Für Braun­schweigs Obdach­lose setzt Barbara Horn viel in Bewegung

Barbara Horn weiß, dass „ihre“ Obdachlosen keine Verwandten haben, keine Freunde, kein Netzwerk. Foto: Bernward Comes

Die Leiterin des Tages­treffs Iglu sagt über Obdach­lose: „Es sind Menschen wie du und ich.“ Mit ihrem Team nimmt sie die Betrof­fenen an, wie sie sind.

Der Umgang mit den Ärmsten der Armen in der Stadt, mit Obdach­losen, ist für Barbara Horn völlig normal. Seit elf Jahren leitet sie den Tages­treff Iglu. Ihr Rezept: Die Menschen nehmen, wie sie sind – und dann das jeweils Beste suchen.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 06.02.2022 (Bezahl-Artikel)

„Ich bin richtig stolz auf dich, Mama“ – der anerken­nende Satz von Benjamin trifft Barbara Horn direkt ins Herz. Eher beiläufig von ihrem erwach­senen Sohn beim jüngsten Besuch gesagt, ist er für die Mutter Ermuti­gung und Bestä­ti­gung.

Seit rund 11 Jahren arbeitet sie im Tages­treff Iglu an der Wilhelm­straße und 25 Jahre in der Wohnungs­lo­sen­hilfe. Sie weiß, was sie kann, sie weiß, was sie will, sie weiß, dass sie am richtigen Platz ist. Und dennoch: So ein Lob wie das von Benjamin ist noch einmal etwas ganz Beson­deres. Auch und gerade nach all den Jahren.

Im Tages­treff Iglu können die Menschen duschen und sich aufwärmen

Der Anblick der zum Teil vom Leben auf der Straße schwer gezeich­neten Frauen und Männer, berührt sie nach wie vor, aber schockt längst nicht mehr. „Es sind Menschen wie du und ich“, sagt sie. Das ist ihre Haltung, das strahlt sie aus. Warmherzig, freund­lich, lächelnd – auch, wenn es schwierig wird.

„Vor ein paar Tagen klopft ein Mann an unsere Tür und sagt, er habe Hunger“, berichtet Barbara Horn von einer jüngsten Begegnung. „Er sah schlimm aus, hatte nur einen Schuh an, der andere Fuß war mit Lumpen verbunden, vermut­lich eine Verlet­zung.“

Die Einladung, herein­zu­kommen, das Angebot zu duschen oder einen heißen Kaffee zu trinken, schlug der Fremde aus. Er blieb einfach vor der Tür stehen. „Ich habe ihm ein Lunch­paket gemacht, er hat sich bedankt und ist davon­ge­trottet“, erzählt Horn. „Und ich habe mir gedacht: Immerhin hat er heute etwas zu essen.“

„Es gab viele lila Latzhosen, Dozenten mit langen Bärten“

Regeln müssen sein, zum Beispiel diese: Jeder bekommt einen Platz. Foto: Bernward Comes

Bis zu ihrem Studium der Sozial­ar­beit Anfang der 80er Jahre wusste Barbara Horn kaum, was Obdach­lo­sig­keit ist. „Ich bin 1960 geboren, in Salzgitter-Lebens­tedt aufge­wachsen, in einer guten, warmher­zigen Familie, mit netten Freun­dinnen und Freunden am Gymnasium, in einer rundum schönen Blase eben“, blickt sie zurück.

Das Studium ab 1979 an der Fachhoch­schule für Soziale Arbeit in Braun­schweig, dem Vorläufer der Ostfalia, war eher zufällig gewählt, weil eine Freundin ihr davon erzählt hatte. Also Umzug, erste eigene Wohnung, Studen­ten­leben. „Das Mädchen aus der Provinz“ war beein­druckt: „Es gab viele lila Latzhosen, Dozenten mit langen Bärten, jede Menge freie Kunst­pro­jekte, endlos lange Diskus­sionen.“

Barbara Horn erlebt die Verwahr­lo­sung von Kindern

Ihre Berufung fand sie während des Anerken­nungs­jahres beim Jugendamt in Helmstedt. „Wir haben Familien zu Hause besucht, wir haben versucht, das Wohl der Kinder zu beurteilen“, erzählt sie von der Arbeit damals. „Zum ersten Mal habe ich Lebens­um­stände gesehen, die ich mir bis dahin gar nicht vorstellen konnte“, weiß sie noch wie heute und erzählt von undichten Fenstern, schim­me­ligen Wänden, Verwahr­lo­sung. „Und mitten­drin die Kinder“, fügt sie an. „Das war prägend für mich“, sagt sie, „und vor allem prägend für die Kinder. Oft für ein ganzes Leben.“

