Da kratzte der König der Tiere vergeb­lich

Kratzspuren am Dom. Foto: Peter Sierigk
Kratzspuren am Dom. Foto: Peter Sierigk

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 3: Die „Kratz­spuren“ am Dom St. Blasi, der Stifts­kirche Heinrich des Löwen.

An der Sippers­felder Kirche bezeichnet man vorhan­dene Kratz­spuren als vom Teufel verur­sacht. Die Stadt­kirche St. Marien in Homberg (Efze) weist solche auf, die von Gläubigen verur­sacht sein sollen. Sicher gibt es noch viele Kirchen mehr mit dazuge­hö­rigen Anekdoten.

Aber die schönste Geschichte zu diesem Thema existiert zu diesem Thema fraglos in Braun­schweig. Danach soll Herzog Heinrich der Löwe bei seiner Rückkehr von der Pilger­reise ins Heilige Land im Jahre 1173 einen Löwen mitge­bracht haben, der seitdem in Braun­schweig lebte. Wie er zu diesem ungewöhn­li­chen Begleiter kam, ist wiederum eine eigene Geschichte. Die Kurzform lautet: Heinrich fand in der Nähe von Jerusalem einen Löwen, der sich vergeb­lich bemühte, einen Dorn aus seiner Pfote zu ziehen. Er half dem Tier und hatte damit einen treuen Freund fürs Leben gewonnen.

Die andere Sage erzählt von Heinrichs Irrfahrten bei seiner Rückkehr von Jerusalem. Sein Schiff geriet in einen Sturm, wurde von der übrigen Flotte getrennt und schließ­lich brachen Mast und Steuer. Das hilflose Schiff wurde ein Spielball der Elemente, man war über sehr lange Zeit unterwegs und musste schließ­lich sogar darum würfeln, welchen Gefährten man schlach­tete. Heinrich konnte dem Schiff schließ­lich durch eine List entkommen. In eine Ochsen­haut eingenäht, brachte ihn der Vogel Greif als Beute in sein Nest – dort tötete Heinrich die Greife und schlug sich durch einen Urwald zum Meer durch. Dort tobte aber ein erbit­terter Kampf zwischen einem Drachen und einem Löwen. Heinrich half dem König der Tiere, kehrte mit ihm auf einem Floß zurück und wurde schließ­lich nur mit Hilfe des Teufels noch recht­zeitig nach Braun­schweig gebracht, um die Wieder­ver­hei­ra­tung seiner Mathilde zu verhin­dern. Es wird niemanden verwun­dern, dass er dabei auch noch den Teufel überlis­tete. Diese alte Sage, aufge­schrieben von den Brüdern Grimm, wird in verschie­denen Varianten zu Pfingsten mit den Heinrich-Festspielen aufge­führt.

Als Heinrich der Löwe 1195 starb, verwei­gerte man dem Tier jedoch den Zutritt in die noch nicht fertige Stifts­kirche. Der Eingang befand sich damals (vor dem Langhaus) eben an der Stelle, an der wir die Spuren des verzwei­felten Löwen erkennen können. Alle Ritter durften am Sarg des verstor­benen Herzogs Abschied nehmen, seinem treuesten Freund verwei­gerte man das – nach dem verzwei­felten Kratzen links und rechts neben der Pforte legte sich der Löwe schließ­lich vor die Kirche und verstarb an Ort und Stelle.

Sieht man einmal von dieser Sage ab, die noch heute den zahlrei­chen Besuchern unserer Stadt und natürlich besonders gern den Kindern erzählt wird – was mag nun aber eine Erklärung für die Spuren sein?

Geradezu absurd müssen alle Deutungen sein, die von dem Gebrauch einer Waffe berichten. Danach hätten die Ritter vor dem Betreten der Kirche ihre Schwerter an der Tür symbo­lisch ‚stumpf‘ gemacht. Wer den Wert einer mittel­al­ter­li­chen Klinge kennt, wird wissen, dass kein einziger Ritter jemals seine kostbare Waffe gegen einen Stein geschlagen hätte.

Noch unsin­niger wird es aber, wenn berichtet wird, dass dort Soldaten ihre Waffen gewetzt hätten oder gar während der franzö­si­schen Besatzung die Soldaten ihre Gewehre mit aufge­pflanzten Bajonetten an die Stellen gelehnt haben. Aus welchem Grund hätten sie das tun sollen?

Alle derar­tigen Erklä­rungen vergessen die Bedeutung eines Kirchen­baues für die Menschen der vergan­genen Jahrhun­derte. Eine Waffe gegen eine geweihte Kirche zu führen, wäre ein Sakrileg und mit Sicher­heit streng bestraft worden.

Die Stifts­kirche Heinrichs, die wir gern als Dom bezeichnen, wurde dem Heiligen St. Blasius geweiht, Blasius von Sebaste, den man in vielen Ländern verehrte und der als einer der vierzehn Nothelfer gilt. Er ist Schutz­pa­tron der Ärzte, aber auch der Blasmu­si­kanten, ja, sogar der Maurer und Gipser und Gerber.

Man schreibt ihm zu, dass er bei Halsbe­schwerden, Geschwüren, Zahnschmerzen, Blutungen und sogar der Pest helfen konnte und gerufen wurde. Da ist es viel wahrschein­li­cher, dass die Gläubigen nach einem Fürbit­ten­gebet am Ausgang der Kirche sich etwas vom geweihten Stein abkratzten und es zu sich nahmen – den Stein­staub ableckten oder mit Bier vermischt tranken, um die Gebets­wir­kung noch zu verstärken.

Ach, noch etwas: St. Blasius hat auch eine eigene Wetter­regel: St. Blasius stößt dem Winter die Hörner ab. Sein Gedenktag ist entweder der 3. Februar oder in den ortho­doxen Kirchen der 11. Februar. Übrigens wurde Heinrichs Stifts­kirche auch noch zur Ehre Johannes des Täufers geweiht. 1226 kam als dritter Schutz­hei­liger Thomas Beckett dazu.

Und natürlich hat der Löwe auf dem Burgplatz mit dieser Geschichte nur wenig zu tun. Das älteste, freiste­hende Denkmal nördlich der Alpen (erstmals 1166 erwähnt) war das Symbol für Macht und Gerichts­bar­keit Heinrichs.

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