Jedes Kunst­ob­jekt ein Krimi­nal­fall

Professor Jochen Luckhardt. Foto: Andreas Berger
Professor Jochen Luckhardt. Foto: Andreas Berger

Im Gespräch erzählt der schei­dende Direktor des Herzog-Anton-Ulrich-Museums von seinen Erwer­bungen und inter­na­tio­nalen Verknüp­fungen.

Mit der Ausstel­lung „Kunst setzt Zeichen“ verab­schiedet sich Professor Jochen Luckhardt aus seinem Amt als Direktor des Herzog-Anton-Ulrich-Museums in Braun­schweig. 1990 hat er es übernommen, im Februar 2019 geht er mit 66 Jahren offiziell in den Ruhestand. Seine Abschieds­schau vereint die Neuerwer­bungen seiner Amtszeit. Zum Gespräch traf ihn Kultur­re­dak­teur Andreas Berger in seinem Büro im Anbau des Museums.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 25.10.2018. (Bezahl-Artikel)


Nun waren Sie so lange Museums­chef. Woher kam die Liebe zur Kunst?

Ich komme aus einem sehr geschichts­träch­tigen Flecken, der kleinen Stadt Gevels­berg zwischen Sauerland und Ruhrge­biet. Schon als Kind wurde mir die Geschichte von der Mordtat am Reichs­ver­weser und Kölner Erzbi­schof Engelbert erzählt, ausgeübt 1225 von seinem Neffen Graf von Isenberg in einem Hohlweg am Hang des Gevels­bergs. Zur Sühne wurde dort ein Zister­zi­en­se­rin­nen­kloster gebaut mit einer Holzstatue Engel­berts, die es heute noch in einem westfä­li­schen Museum gibt. Über die schrieb ich dann als Student meinen ersten Aufsatz. Und es ist schön, wie sich der Kreis im Kultur­haupt­stadt­jahr des Ruhrge­biets 2010 wieder schloss, als ich den entspre­chenden Katalog­bei­trag im Ausstel­lungs­ka­talog „Das Ruhrge­biet im Mittel­alter“ schreiben durfte.

Geschichte hat mich immer inter­es­siert, ansonsten war ich gar nicht so gut in der Schule. Und die Kunst fand ich auch immer dann besonders spannend, wenn sie Geschichte(n) erzählt. Die Geschichten, die hinter einem Kunst­ob­jekt stecken, waren für mich das Faszi­nosum. Darum habe ich mein Büchlein zur Wieder­eröff­nung des Museums auch „50 Kunst­ge­schichten aus dem Herzog-Anton-Ulrich-Museum“ genannt. Die notwen­dige Auswahl ist sehr persön­lich, und mancher hat sich sicher gewundert, warum etwa unser berühmter Vermeer nicht dabei ist. Es sind meine 50 Lieblings­ob­jekte, eben weil sie Geschichten erzählen.

Solchen Geschichten muss man aber erstmal auf die Schliche kommen. Sie haben sich neben der Museums­lei­tung immer weiter als Forscher betätigt und haben auch einen Lehrauf­trag als Honorar­pro­fessor an der Univer­sität Halle.

Ich habe natürlich auch zu Hause meinen Schreib­tisch und meine Biblio­thek. Ich sage meinen Studenten immer, Kunst­ge­schichte ist wie ein Krimi. Man muss heraus­be­kommen, wer hat’s getan, wann, wo, für wen? Da braucht es Spürsinn und Geduld. Nehmen Sie Ludger tom Ring den Jüngeren, der 1522 in Münster geboren wurde und 1584 in Braun­schweig starb. Ich kannte ihn schon aus Münster, wo ich studiert und promo­viert habe, und in der Braun­schweiger Sammlung haben wir seine Porträts des Goldschmieds Reiners und seiner Frau. In meiner Amtszeit konnten wir dank der Unter­stüt­zung von Stiftungen sein Selbst­bildnis von 1547 erwerben.

