Tragi­scher Tod im reißenden Fluss

Herzog Leopold von Braunschweig geht seinem Tod entgegen. Daniel Chodowiecki. Foto: Wikipedia
Herzog Leopold von Braunschweig geht seinem Tod entgegen. Daniel Chodowiecki. Foto: Wikipedia

Braun­schwei­gi­sche Geschichte(n), Folge 15: Der Mythos um Prinz Leopold von Braun­schweig in Frankfurt/Oder.

Seit Tagen tobt das Wasser der sonst so ruhig dahin­flie­ßenden Oder um die Pfeiler der Brücke zwischen der Altstadt und der niedriger gelegenen Dammvor­stadt. Die Eisdecke ist nach dem langen und harten Winter 1784/1785 aufge­bro­chen, große Eisschollen treiben mit rasender Geschwin­dig­keit den Fluss hinunter und stauen sich mehr und mehr unter der Brücke. Schon einmal im Jahr 1735, so erinnern sich einige alte Bewohner, wurde die Stadt Frankfurt an der Oder durch ein gewal­tiges Hochwasser überflutet. Gebro­chene Dämme, zerstörte Häuser und viele Tote verzeich­neten die städti­schen Chroniken. Zuletzt 1780 war ein Winter mit ähnlicher Gefahr, jedoch konnte das Militär vor Ort durch rasches Handeln seines Komman­deurs die Dämme verstärken und die Stadt schützen. Am Morgen des 27. April 1785 aber hat das Wasser längst jede Rekord­marke des Jahrhun­derts überstiegen und die Dämme zur Vorstadt drohen erneut zu brechen. Mit Habgut und Vieh flieht bereits die Bevöl­ke­rung. Die Angst wächst, der Magistrat aber lehnt jede Hilfe von Dritten ab. Erneut hat der Komman­deur seine Truppen bereit­ge­stellt, um die Dämme zu verstärken und die Menschen und ihr Besitztum zu retten. Nun muss er tatenlos zusehen, wie sich das aufge­staute Wasser mit Gewalt neue Wege sucht, die Dämme brechen und die Flut zerstört, was sich ihr in den Weg stellte.

Der erwähnte Regiments­kom­man­deur, der auf der noch geschützten Altstadt­seite mit einigen Soldaten und Bürgern das Drama miterlebt, ist niemand anderer als der braun­schwei­gi­sche Herzog Maximi­lian Julius Leopold (1752 – 1785), ein Bruder des regie­renden Herzogs Carl Wilhelm Ferdinand (1735 – 1806). Ein Menschen­freund, Freimaurer und bekannt als Wohltäter. Es hält ihn nicht mehr auf der sicheren Seite. Hilflos flehen von einem Hausdach auf der anderen Fluss­seite bedrohte Bürger um Hilfe. Seine Begleiter wollen den jungen braun­schwei­gi­schen Herzog zurück­halten, weisen ihn darauf hin, dass es sich nur um einfache Einwohner handle. Mit den Worten – so die Legende – „Auch jenes Leben ist kostbar“ – besteigt er das Boot, um zu helfen. Die Bedrohten können gerettet werden, das Boot aber kentert, und Herzog Leopold von Braun­schweig ertrinkt in den Fluten. Erst nach sechs Tagen wird sein Leichnam geborgen.

Tatsäch­lich setzte er sich über alle Warnungen hinweg und bestieg den Kahn, nicht, um Menschen zu retten, sondern, wie er den ihn beglei­tenden Schiffern sagte, sondern um sich persön­lich um die Habe seiner am anderen Ufer wohnenden Soldaten zu kümmern. Weil Leopold jedoch in Frankfurt/Oder so verehrt wurde, nahm die Legende ihren Lauf. Der Prinz aus dem Braun­schwei­gi­schen hatte sich vielfach als Wohltäter bewiesen. Der Legende hätte es nicht bedurft, damit sich die Menschen in Frankfurt/Oder Leopold bis in die Gegenwart hinein dankbar erinnern.

Maximi­lian Julius Leopold wurde am 11. Oktober 1752 in Wolfen­büttel als jüngster Sohn von Herzog Carl I. (1713 – 1780) und dessen Frau Philip­pine Charlotte (1716 – 1801) geboren. In der Jugend erfuhr Leopold eine klassi­sche Prinzen­aus­bil­dung. Dabei waren heraus­ra­gende Profes­soren des von Abt Jerusalem in Braun­schweig gegrün­deten Collegium Carolinum als Lehrer tätig. Auch Abt Jerusalem selbst unter­rich­tete den Prinzen. Das hatte entschei­dendem Einfluss auf die Persön­lich­keits­bil­dung von Leopold. In verschie­denen Quellen wird er schon als Jugend­li­cher als besonders lernbe­geis­tert, warmherzig, aufge­schlossen und menschen­freund­lich geschil­dert.

