Die Residenz war mehr als nur das Schloss

Ackerhofportal mit Stallmeisterhaus und Fassade der Reithalle an der Langedammstraße. Foto: aus Uhde, Braunschweigs Baudenkmäler, 1893

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 8: Der Wieder­aufbau der histo­ri­schen Neben­ge­bäude nach dem Zweiten Weltkrieg wäre möglich gewesen.

Fassade der Reithalle an der Lange­damm­straße, im Hinter­grund Magni­kirche. Foto: aus Reinhard Dorn, P. J. Krahe, Band 3, München 1997

Der Ackerhof bildet als kleiner Platz heute den Zugang in das Magni­viertel. Das in der einstigen Okernie­de­rung gelegene Quartier gehört zu den frühesten Siedlungs­zellen Braun­schweigs. Dort verlief eine mittel­al­ter­liche Fernhan­dels­straße, die östlich des Okerüber­gangs einen langge­streckten Straßen­markt ausbil­dete. Mit der Weihe der nahege­le­genen Magni­kirche im Jahr 1031 wurde Braun­schweig als „Brunes­guik“ erstmals urkund­lich erwähnt.

Der Ackerhof war ein großes Grund­stück, das ursprüng­lich als Wirtschaftshof des Grauen Hofes diente. Dieser Graue Hof war Stadthof des Zister­zi­en­ser­klos­ters Riddags­hausen und ging nach 1671 in landes­herr­li­chen Besitz über. Nach dem Bau des Residenz­schlosses Grauer Hof am Bohlweg (ab 1717) wurde der Ackerhof in den Residenz­kom­plex einbe­zogen. Dort entstanden schließ­lich für Regie­rungs­sitz und Hofhal­tung unver­zicht­bare Bauten wie Pferde­ställe, Wagen­re­misen sowie Unter­künfte für Bediens­tete.

„Pragma­tisch“ entstan­dene Gruppe

Entwurfs­zeich­nungen für Neubau der Reithalle von P. J. Krahe. Foto: Städti­sches Museum

Aufgrund der beengten Lage in der mittel­al­ter­li­chen Stadt war es nicht möglich, Schloss und Neben­ge­bäude zu einem einheit­li­chen Ensemble zusam­men­zu­schließen. Daraus ergab sich eine eher „pragma­tisch“ entstan­dene Gruppe von Neben­ge­bäuden im Südosten des Residenz­schlosses. Die überwie­gend im späten 18. Jahrhun­dert errich­teten Baulich­keiten bleiben auch nach dem Brand des Grauen Hofes (1830) und dem Neubau des Schlosses unter Herzog Wilhelm erhalten und in Funktion. Heute wird das Areal des einstigen Acker­hofes von der Bebauung nördlich der Lange­damm­straße und einem Teil der Georg-Eckert-Straße einge­nommen.

Das wohl bekann­teste Bauwerk des Residenz­quar­tiers war das 1772 errich­tete Ackerhof-Portal. Es bildete den südlichen Zugang zum Schloss­areal und konnte mit Gitter­toren verschlossen werden. Der freiste­hende Bogen war eines der frühen Zeugnisse klassi­zis­ti­scher Archi­tektur in Braun­schweig. Sein Entwurf stammte von dem Baumeister Wilhelm von Gebhardi. Der Torbogen war von jeweils zwei dorischen Pilastern flankiert. Sie trugen ein entspre­chendes Gesims und einen Giebelauf­satz. Für die Anlage der Georg-Eckert-Straße wurde das im Zweiten Weltkrieg unbeschä­digt geblie­bene Portal abgetragen und auf dem städti­schen Bauhof einge­la­gert. In jüngster Zeit erfolgten mehrfach Diskus­sionen über den Wieder­aufbau – mit der Frage nach einem sinnvollen Standort. Der Origi­nal­standort kommt aufgrund der baulichen und verkehr­li­chen Situation kaum infrage.

