August Klinge­mann (1777 – 1831) brieflich und legte Theater­zettel sowie einen eigenen Zeitungs­auf­satz bei. Dem Weimarer Hofrat und Natur­for­scher Soret hatte Goethe außerdem das Bühnen­ma­nu­skript Klinge­manns ausge­liehen. Dieser gab es zurück mit einem Begleit­schreiben, in dem stand: „Anbei der inter­es­sante Aufsatz von Klinge­mann mit vielem Dank zurück. Ich las ihn, mit dem ‚Faust‘ daneben, um eine klarere Vorstel­lung davon zu gewinnen, welche Wirkung das Stück trotz der Kürzungen erzielen kann, und bin mehr und mehr überzeugt, daß sie immer noch gewaltig gewesen sein muß“. Braun­schweig hat sich also um Goethe und dessen „Faust“ verdient gemacht.

Trotz dieser theater­ge­schicht­lich bedeut­samen Erfolge und der großen Bedeutung, die das Hoftheater am Hagen­markt für die Kultur­ge­schichte Braun­schweigs besaß, allmäh­lich war es in die Jahre gekommen. Zeitwei­lige Einbauten neuer Theater­technik und immer wieder neue Um- und Erwei­te­rungs­bauten, zuletzt der große Umbau 1826 durch Krahe, schufen keine dauer­hafte Abhilfe. Der durch seine Berliner Erfolge im Theaterbau als „Theater­ar­chi­tekt“ berühmt gewordene Carl Theodor Ottmer (1800 – 1843) legte sogar einen Entwurf für einen völligen Neubau eines Theaters am Hagen­markt vor, der jedoch nicht reali­siert werden konnte.

Furcht­bare Panik entstand

Einen entschei­denden letzten Anstoß, über einen zeitge­mäßen Neubau des Herzog­li­chen Hofthea­ters nachzu­denken dürfte ein Unfall der Prima­bal­le­rina Charlotte Leinsitt vom 20. Januar 1856 gegeben haben. Der Theater­chro­nist Fritz Hartmann schrieb zu diesem traurigen Geschehen: „Am 20. Januar 1856 ward die Zauber­posse ‚Aladin oder die Wunder­lampe‘ gegeben. Die Leinsitt führte die Amazonen auf tanzte einen einge­legten Pas und trat dann zur Seite, um sich die weiteren Evolu­tionen anzusehen, an denen sie unbetei­ligt war. Ein Luftzug bewegte ihre Gazekleider; sie kamen einer Lampe nahe und fingen Feuer. Im Nu stand die Ärmste in hellen Flammen. Eine furcht­bare Panik entstand. Die Kolle­ginnen zerstoben, um nicht dem gleichen Geschick zu verfallen; die nächsten Männer waren schreck­ge­lähmt wie das Opfer selber, das gar nicht wußte, wie ihm geschah, und einem Kulis­sen­schieber, der die Lohe durch Umarmung ersticken wollte, wuchtig ins Gesicht schlug, so daß er betäu abließ. Als der Maschi­nen­meister v. d. Kerkhoven herbei­stürzte, das flackernde Menschen­kind zu Boden warf und mit seinen Kleidern bedeckte, war es zu spät. Zwei Tage litt das arme Mädchen noch die furcht­barsten Qualen, dann hauchte es in den Armen seiner Mutter den Geist aus.“

Mehrere Entwürfe entstanden bei einem Wettbe­werb für einen Neubau und wurden vor dem Hinter­grund des früheren Ottmer­schen Entwurfs disku­tiert. Doch es sollte bei der bekannten Sparsam­keit von Herzog Wilhelm (1806 – 1884) noch einige Zeit dauern, bis der Beschluss für einen Theater­neubau nach den Plänen der Archi­tekten Karl Heinrich Wolf (1793 – 1869) und K.F. Heinrich Ahlberg (1816 – 1874) am Steinweg getroffen wurde. Mit der festli­chen Eröffnung am 1. und 2. Oktober 1861 begann eine neue Ära der Braun­schwei­gi­schen Theater­ge­schichte am Steinweg.

Prof. Dr. h. c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

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