Sie hat gelernt und erlebt, dass ungüns­tige Rahmen­be­din­gungen den gesell­schaft­li­chen und sozialen Absturz gefähr­lich beschleu­nigen können. Sie weiß, dass „ihre“ Obdach­losen im Iglu zu einem großen Teil aus genau solch schwie­rigen Familien kommen. „Sie hatten und haben , keine Verwandten, keine Freunde, kein Netzwerk. Einsam­keit ist ein gefähr­li­cher Begleiter.“

Denn dieses Allein­sein führt häufig zu einer schwachen Resilienz, heißt: Wenig Wider­stands­kraft, um Schick­sals­schläge oder unglück­liche Umstände meistern zu können. „Wir haben auch Menschen mit einem abgeschlos­senen Studium unter unseren Klienten“, sagt Barbara Horn.

Ende der 1990er Jahre beginnt sie bei Tages­treff Meilen­stein in Helmstedt

Im Iglu kann man sich aufwärmen – es gibt Kaffee und Zuneigung.
Foto: Peter Sierigk

Nach beruf­li­chen Stationen in der Erwach­se­nen­bil­dung gab es für sie eine Hochzeit, die Geburt von Tochter Cinde­r­ella und Sohn Benjamin, und rund neun Jahre Famili­en­zeit zu Hause mit den kleinen Kindern. Gleich­zeitig soziales Engage­ment zu leisten, war selbst­ver­ständ­lich: „Wir haben damals in Helmstedt gewohnt, ich habe zum Beispiel Ferien­frei­zeiten bei Kirchen­ge­meinden begleitet.“

Dann kam 1997 das Angebot für den Tages­treff Meilen­stein in Helmstedt. Und da war sie sofort richtig. „Ich bin ein Organi­sa­ti­ons­ta­lent“, erzählt sie, „ich habe direkt alle meine Kontakte aktiviert, ruckzuck hatten wir Social ClubsKirchen­ge­meinden und auch Privat­leute, die uns mit Spenden unter­stützt haben.“

Die waren dringend nötig. „Hier im ehema­ligen Grenz­ge­biet gab es zahlreiche Menschen, die durch die deutsche Einigung entwur­zelt waren, ihre kärgli­chen Hütten oder Häuser waren abgerissen oder verkauft worden“, blickt sie zurück. Auch eine andere Begegnung hier hat sie noch gut in Erinne­rung: „Ein gut angezo­gener Mann kam auf dem Fahrrad an und ich dachte nur: Was wollen denn jetzt die Zeugen Jehovas hier?“ Aber so war es nicht. Der Mann war obdachlos. „Er hatte nur das, was er auf dem Leib trug“, erinnert sich Horn genau, „er hat sich gepflegt, so gut er konnte. Das war sein letzter Halt.“

„Mit einer Gruppe wohnungs­loser Menschen fällt man natürlich draußen auf“

2009, zwölf Jahre später, sucht Barbara Horn die Verän­de­rung. Privat und beruflich. Sie zieht nach Braun­schweig und übernimmt eine Stelle im Stadt­teil­laden West. Aber als 2011 das Angebot für den Tages­treff Iglu kommt, zögert sie nicht. „Ich wusste, dass ich im Tages­treff noch weitaus mehr Felder bespielen kann“, erklärt sie die schnelle Entschei­dung.

Spenden ranholen, Ausflüge organi­sieren, tragende Netzwerke aufbauen und pflegen. Das kann sie. „Länger vor Corona waren wir zum Beispiel im Zoo Magdeburg“, erzählt sie. „Das klingt einfach, ist aber nicht trivial. Denn unsere Klientel ist nicht so verbind­lich, es ist immer eine Überra­schung, wer von den angemel­deten Mitfah­rern dann wirklich am Bus steht“, erklärt sie lachend. Dann muss das Thema Alkohol für die Fahrt noch geklärt werden („wir versuchen, die Alkoho­liker zu überzeugen, ihren Pegel für ein paar Stunden relativ niedrig zu halten“).

Der Organi­sa­ti­ons­auf­wand ist hoch. Und: „Mit einer Gruppe wohnungs­loser Menschen fällt man natürlich draußen auf“, sagt die 62-Jährige, die locker zehn Jahre jünger wirkt, und lacht. Das macht sie aus. Sie nimmt nicht übel, sie wirft nichts vor, sie hat wenig Erwar­tungs­hal­tung.

Barbara Horn nimmt die Menschen so, wie sie sind. Und findet dann das jeweils Beste. Eine Gabe. Und ein Segen für die Menschen im Iglu. Nicht nur Sohn Benjamin kann stolz sein auf seine Mutter.

 

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 06.02.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article234498555/Fuer-Braunschweigs-Obdachlose-setzt-Barbara-Horn-viel-in-Bewegung.html (Bezahl-Artikel)

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