Wider das Leben im Hamsterrad

Kathrin Reinhardt und Jan Fritsch als Kassandra und Kosmo Kramer in Flow. Foto: Andreas Greiner-Napp
Kathrin Reinhardt und Jan Fritsch als Kassandra und Kosmo Kramer in Flow. Foto: Andreas Greiner-Napp

Ulrike Willberg schickt ihr Publikum auf Resonanz­erfah­rung durch das Haus der Braun­schwei­gi­schen Stiftungen.  

Geht es Ihnen auch so: Sie fühlen sich einge­klemmt zwischen Effizi­enz­denken, Leistungs­druck und Optimie­rungs­wahn? Sie rackern sich ab, um im kapita­lis­ti­schen Ratten­rennen die Zielmarke Höher­Schnel­ler­Weiter zu erreichen? Sie sind wie all Ihre Kollegen auf der Beschleu­ni­gungs­um­lauf­bahn unterwegs, Sie geben sich dem globalen Steige­rungs­wahn hin? Natürlich geht es Ihnen auch so, geht ja gar nicht anders, und wahrschein­lich sehnen Sie sich nach Entschleu­ni­gung und Ruhe, Dampf­sauna und Ganzkör­per­töp­fern, nach absichts­losen Zeitfens­tern, in denen Sie endlich mal wieder in sich selbst schauen und hinein hören können, was da noch so klingt und schwingt.

Dann sind Sie genau richtig bei K & K Solutions! Kassandra & Kosmo Kramer werden Ihnen in einer Resonanz­erfah­rungs­fort­bil­dung eine kreative Auszeit bescheren, auf dass ihr Flow wieder richtig ins Flowen kommt.

Das schräge Seminar im Haus der Braun­schwei­gi­schen Stiftungen ist Theater mit Mitmach­mo­menten. Die Produk­tion von Ulrike Willberg und der „Agentur für Weltver­bes­se­rungs­pläne“ bespielt alle Etagen der Villa. Und wir, das Publikum, werden von dem am liebsten die ganze Welt umarmenden Kramer­paar als „nette Mitarbeiter*innen des Katas­ter­amtes“ begrüßt. Namens­schilder gab‘s schon eingangs, ich war dann mal für bewegte 90 Minuten treppauf, treppab die Dörte.

Wohin die Reise in die „neue, entschleu­nigte Zukunft“ geht, wird gleich zu Beginn deutlich, als uns Kassandra (Kathrin Reinhardt) mit bleckendem Blenda­med­lä­cheln erklärt, dass wir diese Resonanz­erfah­rungs­fort­bil­dung in unserem Resonanz­erfah­rungs­kran­ken­kas­sen­bo­nus­heft selbst­ver­ständ­lich abstem­peln lassen können. Und dass neueste wissen­schaft­liche und konzep­tio­nelle Überle­gungen ihrer­seits selbst­ver­ständ­lich  konzep­tio­nell in das Konzept dieser Resonanz­erfah­rungs­fort­bil­dung einge­flossen sind. „Das hier hat Premi­um­qua­lität!“ singsangt  Kassandra zuckersüß.

Diese kurzwei­lige Produk­tion, die im Laufe der Treppenauf- und abgänge immer mal wieder ins Groteske, niemals ins Alberne kippt, enttarnt das phrasen­hafte Wortge­klingel, die  leerdre­henden, pseudo­wis­sen­schaft­li­chen Sprach­un­ge­tüme solcher Seminare und Fortbil­dungen indem es die Worthülsen karikiert, ins Absurde überdreht, als hohles Gewäsch vorführt. Solche Selbst­er­fah­rungs­se­mi­nare, die Entschleu­ni­gung und die Wieder­ent­de­ckung verschüt­teten Poten­zials verspre­chen, sind ja in den letzten Jahren wie Giftpilze aus dem Bode geschossen. Willberg gelingt es in ihrer Farce amüsant und leicht­händig, niemals belehrend, allen­falls ein wenig redundant, auch diese Seite der Heils­ver­spre­chungen von der großen Selbst­fin­dung und ‑besinnung zu beleuchten: dass nämlich mit der Erschöp­fung der Menschen gut Geld verdient wird.