Acker­hof­portal und Südfas­sade Pferde­stall. Foto: Aus Hannover und Braun­schweig, Esslingen 1913

Vorbilder aus der Antike

Unmit­telbar an der Lange­damm­straße erhoben sich das ebenfalls von Gebhardi geplante Haus des Oberstall­meis­ters und die überdachte Reitbahn. Das in den 1770er Jahren errich­tete Stall­meis­ter­haus markierte die Ecksi­tua­tion zum Ackerhof und zeigte sich noch in schlichten spätba­ro­cken Bauformen. Den westli­chen Abschluss der Residenz­bauten bildete die monumen­tale Giebel­front des Reitstalls. Neben einer südlich des Schlosses gelegenen offenen Reitbahn entstand 1785 nach Entwurf des Hofbau­meis­ters Gottlob Christian Langwagen ein Reitstall mit freitra­gender Dachkon­struk­tion. Dieses Bauwerk erfuhr 1820–1824 nach Plänen Peter Joseph Krahes einen Umbau, auf den die wuchtige klassi­zis­ti­sche Front zur Lange­damm­straße zurück­ging. Seine Bogen­ar­chi­tektur mit einge­stellten Säulen wurde von einer dorischen Pilas­ter­ord­nung gerahmt und schloss mit einem flachen Giebel ab – eindeu­tiges Vorbild waren hier Bauwerke der Antike.

Westfas­sade des Pferde­stalls. Foto: Aus Hannover und Braun­schweig, Esslingen 1913

Im Jahr 1921 gestal­tete der Architekt und Hochschul­lehrer Daniel Thulesius das Innere des Bauwerks zu einem Licht­spiel­theater um – dem Kino „Schauburg“. Nach den Kriegs­zer­stö­rungen wurden die Reste des Stall­meis­ter­hauses und später (1958) die erhaltene Fassade der Reitbahn abgebro­chen. Erst 1979–1981 erfolgte an der Stelle eine Neube­bauung mit Backstein­fas­saden.

Abbruch erst 1966

Pferde­stall und Wagen­re­mise im Jahr 1926. Foto: Nieder­säch­si­sches Landesamt für Denkmal­pflege

Östlich des Acker­hof­por­tals befand sich ein langge­strecktes Stall­ge­bäude für Kutsch­pferde. Das gut propor­tio­nierte Bauwerk entstand 1788–1791 wiederum nach einem Entwurf Langwa­gens, der im gleichen Zeitraum für Herzog Karl Wilhelm Ferdinand auch das Residenz­schloss umgestal­tete. Die geräumige Stallung war am Verlauf der ehema­ligen Friesen­straße orien­tiert, seine Haupt­fas­sade zierte den Platz hinter dem Acker­hof­portal. Sie war durch einen fünfach­sigen Mittelbau mit Pilas­ter­ord­nung und Dreiecks­giebel betont. Die hochlie­genden Fenster ließen die Nutzung des Gebäudes als Stallung erkennen.

Am Nordende der langen Front wurde der Vorplatz von der Wagen­re­mise abgeschlossen. Dieses 1790 ebenfalls von Langwagen konzi­pierte Bauwerk öffnete sich mit drei Bogen­stel­lungen und zeigte wie der Pferde­stall eine gediegene frühklas­si­zis­ti­sche Formen­sprache. Die beiden Neben­ge­bäude der einstigen Residenz wurden zuletzt für gewerb­liche Zwecke genutzt, wozu die Fassade der Stallung umgebaut worden war. Nach ihrer Beschä­di­gung durch Bomben­an­griffe blieben die weitge­hend intakten Fassaden bis zu ihrem Abbruch im Jahr 1966 erhalten.

Das Schicksal der histo­ri­schen Neben­ge­bäude der Braun­schweiger Residenz zeigt, dass zahlreiche Baudenk­mäler, deren Wieder­aufbau durchaus möglich gewesen wäre, insbe­son­dere für den verkehrs­ge­rechten Ausbau der Innen­stadt weichen mussten. Damit sind fast sämtliche Zeugnisse in unserer Löwen­stadt aus der Zeit als herzog­liche Residenz ausge­löscht.

Lange­damm­straße heute. Foto: Elmar Arnhold

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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