Ein schwe­bender Markt­platz über Braun­schweigs Ägidi­en­markt?

Für den Ägidienmarkt hat Janna Vollrath eine Veranstaltungsfläche entworfen, die über der Straße schwebt. Foto: Janna Vollrath/TU Braunschweig

Die TU-Archi­tektur-Absol­ventin Janna Vollrath befasst sich mit neuen 3D-Druck­tech­niken und zeigt, wie die Zukunft des Bauens aussehen könnte.

Einst war der Ägidi­en­markt ein Markt­platz – heute ist davon nichts mehr zu erkennen. Die Stobenstraße/Auguststraße zerschneidet den vor langer Zeit zusam­men­hän­genden Bereich. Zwar wurde die Absper­rung entlang der Straßen­bahn­gleise vor einigen Jahren entfernt, so dass Fußgänger und Radfahrer die Straße queren können. Auch die Fahrbahnen sind inzwi­schen schmaler, und es gilt Tempo 30. Aber Straße bleibt Straße, und die direkte Verbin­dung ins Magni­viertel ist weiterhin unter­bro­chen.
Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 8.1.2023.

Was wäre, wenn der Ägidi­en­markt wieder eins würde? Wenn er wieder ein Ort urbanen Lebens wäre? Mit diesen Fragen hat sich die Archi­tektur-Absol­ventin Janna Vollrath in ihrer Master­ar­beit an der Techni­schen Univer­sität Braun­schweig befasst. Ihr Vorschlag: eine Veran­stal­tungs­fläche hoch oben über der Straße, gefertigt mit neuen 3D-Druck­tech­niken. Wie die TU mitteilt, überspannt sie in ihrem Entwurf die August­straße mit einem Markt­platz samt Grünfläche, Café und Bühne. Bestehende Bäume werden integriert.

3D-Druck ermög­licht Materi­al­er­sparnis beim Beton

Archi­tektur-Absol­ventin Janna Vollrath. Foto: Lea Schulze/TU Braun­schweig

Für diese fast schwe­bende Fläche über der Straße habe sich die angehende Archi­tektin mit den Methoden der additiven Fertigung vertraut gemacht, erläutert die Uni, also mit dem 3D-Druck. Drei verschie­dene Verfahren hat sie demnach in ihrer Arbeit kombi­niert: Automated Shotcrete 3D Printing, Knitcrete und Core Winding. Diese Techniken werden im Institut für Tragwerks­ent­wurf (ITE) und im Sonder­for­schungs­be­reich TR277 „Additive Manufac­tu­ring in Construc­tion (AMC)“ von TU Braun­schweig und TU München erforscht.

„In der additiven Fertigung liegt ein Teil der Zukunft für Archi­tektur und Bauwesen“, glaubt Janna Vollrath. Als entschei­dende Vorteile sieht sie die Möglich­keiten der Materi­al­er­spar­nis­beim Beton sowie die Formfrei­heit. Betreut wurde sie bei ihrer Master­ar­beit von Profes­sorin Helga Blocks­dorf vom Institut für Baukon­struk­tion und Professor Norman Hack vom ITE.

CNC-Strick­ma­schine strickt Bahnen aus techni­schen Garnen

Um die gewünschte Form zu erreichen, hat sie das noch junge Knitcrete-Verfahren von Mariana Popescu, Archi­tektin und Profes­sorin der TU Delft, zusammen mit der Shotcrete-3D-Printing-Techno­logie angewandt, erläutert die TU. Dazu werde die Form des Bauwerks in verschie­dene Bahnen aufge­teilt, die mittels einer CNC-Strick­ma­schine aus techni­schen Garnen gestrickt werden.

„Das Stricken mit der Maschine ermög­licht ein komplett indivi­du­elles Muster“, so Janna Vollrath. In diesem Fall habe sie ein Fachwerk­muster in verschie­denen Einfär­bungen des Textils entwi­ckelt – als Erinne­rung an die im Zweiten Weltkrieg zerstörten Fachwerk­häuser, die am Ägidi­en­markt standen. „Zusätz­lich greift das Muster die Position der alten Gebäude auf und erinnert so an die ehemalige Platz­si­tua­tion.“

Das Muster werde in einen Code übersetzt, den die Maschine dann umsetze. Anschlie­ßend könnten die so gestrickten Bahnen zusam­men­ge­packt und platz­spa­rend zur Baustelle trans­por­tiert werden, wo alles zusam­men­ge­fügt und aufge­spannt wird. „Danach folgt eine erste dünne und leichte Schicht zur Fixierung der Textil­scha­lung“, erklärt Janna Vollrath den weiteren Prozess. „Dazu können verschie­dene Beschich­tungs­ma­te­ria­lien wie Polymere, Harze und zement­ge­bun­dene Materia­lien genutzt werden.“

Weniger Gewicht und damit weniger CO2-Emissionen

Mit Methoden der additiven Fertigung könnte am Ägidi­en­markt ein schwe­bender Veran­stal­tungsort entstehen. Foto: Janna Vollrath/TU Braun­schweig

Auch der nächste Schritt erinnert Vollrath zufolge nicht an herkömm­liche Baume­thoden. Das Textil werde so gestrickt, dass sich in struk­tu­rell weniger beanspruchten Bereichen Luftta­schen­zwi­schen den Gewebe­lagen bilden, die beim anschlie­ßenden Beton­druck ausge­spart werden. Professor Norman erklärt: „Indem wir die Form optimieren und das Material nur dort auftragen, wo es struk­tu­rell benötigt wird, reduzieren wir den Materi­al­ver­brauch, das Gewicht und damit die CO2-Emissionen erheblich.“

Und weiter heißt es in der Presse­mit­tei­lung: „Nach zwei dünnen vollflä­chigen Lagen Beton und einer nach Kräfte­ver­lauf optimierten Faser­be­weh­rung können alle Spannungs­vor­rich­tungen entfernt werden.“ Wenn alles nach Plan laufe, sei eine Veran­stal­tungs­fläche aus einer verhält­nis­mäßig dünnen Beton­schichtmit dem noch sicht­baren Gestrickten auf der Unter­seite das Endergebnis.

Eine Brücke in kleinerem Maßstab wurde bereits per 3D-Druck erstellt

„Ein solches Bauwerk wurde noch nie gedruckt, aber ich könnte mir vorstellen, dass es klappt“, sagt die Absol­ventin. In einem kleineren Maßstab habe das Institut für Tragwerks­ent­wurf kürzlich bereits eine ähnliche Brücke nach einem Entwurf des standort­über­grei­fenden Seminars „Compu­ta­tional Design and Digital Fabri­ca­tion“ von TU Braun­schweig, TU München und TU Delft gedruckt. „Es ist also machbar.“

Der Sonderforschungsbereich„Transregio 277 Additive Manufac­tu­ring in Construc­tion (AMC)“ hat das Ziel, die Digita­li­sie­rung des Bauwesens wesent­lich mitzu­ge­stalten. Erforscht wird das ressourcen- und energie­ef­fi­zi­ente sowie nachhal­tige, recycle­bare und digitale Bauen. „Durch innova­tive 3D-Druck­ver­fahren werden Materia­lien, Prozesse und optimiertes Design völlig neu gedacht“, so die Uni. Die Wissen­schaftler des Sonder­for­schungs­be­rei­ches betonen: „Die Zukunft des Bauwesens ist digital gedruckt.“

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 8.1.2023 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article237310429/Ein-schwebender-Marktplatz-ueber-Braunschweigs-Aegidienmarkt.html

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