Leopold war als jüngstem Sohn des Fürsten­hauses eine militä­ri­sche Laufbahn bestimmt. Das entsprach auch seinen persön­li­chen Neigungen. Gleich­wohl inter­es­sierte er sich weniger für das preußi­sche Heer – entspre­chend der damals jüngeren Tradition des braun­schwei­gi­schen Welfen­hauses – als vielmehr für die kaiser­lich-öster­rei­chi­sche Armee. Doch der Weg blieb ihm versperrt.

Während einer Reise nach Italien erhielt Leopold schließ­lich die Nachricht von seinem Onkel und Preußen­könig Friedrich II., dass General von Dirings­hofen gestorben sei und die Stelle beim Infan­te­rie­re­gi­ment in Frankfurt an der Oder frei sei. Diesen Dienst trat Leopold im Februar 1776 als Oberst und Regiments­kom­man­deur an. 1782 erhielt er den Rang eines General­ma­jors. Gemunkelt wurde, dass er die militä­ri­sche Berufung seiner Mutter und Schwester des preußi­schen Königs zu verdanken gehabt hätte.

Die Vermutung liegt nahe, denn der „Alte Fritz“ hielt nicht viel von Leopold. Der Neffe war ihm zu bescheiden, zu weich und allzu sehr durch Wohltä­tig­keit ausge­zeichnet. Immer wieder wird darauf hinge­wiesen, dass Leopold geprägt war von der Empfind­sam­keit seines Jahrhun­derts, unter anderem hatte er auch eine längere Reise mit Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing unter­nommen, aber auch auf prakti­sche Aufgaben seiner Zeit seinen Sinn gelenkt hatte. Daher versuchte er in seiner Garni­sons­stadt Frankfurt/Oder zahlreiche Übelstände durch dauer­hafte Einrich­tungen zu verbes­sern. Sein Wirken als Philan­throp ließ ihn Hilfe geben, wo immer er Not fand, so dass er in breiten Bevöl­ke­rungs­kreisen überaus beliebt war.

Nach seinem überra­schenden Tod wurde Leopold sowohl als Freund der Wissen­schaften und Künste, als auch als Beschützer von Armen und Bedrängten charak­te­ri­siert. Dies ist ganz sicher­lich, ähnlich wie die Formu­lie­rung „Er war der vergöt­terte Liebling aller Kreise“ ein weitge­hend verklä­rendes Idealbild aufgrund der scheinbar ungewöhn­li­chen Todes­um­stände. Viele Beispiele prakti­zierter Menschen­liebe Leopolds sind jedoch überlie­fert und zwar sowohl gegenüber seinen Soldaten als auch zugunsten der Zivil­be­völ­ke­rung Frankfurts/Oder.

Tiefe Bestür­zung und Trauer verbrei­teten sich in der Stadt, als sich die Todes­nach­richt wie ein Lauffeuer verbrei­tete. Trauer­got­tes­dienste und Gedächt­nis­feiern wurden veran­staltet und die Tat zunehmend verklärt – ein Mythos war geboren. In Deutsch­land und weit darüber hinaus gedachte man der helden­haften Tat eines Menschen­freundes, der alle Standes­un­ter­schiede bei Seite ließ und daher als „Heros der Humanität“ gefeiert wurde. In der Literatur (Johann Wolfgang von Goethe, Johann Gottfried Herder), in der Bildenden Kunst (Christian Bernhard Rode, Daniel Chodo­wiecki) und besonders bei den Freimau­rer­logen thema­ti­sierte man die helden­hafte Tat und Leopolds menschen­freund­li­ches Opfer.

Ein ihm zu Ehren errich­tetes Denkmal in Frankfurt/Oder wurde während des Zweiten Weltkriegs demon­tiert und tauchte nie wieder auf. Im Weimarer Schloss­park Tiefurt steht aller­dings noch der sogenannte Leopold­stein, wenn auch stark beschä­digt. Seine letzte Ruhestätte fand Leopold in der Krypta des Braun­schweiger Doms.

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