Wir folgen dem alerten Kosmo (Jan Fritsch) ins Unter­ge­schoss, dem Zentrum für Leib und Seele. Begleitet wird er von den sibiri­schen Folklo­re­schwes­tern Olga und Wolga, die unter der Hand Wodka gegen Bares anbieten und uns zu keiner Zeit die Skurri­lität solch reali­tätsnah insze­nierter Seminar­at­mo­sphäre vergessen lassen. Rheto­risch brillant wie diese Selbst­er­fah­rungs-Experten unbedingt sein müssen, weist uns Kosmo in das Reich der Selbst­fin­dungs­mög­lich­keit ein: Lumilumi­an­wen­dung, Resonanz, Wellness, Musik. Als sein Telefon klingelt, muss er ran, und im Nebenraum hört man: Es geht um Geld! Kein Säuseln mehr, eher schlan­gen­haftes Zischeln.

Kassandra, die im Spannungs­feld zwischen Verspan­nungen ihrer Teilnehmer und verspanntem Verhältnis zu Kosmo grandios die Waage zu halten sucht,  stimmt uns im OG darauf ein, „mal aufzu­ma­chen, einfach mal nur da zu sitzen, sorglos Zeit zu verschenken, kleine Breschen in das Beton­kor­setts des Alltags zu schlagen, inne zu halten, zu hören, wie die Welt klingt und atmet, sich selbst zu hören, alle Sinne zu spüren“. Eben diese ganze klebrige, in Kommu­ni­ka­ti­ons­trai­nings antrai­nierte, sprach­liche  Entschleu­ni­gungs­dresch­ma­schine. Wenn sie dann noch den Kommu­ni­ka­ti­ons­song anstimmen: eine Resonanz­un­ter­hal­tungs­er­fah­rung auf echt hohem Resonanz­ni­veau.

In der Teeküche gibt es dann für alle ein Glas Wasser, „mit dem Holzlöffel aus dem villaei­genen Brunnen geschöpft“ und die Bitte, doch unsere Resonanz­erfah­rungen zu notieren. Wir kichern, überlegen, manche bekommen rote Wangen, wir fallen nicht aus der Rolle, wenngleich doch die Frage an Kosmo mehr als drängend wäre: Was soll dieser Resonanz­quatsch überhaupt? Und was ist das eigent­lich: Resonanz­erfah­rung? Auch an dieser Station gelingt es Willberg spiele­risch, uns in die Falle tappen zu lassen und vorzu­führen, wie wir immer wieder auf solche Sprech­blasen herein­fallen. Auch ein bisschen peinlich, diese Selbst­er­fah­rung.

Im Keller wird es dann richtig traurig. Wir lernen in einer  Resonanz­ein­zel­ka­bine, die gegen geringen Aufpreis(!) gemietet werden kann, eine Angestellte kennen, die die Freude an der Arbeit verloren hat, der auf halber Strecke die Puste ausge­gangen ist. Und da hat ihr Chef sie zu diesem Seminar geschickt. Toll! Oder? Die vermeint­liche betrieb­liche Fürsorge wird in dieser Keller­kammer als das entlarvt, was oft dahinter steckt: Selbst­op­ti­mie­rung, auf dass der Laden wieder rund läuft. Und darin der resonanz­the­ra­pierte  Mitar­beiter. Wo von Experten wie K & K Solutions scheinbar Probleme gelöst werden sollen, geht es nur um die Rückfüh­rung in die Strom­linie. Von wegen Entschleu­ni­gung .… .

Gefördert wird „Flow“ von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, der Bürger­stif­tung Braun­schweig, der Braun­schwei­gi­schen Landschaft, dem Kultur­büro Hannover, der Region Hannover, dem Freien Theater Hannover, der Stiftung der Sparkasse und der Region Hannover sowie Die Braun­schwei­gi­sche Stiftung.

Weitere Termine im Haus Löwenwall 16 in Braun­schweig: 3. März, 20., 26., 27. Mai, 9. und 10. Juni jeweils um 20 Uhr. 6. März, 11 Uhr. 19. Mai, 18 Uhr (Karten nur an der Abend­kasse). Karten unter 05 31/27359–18, Mo. bis Fr. 10 bis 15 Uhr. Mehr unter www.ulrikewillberg.de

Video: https://www.der-loewe.info/kk-solutions-machen-alles-moeglich/

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