Das Porträt als Begegnung

Foto-Gespräch in der Klosterkirche. Auf dem Podium (v. l. n. r.): Christoph Borek, Elena Kaufmann, Barbara Hofmann-Johnson und Michael Grisko. Foto: Axel Grüner.
Foto-Gespräch in der Klosterkirche. Auf dem Podium (v. l. n. r.): Christoph Borek, Elena Kaufmann, Barbara Hofmann-Johnson und Michael Grisko. Foto: Axel Grüner.

Noch bis zum 3. April ist die Fotoaus­stel­lung „Der Weiße Faden“ in der Kloster­kirche Riddags­hausen zu sehen. Am 20. März setzte eine Gesprächs­runde zur Porträt­fo­to­grafie einen abschlie­ßenden Impuls. Barbara Hofmann-Johnson, Leiterin des Museums für Photo­gra­phie Braun­schweig, schreibt hier über zentrale Aspekte des Abends.

Anläss­lich der Ausstel­lung von Elena Kaufmann Der weiße Faden zum 750jährigen Kirch­wei­h­ju­bi­läum in der Kloster­kirche Riddags­hausen lohnte es sich, in einer Gesprächs­runde am 20. März 2025 über wichtige Aspekte der Porträt­fo­to­grafie und unsere Erwartung an das Abbild des Menschen, über Indivi­dua­lität und Identität, über Aura, Wahrneh­mung und Bewertung sowie über die konzep­tu­ellen Möglich­keiten künst­le­ri­scher Porträt­fo­to­grafie aus heutiger Sicht nachzu­denken. An dem Podium, moderiert von Prof. Dr. Michael Grisko (Richard Borek Stiftung), nahmen neben Elena Kaufmann auch der Braun­schweiger Fotograf Christoph Borek (Stiftung ManyFaces) sowie die Leiterin des Museums für Photo­gra­phie Braun­schweig, Barbara Hofmann-Johnson, teil.

Der Weiße Faden und das weiße Kleid

Portät aus „Der weiße Faden“. Foto: Elena Kaufmann
Portät aus „Der weiße Faden“. Foto: Elena Kaufmann

Der weiße Faden der Erfurter Fotografin Elena Kaufmann stellt Halb-Porträts von Frauen unter­schied­li­chen Alters, Hautfarbe und Herkunft vor hellem Hinter­grund vor. Sie gehören unter­schied­li­chen Religionen an und sind stets in dem gleichen natur­weißen Kleid vor neutralem Bildgrund aufge­nommen. Das Kleid wurde eigens für das umfas­sende Projekt entworfen und scheint eher zeitlos denn modisch. Kleidung erscheint nicht als Attribut oder gar symbo­lisch der jewei­ligen Person und deren Identi­fi­ka­tion mit einer Religion zugeschrieben und stellt damit indirekt die Frage danach, wie oft wir Bewer­tungen und Einord­nungen von Menschen auch durch Kleidung vorschnell vornehmen. Zu den Porträts gehören bei Elena Kaufmann Texte – sie können den Porträts in den Seiten­schiffen der Kirche nicht eindeutig zugeordnet werden und regen ebenfalls unser Nachdenken über mögliche Zuord­nungen an.

Porträt­fo­to­grafie hat Geschichte

Die Geschichte der Porträt­fo­to­grafie als wichtiges Themen­feld der Fotografie mit ihren bis heute vielschich­tigen Bildspra­chen und künst­le­ri­schen Vorge­hens­weisen reicht als Genre bis in die Anfänge der Geschichte des Mediums im 19. Jahrhun­dert zurück.

Neben Insze­nie­rungen des Menschen vor beson­deren Bühnen war es bereits der berühmte franzö­si­sche Fotograf Nadar (1820 – 1910) im 19. Jahrhun­dert, der das Wesen und die Aura von Personen eher vor neutralen Bildgründen vorstellte, um nicht von der Person abzulenken. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhun­derts vollzog August Sander (1876 – 1964) den nächsten konzep­tu­ellen Schritt der Porträt­fo­to­grafie und widmete sich in seinem umfas­senden Porträt­werk in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhun­derts den „Menschen des 20. Jahrhun­derts“ in sieben Gruppen und in Form von Typisie­rungen als Gesell­schafts­bild der Zeit.

Die zeitge­nös­si­sche Fotografin Rineke Dijkstra (* 1959) begleitet seit 1994 die ursprüng­lich aus Bosnien in die Nieder­lande geflüch­tete und inzwi­schen zu einer jungen Frau mit eigener Familie heran­ge­wach­sene „Almerisa“ in Porträts, die ihre Entwick­lung im kultu­rellen Kontext nach gleichem Insze­nie­rungs­muster auf einem Stuhl sitzend vorstellen. Dem Einzel­bild wird das sich entwi­ckelnde, serielle Porträt gegen­über­ge­stellt.

Jetzt auch Teil der "Many Faces"-Familie: Fotografin Elena Kaufmann. Foto: Christoph Borek, ManyFaces.
Jetzt auch Teil der “Many Faces”-Familie: Fotografin Elena Kaufmann. Foto: Christoph Borek, ManyFaces.

Many Faces: Über 1.000 Personen porträ­tiert

Dass der Mensch nicht mit einem Bild zu fassen ist und seine Identität komplex ist, zeigt auch das Projekt „Many Faces“ von Christoph Borek, das er an diesem Abend vorstellte. In den vergan­genen Jahren hat er inzwi­schen über 1.000 Personen in stets drei unter­schied­li­chen Gemüts­lagen fotogra­fiert, um damit die Facetten der Befind­lich­keiten als Varianten des Porträts zu thema­ti­sieren. Auch Elena Kaufmann gehört inzwi­schen zu den Porträ­tierten seines Großpro­jekts, für das er momentan eine Ausstel­lungs­fläche sucht. In der Gesprächs­runde konnte man beides betrachten: die lebhaft agierende Fotografin und ihr dreitei­liges Porträt von Christoph Borek.

Porträts sind Ausschnitte aus Lebens­zu­sam­men­hängen oder Insze­nie­rungen, die uns im Gegenüber auch stets unsere eigene Identität und das Bild von uns überdenken lassen.

Barbara Hofmann-Johnson ist Leiterin des Museums für Photo­gra­phie Braun­schweig.

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