Ein Kirchturm ohne Kirche

Die Abrisskante an der Burg. Foto: Thomas Ostwald
Die Abrisskante an der Burg. Foto: Thomas Ostwald

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 4: Abbruch­kante an der Burg soll auf früheren St. Peter und Paul-Stift hindeuten.

Wer von der Münzstraße einen Blick auf die Burg Dankwar­derode wirft, wird nicht nur den Wehrturm mit dem dunklen Holz erkennen, sondern auch einen Turm, auf dessen Spitze sich ein Kreuz befindet. Der Rest einer Kirche? Geht man auf den aus Fachwerk gefer­tigten Übergang zwischen Burg und Dom zu, erkennt man an der rechten Seite Steinfrag­mente, die darauf hindeuten, dass hier etwas fehlt, beschä­digt oder gar abgebro­chen wurde. Aber welche Kirche stand einst hier neben dem Dom Heinrich des Löwen?

Um 1030 wurde das St. Peter und Paul-Stift gegründet und erhielt einen sakralen Bau mit zwei Kirch­türmen. Als Heinrich der Löwe 1173 den Auftrag zum Bau der Stifts­kirche St. Blasi gab – unserem Dom – wurde die Stifts­kirche abgerissen, die Steine teilweise beim Bau der neuen Kirche verwendet. Steht man vor den „Kratz­spuren“ an der Pforte, erkennt man an der linken Seite den dunkleren Stein mit Kratz­spuren, der aus dem ersten Kirchenbau stammt. Im Laufe der Jahrhun­derte änderte sich die gesamte Burg- und Kirchen­an­lage an der Oker immer wieder.

Die alte Burg Dankwar­derode brannte im frühen 16. Jahrhun­dert ab.

Ab 1653 ließ Herzog August der Jüngere die Überreste der Burg als fürst­liche Wohnung umbauen, später wurde das Gebäude zum Mosthaus und erweitert. Dadurch musste die Burgka­pelle abgerissen werden. 1763 ließ Herzog Carl I. die Galerie und den südlichen Teil des Mosthauses abreißen. Glück­li­cher­weise wurden Pläne, das schöne Veltheim’sche Fachwerk­haus (auf dem Burgplatz neben dem Landes­mu­seum) abzureißen, nicht in die Tat umgesetzt. Es war dann Herzog Karl Wilhelm Ferdinand, der den Platz erneut umgestalten ließ. Burgtor und Wachhaus wurden abgebro­chen, das Vieweg-Haus entstand und wurde 1804 einge­weiht. Nach weiteren Umbauten brannte das Burgge­bäude 1873 ab.

Nach vielen Plänen und Ideen konnte Stadt­baurat Ludwig Winter schließ­lich mit der Unter­stüt­zung von Prinz Albrecht von Preußen, dem neuen Regenten des Herzog­tums, einen Neuaufbau der Burg auf dem Fundament der alten Burg in Auftrag geben. Aller­dings wurden dabei auch alle noch bestehenden Teile der Burg wie Säulen und Rundbögen abgetragen und ein vollstän­diger Neubau in histo­ri­sie­rendem Stil, wie man ihn im 19. Jahrhun­dert liebte, aufgebaut.

1888 entwarf Winter einen Turm für den Wieder­aufbau der Burgka­pelle. Aller­dings zeigte sich beim Bau, dass der Platz zu beengt war, um auch den zweiten Turm zu bauen. So gelang Ludwig Winter ein Kunst­griff: Er deutete mit der Abbruch­kante an, dass sich an dieser Stelle einst ein größerer Bau befunden hatte.

1911 konnte ein ‚Romani­sches Kostüm­fest‘ das Werk beschließen. Ludwig Winter, ‚Romaniker‘ und ‚Gotiker‘, hatte dreißig Jahre Planung und Arbeit in den roman­ti­sie­renden Neuaufbau der Burg gesteckt. Zur Einwei­hung sagte er: „Braun­schweig ist meine Stadt. Ich bin hier der Stadt­baurat. Wie die Stadt auszu­sehen hat, bestimme ich.“

Quelle: P. Königfeld, R. Roseneck: Burg Dankwar­derode. Ein Denkmal Heinrich des Löwen, Bremen, 1995.

Fotos

Das könnte Sie auch interessieren