Das Schloss – eine Demüti­gung für die Stadt?

Schloss Symposium
Das Podium im Blauen Saal des Schlosses: (von links) Prof. Arnold Bartetzky, Prof. Christoph Stölzl, Moderator Armin Maus, Gert Hoffmann, Prof. Alexander von Kienlin

Exper­ten­streit beim Symposium zu „10 Jahre Rekon­struk­tion Residenz­schloss Braun­schweig“.

Der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz (SBK) ging es bei ihrem Symposium „Wieder­ge­won­nene Geschichte. 10 Jahre Rekon­struk­tion Residenz­schloss Braun­schweig“ ganz offen­sicht­lich nicht um Lobhu­delei für den Wieder­aufbau des Schlosses. Mit dem Kunst­his­to­riker und Archi­tek­tur­kri­tiker Prof. Arnold Bartetzky und dem Archi­tek­tur­his­to­riker Prof. Alexander von Kienlin hatte sie kritische Geister einge­laden, die viel Kritik­wür­diges ausmachten. Bemängelt wurden in erster Linie die Kombi­na­tion aus Kommerz und Kultur sowie handwerk­liche Fehler bei der Rekon­struk­tion. Weitere Vortra­gende waren Histo­riker Prof. Christoph Stölzl und SBK-Präsident Gert Hoffmann, vor zehn Jahren Oberbür­ger­meister Braun­schweigs.

Für Hoffmann hat das Braun­schweiger Land durch die Rekon­struk­tion tatsäch­lich  wieder einen wichtigen Teil seiner Geschichte zurück­ge­wonnen, einen Teil der „Braun­schwei­gi­schen Identität“. Natürlich müsse niemand diese Sicht teilen. Die Debatten um das Schloss seien nicht nur städte­bau­liche und denkmal­pfle­ge­ri­sche, sondern auch politi­sche.

In seiner Begrüßung sagte er: „Dieses in der Geschichte der Stadt, ja des gesamten Braun­schweiger Landes, so bedeu­tende Ereignis, hat nicht nur vor zehn Jahren bundes­weit Aufsehen erregt und die Gemüter erhitzt, sondern ist auch noch zehn Jahre danach Gegen­stand heftiger Kontro­versen. Wie man fühlen kann.“ Hoffmann, damaliger Oberbür­ger­meister, erinnerte daran, dass es ihm und den Mitstrei­tern gelungen sei, die ursprüng­liche ECE-Idee vom „Kauf-Schloss“ umzuwan­deln in eine mit vielen Origi­nal­teilen versehene, „seriöse“ Rekon­struk­tion, die heute Sitz der wichtigsten städti­schen Kultur­ein­rich­tungen mit Stadt­ar­chiv und Stadt­bi­blio­thek sei.

„Und noch jeder Kritiker, mit dem ich in den letzten zehn Jahren draußen auf dem Schloss­platz stand, räumte ein, dass es faszi­nie­rend sei, wie der Ottmer­sche Bau wieder diesen wichtigsten inner­städ­ti­schen Raum dominiere und dahinter alles, was in der Nachkriegs­zeit mehr oder weniger schreck­lich herum gebaut worden sei, überstrahle und dominiere. Auch das von jenen Kritikern so abgelehnte Einkaufs­zen­trum“, erklärte er.

Reprä­sen­ta­tive Umfragen renom­mierter Meinungs­for­schungs­in­sti­tute belegten, dass die übergroßen Mehrheit der Bevöl­ke­rung ihr „Schloss“ seit dem Tage der Fertig­stel­lung der Rekon­struk­tion nicht nur akzep­tiert, sondern angenommen habe und stolz sei stolz auf den Bau. Aber viele der engagierten Kritiker dieses Projekts hätten deshalb natürlich nicht ihre Auffas­sungen geändert.

So mussten die geladenen Gäste, darunter Städte­bauer Prof. Walter Ackers, Schloss-Experte Bernd Wedemeyer und Richard Borek für die Schloss­freunde, teilweise kräftig schlucken angesichts der geübten Kritik. Ihre Wahrneh­mung des Schlosses ist eine ganz andere. Prof. Bartetzky nannte das Schloss gar eine Demüti­gung für die Stadt, weil sich der Moloch „Schloss-Arkaden“ als Einkaufs­zen­trum anschließe und rückwär­tige Fassaden der Mall eine Frechheit gegenüber den Anwohnern seien. Prof. von Kienlin wies darauf hin, dass Dehnungs­fugen, Hinter­lüf­tung, teilweise mangel­hafte Gestal­tung neuer Schmuck­ele­mente und auch histo­risch falsch aufge­baute Elemente wie ein Durchgang an der südöst­li­chen Teilfas­sade nichts mit origi­nal­ge­treuer Rekon­struk­tion zu tun habe.

