Der Henker im Richthof von St. Aegidien

Blick auf den früheren Richthof von St. Aegidien. Foto Thomas Ostwald
Blick auf den früheren Richthof von St. Aegidien. Foto Thomas Ostwald

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 11.

Man hält es eigent­lich gar nicht für möglich, aber St. Aegidien war ein halbes Jahrhun­dert lang tatsäch­lich ein Gefängnis. Im Richthof des ehema­ligen Klosters wurden im 19. Jahrhun­dert sogar Todes­ur­teile vollstreckt. Um St. Aegidien ranken sich aber auch weitere skurrile Geschichten.

Schon die Gründung des Aegidi­en­klos­ters ist besonders. Sie geht auf die Markgräfin Gertrud II. zurück, die 1115 den Auftrag zur Kloster­grün­dung erteilte. An die Blütezeit des Klosters im 12. Jahrhun­dert erinnern noch vier erhaltene Kloster­räume. Der dort einst tätige Abt Heinrich II. Woltrop war gut befreundet mit Heinrich dem Löwen und wurde 1173 Bischof von Lübeck. Das Kloster entstand auf der höchsten Erhebung der Stadt innerhalb der Okerum­flut.

Markgräfin Gertrud soll nach einer Überlie­fe­rung der Heilige St. Auctor (oft auch: „St. Autor“ genannt) im Traum erschienen sein und sie aufge­for­dert haben, seine Gebeine nach Braun­schweig zu holen. Die Urgroß­mutter Heinrichs des Löwen unternahm tatsäch­lich dieses heikle Vorhaben, ließ den ehema­ligen Bischof von Metz und Trier ausgraben und ihm eine eigene Kapelle am Kloster einrichten.

Der Heilige rettete dann die Stadt vor einem Angriff der Staufer im Jahre 1200, indem er im Zelt der Befehls­haber erschien und ihnen ewige Verdammnis androhte. So wurde er zum Schutz­hei­ligen der Stadt. An seinem Todestag, dem 20. August, trug man über lange Zeit den Schrein mit seinen sterb­li­chen Überresten durch die Stadt. Neben dem Altstadt­rat­haus wurde der Autorshof errichtet. St. Autor selbst hält vom Seiten­giebel St. Aegidiens ein goldenes Kreuz segnend über seine Stadt.

Besonders beein­dru­ckend sind in der nach dem 2. Weltkrieg wieder als katho­li­sche Kirche geweihten St. Aegidien die Säulen­ver­zie­rungen, auf denen sich auch mancherlei Dämonen­dar­stel­lungen im Chorum­gang finden lassen.

1528 schlossen sich die Mönche des Klosters der Refor­ma­tion an, die dann das gesamte Herzogtum Braun­schweig-Wolfen­büttel erreichte. In St. Aegidien wurde eine evange­li­sche Pfarrei für die Kloster­frei­heit einge­richtet. Dann jedoch dienten die Kloster­ge­bäude von 1832 bis 1885 als Gefängnis – bis der Neubau am Rennel­berg einge­weiht werden konnte. Seit 1840 war es sogar ‚Landes­straf­an­stalt‘ mit dem Hinrich­tungshof.

In der Folge dieser Einrich­tung bekam auch der Henker Arbeit, denn in diesem Gefängnis wurden alle Verbre­cher einge­sperrt – vom Betrüger bis zum mehrfa­chen Mörder. Der Schrift­steller Robert Griepen­kerl, einst als „Deutscher Shake­speare“ gefeiert, musste hier ein Jahr Haft verbüßen, weil er von einem Betrüger herein­ge­legt wurde und für dessen Schulden aufkommen musste. Noch heute finden sich an den Säulen, die einst in den Zellen standen, Namen und Jahres­zahlen über die zu verbü­ßenden Strafen.

Für die letzte, im 19. Jahrhun­dert öffent­lich durch­ge­führte und sogar fotogra­fierte Hinrich­tung mit dem Schwert, die im Richthof von St. Aegidien vollzogen wurde, musste ein Henker von Aschers­leben geholt werden, weil zu dieser Zeit kein Henker mehr in Braun­schweig wohnte und seinen Dienst verrich­tete.

Auf der rechten Seite des Hofes wurde 1906 der Chor der Pauli­ner­kirche wieder aufgebaut, die man an der Dankward­straße abgerissen hatte. Dort konnte das ‚Vater­län­di­sche Museum‘, 1891 gegründet, als ‚Braun­schwei­gi­sches Landes­mu­seum‘, Räume beziehen. 1925 erfolgte im Museum der Einbau der Hornburger Synagoge. Im Krieg zerstört und 1957/68 wieder aufgebaut, konnte 1987 in diesen Räumen das Jüdische Museum wieder eröffnet werden, das nun nach einer umfang­rei­chen Renovie­rung in neues Licht gerückt wurde.

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