Ich betone bei jeder Führung, dass Ludger tom Ring einer der bedeu­tendsten europäi­schen Maler ist. Seit 1569 lebte er in Braun­schweig. Das „Küchen­stück mit der Hochzeit zu Kanaa“, das als Repro­duk­tion noch in Origi­nal­größe hinter meinem Schreib­tisch hängt, ist vermut­lich im Flakbunker in Berlin, wohin es ausge­la­gert war, 1945 verbrannt. Es zeigt vorne die reich gedeckten Tische, durch eine Raumöff­nung blickt man hinüber zur Hochzeits­tafel, wo Christus Wasser in Wein verwan­delt. Die Farbre­pro­duk­tion wurde möglich, weil nach der Wende in DDR-Altbe­ständen vier Fotoglas­platten des Gemäldes gefunden wurden, welch ein Glück.

Es ist auf 1562 datiert, aber wo befand sich der Maler damals? Nicht mehr in Münster, aber auch noch nicht in Braun­schweig. Ein Porträt an der Wand im Gemälde konnte ich identi­fi­zieren als Richard Clough, den Vertreter der engli­schen Krone in Antwerpen. Und beim Blättern in den Mitglie­der­listen der Lukas­gilde zu Antwerpen, die wir hier in unserer Biblio­thek haben, habe ich dann Ludgers Namen gefunden. Dieses große Küchen­stück mit Still­leben entstand also in Antwerpen, es ist damit die Keimzelle der dort einset­zenden Still­le­ben­ma­lerei, nicht eine Folge davon. Der spätere Braun­schweiger Bürger gehört also in die ersten Reihen der Kunst­ge­schichte.

Wie kam denn nach dem Studium Braun­schweig in den Blick? Wann waren Sie zum ersten Mal im Anton-Ulrich-Museum?

Braun­schweig war mir schon deshalb ein Begriff, weil meine Frau aus Goslar kommt. Wir waren also immer mal in der Region, und 1975 war ich von Goslar aus zum ersten Mal zu einer Ausstel­lung über die deutsche Kunst des Barock ins Anton-Ulrich-Museum gefahren. Im Rückblick fügen sich einem die Lebens­sta­tionen ja oft so zusammen, als ob das alles so seinen Sinn gehabt hätte. Mein Gebiet waren Skulp­turen und Malerei des Mittel­al­ters und Kunst des Barock, dort aber vor allem die Archi­tektur, ich habe ja dann über die Domini­ka­ner­kirche in Münster promo­viert, und da deren Baumeister Vorbilder in Rom und Paris hatte, bekam ich Stipen­dien dorthin.

Mit 25 war ich promo­viert, das ging also sehr schnell. Und dann konnte ich auch durch den Leiter des Schnütgen-Museums in Köln, der Honorar­pro­fessor in Münster war, schon an Katalogen mitar­beiten, Aufsätze schreiben, wurde früh wissen­schaft­li­cher Mitar­beiter an der Uni Münster. Wir erfassten die Ortsan­sichten in ganz Westfalen, acht Ansichten pro Tag musste ich schaffen, habe unter anderem alle Schlösser im Kreis Höxter bereist. Und schon bald wurde ich Abtei­lungs­leiter für Malerei am Westfä­li­schen Landes­mu­seum. Damit hatte ich dann mit 37 die nötigen prakti­schen und wissen­schaft­li­chen Erfah­rungen für eine Museums­lei­tung beisammen. Ich finde, man muss jung an ein Direk­to­renamt gehen, um etwas bewirken zu können.

Was hat Sie am Anton-Ulrich-Museum und an Braun­schweig besonders gereizt?

Da ist einer­seits die ungeheure Dichte an Museen, Biblio­theken und Archiven in der Region, die man in vielen Großstädten so nicht hat. Ich glaube, das erkennen auch die Braun­schweiger oft gar nicht so, dazu muss man von außen gucken. Und das Herzog-Anton-Ulrich-Museum überzeugte mich durch das Potenzial seiner Sammlung. Und die Entwick­lungs­mög­lich­keiten. Ich wollte ja auch inhalt­lich arbeiten, nicht nur verwalten. Und da finde ich es bis heute großartig, wie breit das Museum aufge­stellt ist. Die Bestände reichen von der Antike bis heute. Es ist ein Univer­sal­mu­seum, das alle Gattungen und Epochen auf inter­na­tio­nalem Niveau präsen­tiert.
Da konnte man auch Entde­ckungen im eigenen Hause machen, wenn man etwa die Werke der Angewandten Kunst nimmt, die vielfach erstmal restau­riert werden mussten. Heutige Pracht­stücke der Ostasia­tika-Sammlung haben wir im Keller zerrissen aufge­hängt gefunden. Wir haben die Teilbe­reiche durch Forschungen neu erschlossen und in Bestands­ka­ta­logen präsen­tiert. Mir waren alle Themen der Kunst mit inhalt­li­cher Breite wichtig.
Epochen spiegeln nicht nur Stil, sondern sie vermit­teln auch ein Lebens­ge­fühl, die Lebens­um­stände einer Zeit. Und das muss man miter­zählen. Wir erklären, wozu die Kunst jeweils da war, etwa zur Reprä­sen­ta­tion. Wir präsen­tieren unsere Gemälde nicht nur nach Schulen, sondern auch nach Themen wie Familie, konfes­sio­neller Wandel und Selbst­dar­stel­lung.

