Von Türmern und Tauben in Braun­schweig

Das hätte Klaus Stümpel sicherlich gefreut: seine Statue auf dem Turm des ehemaligen Wasserwerks im Braunschweiger Bürgerpark – mit Taube. Foto: Bärbel Mäkeler

Was hat denn Braun­schweig mit Türmern zu tun? Nun, ganz einfach. Seit 2014 hat die Stadt wieder einen: den bronzenen „Türmer“ von Klaus Stümpel.

Heute „türme“ ich mit Ihnen. Das Wort leitet sich vom Wort „Turm“ ab, in den man floh, wenn Gefahr drohte. Man türmte. Der Turm wiederum war das Zuhause des Türmers. Dieser hatte früher die Aufgabe, in einem (Kirch-)Turm über die jeweilige Stadt oder Burg zu wachen und im Gefah­ren­fall zu warnen.

Er beobach­tete, ob Rauch­schwaden aufstiegen, also ob Feuer die Häuser bedrohte, oder ob sich Feinde der Stadt näherten. Mithilfe von Glocken, einem Wächter­horn oder Flaggen tat er dies kund. Ein litera­risch berühmtes Türmer­lied ist in Goethes Faust II zu finden: „Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt, dem Turme geschworen, gefällt mir die Welt.“

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 27.03.2022 (Bezahl-Artikel)

Ob ihm das immer gefiel, ist sehr fraglich, denn Türmer waren nicht gut angesehen, sie galten als „ehrlos“. Heute würde man sagen, sie waren Outlaws. Mitunter hatten sie aber auch angenehme Aufgaben, dann bliesen sie Choräle aus luftiger Höhe oder riefen die Uhrzeit aus. Auch heute gibt es noch Türmer, in einigen Städten türmen auch Frauen oder ganze Familien – heute aller­dings eher zu touris­ti­schen Zwecken. In Nördlingen in Süddeutsch­land zum Beispiel ruft der Türmer von 22:00 bis 24:00 Uhr halbstünd­lich sein „So G’sell, so!“.

Der Türmer wacht auf dem denkmal­ge­schützten Turm des ehema­ligen Wasser­werks im Bürger­park

In Münster bläst eine Türmerin an sechs Tagen die Woche von 20:30 bis 24:00 Uhr halbstünd­lich mit ihrem Horn ein Zeitsi­gnal. Die Turmstube ist telefo­nisch mit der Berufs­feu­er­wehr Münster verbunden, denn die Türmerin hält auch heutzu­tage noch eine Brand­wache über die Stadt. In der Vergan­gen­heit konnten nämlich mehrfach von Türmern hoch oben Brände entdeckt werden, bevor jemand anderes die Feuerwehr alarmierte.

Im nahen Helmstedt wird seit 1985 jeden zweiten Sonnabend um 11 Uhr die Woche „abgeblasen“ – immer mit dem Spruch: „Gott schütze unsere schöne Stadt – vor Feuer, Not und Ungemach!“ Drei Ehren­amt­liche teilen sich die Stelle. Sie merken, wir nähern uns Braun­schweig. Was hat denn unsere Stadt mit Türmern zu tun? Nun, ganz einfach. Seit 2014 haben wir wieder einen: den bronzenen „Türmer“ von Klaus Stümpel.

Er wacht auf dem denkmal­ge­schützten Turm des ehema­ligen Wasser­werks im Bürger­park, das vor dem Jahr 2002 zum Freizeit- und Bildungs­zen­trum gehörte und nun das Wahrzei­chen des Hotels am Bürger­park werden könnte. „Er“, das ist eine knapp vier Meter hohe schmale Bronze­figur, die mit Sockel 2000 Kilogramm wiegt.

Wie es dazu kam, ist eine schöne Geschichte. Professor Klaus Stümpel (1941 bis 2015), der vom Plakat­maler über Wander­zir­kus­jobs zur Malerei kam, „brannte“ schon immer für das Thema Vögel. Als Kind betrieb er eine Tauben­zucht und später begeis­terten ihn Falken. Ein Ornitho­loge also. Sein Interesse gipfelte darin, dass er im alten Wasser­turm Falken ansiedeln wollte.

2012 kam die Bürger­stif­tung ins Boot, die eine schöne und lukrative Idee zur Finan­zie­rung des Kunst­werks hatte

Bei Begehungen des Turms im Jahr 2006 entwi­ckelte sich die Idee, den schlanken Turm mit einer schlanken Figur zu bekrönen. Die Idee war also geboren, der Künstler vorhanden, nun fehlte noch ein kunst­af­finer Mensch, der das Projekt auf diesem Turm einfluss­reich unter­stützte, und wie so oft im Leben mangelte es am lieben Geld. Mit dem Investor des neuen Hotels war 2011 das erste Hindernis überwunden, denn dieser befür­wor­tete das Projekt auf „seinem“ Turm.

Nun musste nur noch Geld beschafft werden. Da kam 2012 die Bürger­stif­tung ins Boot, die eine schöne und lukrative Idee zur Finan­zie­rung des Kunst­werks hatte. Die Stiftung ließ 42 kleine „Türmer“ herstellen – sie maßen 54 Zenti­meter – und verkaufte sie für 3000 Euro an Braun­schweiger Kunst­lieb­haber.

In der Folge managte die Bürger­stif­tung das Kunst­pro­jekt als Bauherr. Die Bronze­figur erlebte eine Metamor­phose vom manns­großen Holzmo­dell – von Stümpel selbst angefer­tigt – über ein styro­por­ge­fülltes vier Meter hohes Draht­mo­dell zur Bronze­figur, die in Pistoia/Italien in mehreren Teilen gegossen wurde. Dann endlich, nach acht Jahren, konnte zur Einwei­hung am 26. April 2014 geladen werden.

Seitdem hat Braun­schweig wieder einen Türmer, die Falken­an­sied­lung hingegen hat nicht geklappt. Die Tauben gewannen gegen die Falken.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 27.03.2022 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article234927089/Von-Tuermern-und-Tauben-in-Braunschweig.html (Bezahl-Artikel)

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