Für Prof. Bartetzky, Mitglied der Exper­ten­gruppe Städte­bau­li­cher Denkmal­schutz beim Bundes­bau­mi­nis­te­rium, sind Schloss und Schloss-Arkaden ein „Dokument der Selbst­er­nied­ri­gung einer Stadt gegenüber dem Kommerz“. Er beklagt den Verlust des rückwär­tigen Stadt­raums an einen Autisten, wie er das Einkaufs­zen­trum bezeichnet. „Wenn ein Schloss zum Dekor eines banalen Einkaufs­zen­trums wird, dann wirkt das doch verstö­rend auf jeden, der nur eine Ahnung von unserer Geschichte und einen Hauch Respekt vor unserer Kultur hat“, meinte er.

Und weiter sagte der Honorar­pro­fessor an der Univer­sität Leipzig: „Es ist für mich noch immer ein Schock, wenn ich die Schloss-Arkaden durch den Portikus des Schlosses betrete. Man kann darin die Verhöh­nung eines Schlosses sehen.“ Braun­schweig nehme deswegen unter den Rekon­struk­tionen eine Sonder­stel­lung ein, wie ein Famili­en­mit­glied, das nicht immer gern einge­laden würde.  Dabei sei die Verbin­dung von Kultur und Handel seit Jahrhun­derten etwas Selbst­ver­ständ­li­ches, nur in Braun­schweig stimme die Balance zwischen öffent­li­cher und kommer­zi­eller Nutzung nicht. Er konsta­tierte aber, dass das Schloss sehr wohl ein  Stück wieder­ge­won­nene Geschichte sei.

SBK-Präsident Gert Hoffmann sagte, dass Schloss-Arkaden und Schloss unter­schied­liche Projekte seien. „Die Trennung der Shopping­mall und der Schloss­re­kon­struk­tion, die ich als „Kultur-Schloss“ bezeichnen möchte, ist durchaus sinnvoll und gerecht­fer­tigt. Themen und Nutzungen sind ganz verschieden – auch wenn die Gebäude nicht nur baulich, sondern vor allem finan­ziell untrennbar zusam­men­ge­hören“, meinte er. Die Verbin­dung sei ihm genauso wie den Schloss­freunden diese Verbin­dung nicht leicht gefallen.

„Natürlich hätten alle Schloss­freunde, es am liebsten gehabt, es hätte die Möglich­keit gegeben, dass alte Schloss innen wie außen hundert­pro­zentig neu aufzu­bauen. Wenn das schon für das national wichtigste Vorhaben, das in der deutschen Haupt­stadt, nicht möglich war und ist, wie sollte das bei uns in Braun­schweig, ohne jegliche Unter­stüt­zung großer Sponsoren oder von Land und Bund gelingen? Wer hier ‘Alles oder Nichts!‘ forderte, konnte immer nur zum ‘Nichts‘ kommen – und das wollten wir nicht. Wir wollten nicht die ‘Nichts‘-Lösung, bei der alles heute hier an dieser Stelle noch so aussähe wie 2002. Und wahrschein­lich für immer. Wir wollten die kompro­miss­hafte Chance für eine Teilre­kon­struk­tion nutzen, und waren deshalb zu Kompro­missen bereit. Und ich glaube nach wie vor, dass das kein schlechter Kompro­miss war“, führte Hoffmann weiter aus.

Für Prof. von Kienlin hat der Bau des neuen Schlosses zwar ein städte­bau­li­ches Problem gelöst, aber die bedeu­ten­dere Fassade, die Rückseite mit der Rotunde fehle vollständig. Das Problem des Baus sei, dass nur die drei äußeren Fassaden rekon­stru­iert worden seien. Es sei erkennbar, dass Geld und Zeit gefehlt hätten. „Einen histo­ri­schen Bau dieser Qualität können wir einfach heute nicht mehr herstellen. Selbst in der Stuckatur sind wir weit von den Vorbil­dern entfernt“, kriti­sierte der Archi­tek­tur­his­to­riker.

„Niemand wollte die Echtheit des alten Schlosses vortäu­schen oder gar Geschichte und durch deutsche Schuld verur­sachte Zerstö­rung gewis­ser­maßen als Wegwi­schen dieses Umstandes revidieren. Sondern vor allem ging es um Wieder­ge­win­nung von Geschichte und Wieder­her­stel­lung stadt­räum­li­cher Bezie­hungen und städte­bau­li­cher und histo­ri­scher Identi­fi­ka­tion. Verbunden mit anhal­tendem, aber nun gemin­dertem Abschieds­schmerz über das Verlorene, das unersetz­lich ist und bleibt“, sagte Hoffmann abschlie­ßend.

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