1990 wurden Sie Direktor des Anton-Ulrich-Museums. Ist es nicht herrlich, wenn man dann ein Haus renovieren und nochmal ganz neu konzi­pieren und einräumen kann, wie Sie es im restau­rierten und erwei­terten Gebäude 2016 konnten?

Ich bin den Minis­ter­prä­si­denten Gerhard Glogowski und Christian Wulff, die das Projekt durch- und umsetzten, sehr dankbar. Das Gebäude war aber auch vollständig marode. Wir mussten 1992 und 96 zum Beispiel die undichten Glasdä­cher ersetzen, weil die Hausmeister nach Platz­regen die Pfützen auf dem Dachboden aufwi­schen mussten. Der Brand­schutz war völlig ungenü­gend. Dass wir die Verwal­tung, Kupfer­stich­ka­bi­nett, Biblio­thek, Depots und Werkstätten auslagern konnten in einen Neubau, ist ein traum­hafter Erfolg. Die Fassa­den­pro­bleme werden jetzt noch gelöst, aber wir sind von der Funktio­na­lität innen sehr angetan.
Dadurch konnten wir das Haupthaus in seine originale Struktur zurück­ver­setzen und haben jetzt noch 800 Quadrat­meter Ausstel­lungs­fläche mehr. Wir können jetzt ja 4000 Objekte auf 4000 Quadrat­me­tern präsen­tieren.

Wo sehen Sie Lücken, wo sind Wünsche offen geblieben? Viele Besucher finden es ja schade, dass im 19. und 20. Jahrhun­dert die Gemäl­de­ga­lerie nicht mehr fortge­führt wurde. Gibt es überhaupt einen Ankaufs­etat?

Die Sammlung für Gemälde und Skulp­turen wurde im 19. Jahrhun­dert für geschlossen erachtet, das ist natürlich bedau­er­lich. In der Grafik aller­dings sind alle wichtigen Künstler auch der Moderne vertreten, bis hin zu Beckmann, Beuys und Warhol. Heute können sich öffent­liche Sammlungen Gemäl­denach­käufe aus der klassi­schen Moderne auf breiter Basis nicht mehr leisten. Ankäufe aus eigenen Mitteln sind sowieso unmöglich, da kann man nur ausgeben, was man im eigenen Haushalt womöglich erwirt­schaftet hat.
Wir sind da völlig auf Sponsoren und Stiftungen angewiesen, und zum Glück konnte ich immer wieder Insti­tu­tionen wie die Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, die Stiftung Nieder­sachsen, die Fritz-Behrens-Stiftung, die Richard-Borek-Stiftung oder das Bundes­mi­nis­te­rium für Kultur und Medien gewinnen, uns Geld zu geben oder Werke für uns zu erwerben. Sie bleiben dann in deren (Teil-)Besitz und stehen uns als Dauer­leih­gabe zur Verfügung. Seit 1990 habe ich Dritt­mittel von insgesamt etwa 23 Millionen Euro zusam­men­ge­bracht für Ausstel­lungs­ein­rich­tungen, Forschung sowie Neuerwer­bungen. Auch der Verein der Freunde des Museums hilft dabei.
4410 Werke haben wir während meiner Amtszeit bisher zusätz­lich ins Haus geholt. Wir zeigen eine Auswahl in meiner Abschieds­aus­stel­lung „Kunst setzt Zeichen. Neuerwer­bungen aus dem alten Europa“.

Wie sicher sind Dauer­leih­gaben? Was ist, wenn der Stifter sie wieder­haben will?

