Moment­auf­nahme im Gedächtnis der Stadt

Die Bestände des Stadtarchivs warten darauf, entdeckt zu werden. Foto: Stadt Braunschweig, Daniela Nielsen.
Die Bestände des Stadtarchivs warten darauf, entdeckt zu werden. Foto: Stadt Braunschweig, Daniela Nielsen.

Acht Regal­ki­lo­meter Akten umfasst das „Gedächtnis der Stadt“, Urkunden, Stadt­bü­cher, Akten, Fotogra­fien, Karten und Pläne aus den unter­schied­li­chen Epochen der Stadt­ge­schichte. Nun hat das Stadt­ar­chiv Braun­schweig eine Übersicht über seine Bestände vorgelegt.

Kultur­de­zer­nentin Dr. Anja Hesse verglich die Funktion des Stadt­ar­chivs mit der eines „Stadt­ge­dächt­nisses“, das Zeugnisse der Geschichte von den schrift­lich dokumen­tierten Anfängen im 11. Jahrhun­dert bis zur tages­ak­tu­ellen Zeitung aufbe­wahrt. Erinne­rungs­lü­cken, gar Alzheimer oder Demenz? „Unser Gedächtnis ist ganz gut beiein­ander“, freute sich Hesse. Denn durch glück­liche Umstände ist das Stadt­ar­chiv von größeren Verlusten durch Kriegs­ein­wir­kungen, Brände oder Natur­ka­ta­stro­phen verschont geblieben und gehört heute mit seinen vielfäl­tigen und reich­hal­tigen Beständen zu den großen Kommu­nal­ar­chiven in Norddeutsch­land.

Inhalt­lich steht natürlich die Überlie­fe­rung der städti­schen Verwal­tung seit dem späten Mittel­alter im Vorder­grund. Neben diesem amtlichen Archivgut verwahrt das Stadt­ar­chiv aber auch in größerem Umfang Schriftgut nicht­amt­li­cher Herkunft. Darunter befinden sich Bestände von überre­gio­naler Bedeutung, so beispiels­weise ein Teil des Nachlasses von Carl Friedrich Gauß, die Nachlässe der Schrift­steller Friedrich Gerstä­cker und Wilhelm Raabe oder der des Oberbür­ger­meis­ters und SPD-Politi­kers Otto Bennemann.

Doch diese Vielfalt und Menge wird es natürlich proble­ma­tisch, wenn man dem Nutzer einen schnellen Überblick über die Bestände geben will. Dabei hilft das nun vorge­stellte Verzeichnis. Es bietet eine Orien­tie­rung, welche Bestände zur Beant­wor­tung einer Frage­stel­lung hilfreich sein könnten.

Dr. Brage Bei der Wieden, Direktor des Landes­ar­chivs in Wolfen­büttel, warf einen nachbar­schaft­li­chen Blick auf das Stadt­ar­chiv und lobte die Initia­tive des Stadt­ar­chivs. Die Archive erfüllen als eine Art „öffent­li­ches Gedächtnis“ eine wichtige gesell­schaft­liche Funktion, indem sie Vergan­genes erinnerbar machen. „Doch wenn man die Funkti­ons­weise und die Ausmaße seines Gedächt­nisses nicht kennt, ist es nutzlos“, so Bei der Wieden.

Ein Gedächtnis müsse jedoch nicht nur Infor­ma­tionen aufbe­wahren, sondern sie auch mitein­ander verknüpfen. Erst so entstehe Erinne­rung und damit auch Vergan­gen­heit. Das Erinnern sei quasi die Schnitt­stelle zwischen Archiv und Gesell­schaft, das so einen wesent­li­chen Beitrag zum Zusam­men­halt unserer Gesell­schaft und der auf Geschichte gründenden Identi­täts­bil­dung in Stadt und Land leiste. Und deshalb sei hier jeder gefragt, sich mit den Beständen der Archive zu beschäf­tigen, Fragen an sie zu stellen, Antworten zu suchen.

Den spröden Charme eines Telefon­bu­ches oder Branchen­ver­zeich­nisses beschei­nigte Dr. Henning Stein­führer, Leiter des Stadt­ar­chivs, der von ihm heraus­ge­ge­benen Publi­ka­tion. „Aber auch da ist man überglück­lich, wenn man Antworten auf seine Fragen gefunden hat.“ Dazu wird jeder einzelne Bestand des Archivs kurz beschrieben, ergänzt durch Querver­weise auf andere Bestände und Litera­tur­an­gaben. Ein umfang­rei­cher Index erleich­tert die Suche in dem Band. Nicht „nacht­tisch­ge­eignet“ sei das Werk, konsta­tierte auch Hesse schmun­zelnd, auch wenn es mit zahlrei­chen Bildern illus­triert ist. Eher ein treuer Begleiter in allen Fragen zu Infor­ma­tionen über die Stadt­ge­schichte, den man immer wieder mit Gewinn zur Hand nehmen könne.

Seit 2007 hat das „Gedächtnis“ Braun­schweigs seinen Sitz im Oberge­schoss des wieder aufge­bauten Schlosses. „Ein Gewinn für alle“, freut sich Stein­führer. Denn hier verfügt es über eine zeitge­mäße techni­sche Ausstat­tung, ausrei­chend dimen­sio­nierte und klima­ti­sierte Magazine für die kommenden Jahrzehnte. Und auch die Nutzer freuen sich, was sich in einer deutli­chen Zunahme der Zahl der Archiv­be­su­cher ausdrückt. Ob Famili­en­for­scher, Hobby­his­to­riker oder Wissen­schaftler, „unsere Bestände haben kaum Grenzen für den Forscher­geist“, versi­chert Stein­führer, der sich bei seinen Mitar­bei­tern für das große Engage­ment bei der Erstel­lung der Übersicht bedankt.

Die Druck­le­gung der Bestän­de­über­sicht wurde unter­stützt durch die von dem langjäh­rigen Archiv­di­rektor Dr. Richard Moderhack einge­rich­tete Richard und Dietrich Moderhack-Stiftung, die Richard-Borek-Stiftung und die von Dammschen-Stiftung. Und so überreichte Stein­führer Prof. Dr. Dietrich Moderhack das erste Exemplar der druck­fri­schen Bestän­de­über­sicht.

Ist ein gedrucktes Werk in Zeiten der Inter­net­re­cherche und digital verfüg­barer Infor­ma­tionen bei Druck­le­gung durch Neuzu­gänge und Fortschritte bei der Erschlie­ßung schon wieder veraltet? Eine durchaus berech­tigte Frage, fand auch Stein­führer. Doch gerade die reduzierte Form sei reizvoll, biete sie doch einen ersten Zugang zu den Archiv­be­ständen, den Ausgangs­punkt einer Recherche. Zudem wird das Stadt­ar­chiv die Übersicht zukünftig auch in digitaler Form auf seiner Inter­net­seite anbieten und dort laufend aktua­li­sieren.

Infor­ma­tionen

Henning Stein­führer (Hrsg.), Die Bestände des Stadt­ar­chivs Braun­schweig (Braun­schweiger Werkstücke 115), Appelhans-Verlag Braun­schweig 2018.

Preis: 30,00 Euro

Erhält­lich ab Ende Februar im Buchhandel und im Lesesaal des Stadt­ar­chivs, Schloss­platz 1.

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