Bei extra für das Museum auf Antrag erwor­benen Werken kommt das so gut wie nie vor. Für die Stifter sind das oft Vermö­gens­an­lagen, auf die sie verweisen können, und bei uns hängen sie gut und sicher. Außerdem werden Werke oft von mehreren Stiftern gemeinsam gekauft, da kann man dann schlecht den Anspruch auf ein Teilstück weiter­ver­kaufen. Im Übrigen sind solche Leihgaben unter Umständen sicherer als die Werke in öffent­li­cher Hand, da hat es ja besonders in verschie­denen Ruhrge­biets­städten auch schon Verkaufs­ab­sichten und Verkäufe gegeben, um städti­sche Haushalte zu sanieren.

Was hat Sie enttäuscht?

Dass sich das Welfen­haus, und damit meine ich nicht den jetzigen jungen Welfen­chef, sich bei seinen früheren Veräu­ße­rungen von natio­nalem Kulturgut nicht erstmal mit uns Museums­leuten aus der Region verstän­digt hat. Das Welfen­haus hat es anschei­nend nicht inter­es­siert, dass möglichst viele Werke in der Region bleiben. Im Gegensatz hierzu gibt es Adels­häuser in Deutsch­land, die ihre Kunst­schätze als Stiftung für die Öffent­lich­keit zugäng­lich gemacht haben, etwa der Landgraf von Hessen. Die Welfen haben 1866, als sie in Hannover den Preußen weichen mussten, alles Mögliche mitge­nommen, wie den Reliqui­en­schatz aus Braun­schweig oder das Evange­liar Heinrichs des Löwen. Das Land Nieder­sachsen und verschie­dene Stiftungen haben dann zum Beispiel 2009 drei von 15 der Celler Pokale aus altem Welfen­be­sitz bei der Verstei­ge­rung der Sammlung von Yves Saint-Laurent wieder zurück­ge­kauft.

Was würden Sie sich in Zukunft für das Anton-Ulrich-Museum und die Region wünschen?

Natürlich viele inter­es­sierte Besucher. Im Herzog-Anton-Ulrich-Museum kommen 50 Prozent der Besucher aus der Region und 50 Prozent aus dem Rest der Welt. Das zeigt, dass die Wertschät­zung unseres „Louvres des Nordens“ überre­gional groß ist, vor Ort hat sie spätes­tens seit der Neueröff­nung zugenommen. Die Besucher­zahl ist insgesamt gestiegen, aber sie könnte gemessen an der Qualität des Hauses höher sein. Daran zeigt sich, dass Braun­schweig kein Touris­mus­ziel wie München oder Hamburg ist. Und da würde ich mir manchmal mehr Werbung durch die Stadt oder aus der Region heraus wünschen. Die kultu­relle Dichte und Qualität ist hier außer­or­dent­lich hoch, das müsste noch besser vermarktet werden. Und das müsste auch vom Land noch stärker unter­stützt werden. Die Kultur­träger der Region müssten sich dazu aber auch stärker zusam­mentun und Wirkungs­ziele und Priori­täten festhalten. Da verzet­telt sich manches in den unter­schied­li­chen Zustän­dig­keiten. Bei der Kultur­haupt­stadt­be­wer­bung hat das sehr gut geklappt, diesen Schwung, diesen Gemein­schafts­geist bräuchten wir wieder.

Auch große Sonder­aus­stel­lungen sind Besucher­at­trak­tionen.

Das läuft im Anton-Ulrich-Museum jetzt wieder an. Seit wir im neuen Haus sind, funktio­niert das Netzwerk wieder stärker. Werke von uns hängen in diesen Monaten im Getty Museum Los Angeles, im Metro­po­litan Museum New York, in der Hamburger Kunst­halle und im Rijks­mu­seum Amsterdam. Das ist die Grundlage für inter­na­tio­nalen Austausch. Wir bekommen demnächst aus Amsterdam drei große Werke für unsere Schau rund um Pieter Brueghels „Kreuz­tra­gung Christi“. Das wird weiter­gehen, nach derzeit 264 Jahren hört das Museum, das mit dem British Museum zu den ersten öffent­lich zugäng­li­chen Museen Europas gehört, nicht einfach auf…

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 25.10.2018 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/kultur/article215653285/Jedes-Kunstobjekt-ein-Kriminalfall.html (Bezahl-Artikel)

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