Von Amsberg wurde in Hannover ausge­bremst

Braunschweigs erster Bahnhof 1838. Er wurde bereits 1845 durch den bekannten „Alten Bahnhof“, der ebenfalls von Ottmer stammt, ersetzt. Kupferstich von 1838. Foto: wikimedia
Braunschweigs erster Bahnhof 1838. Er wurde bereits 1845 durch den bekannten „Alten Bahnhof“, der ebenfalls von Ottmer stammt, ersetzt. Kupferstich von 1838. Foto: wikimedia

Braun­schwei­gi­sche Geschichte(n), Folge 16: Die visio­nären Eisen­bahn­pläne von der frühen Strecke bis nach Hamburg stießen im König­reich auf Ablehnung.

Das Zeitalter der Indus­tria­li­sie­rung brachte in Europa einen wirtschaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Umschwung mit sich, dessen Auswir­kungen noch im vergan­genen Jahrhun­dert spürbar waren. Ausgangs­punkt war England und im Begriff der „indus­tri­ellen Revolu­tion“ spiegelt sich wider, wie tiefgrei­fend der Wandel tatsäch­lich war. Das eigent­liche Fundament der wirtschaft­li­chen Entwick­lung Braun­schweigs im Zeitalter der Indus­tria­li­sie­rung war bereits im 18. Jahrhun­dert unter den Herzögen Carl I. und Carl Wilhelm Ferdinand gelegt worden. Manufak­tur­wesen, Leihhaus­an­stalt (1754 – heute NORD/LB) und Landes­brand­ver­si­che­rungs­an­stalt (1754 – heute Öffent­liche) sind exempla­ri­sche Stich­worte, hinzu kam die Messe als wichtiger Stand­ort­faktor.

Im 19. Jahrhun­dert nahm die Residenz­stadt Braun­schweig eine rasante Entwick­lung. Zwischen 1830 und 1910 stieg die Einwoh­ner­zahl von etwa 35.000 auf mehr als 145.000 Einwohner. Leitsek­toren der Indus­tria­li­sie­rung waren Eisen­bahnbau und Eisen­bahn­werk­stätten sowie die Zucker­in­dus­trie und Konser­ven­in­dus­trie. Ein indus­tri­eller Schwer­punkt war der Maschi­nenbau. Überwie­gend waren es Famili­en­un­ter­nehmen, meist mittel­große Betriebe mit 50 bis 100 Beschäf­tigten und kaum Großbe­triebe oder Aktien­ge­sell­schaften. Insgesamt setzte der Prozess der Indus­tria­li­sie­rung im Herzogtum Braun­schweig später ein als im Reich und Europa, dafür jedoch mit beson­derer Inten­sität, nicht zuletzt bedingt durch die „neue Mobilität“.

Bereits drei Jahre nach Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth konnte zwischen Braun­schweig und Wolfen­büttel die erste Deutsche Staats­ei­sen­bahn ihren Betrieb aufnehmen. Voran­ge­gangen war eine lange Phase der Ausein­an­der­set­zung über Notwen­dig­keit, Bedeutung und Reali­sie­rung dieser Eisenbahn. 1824 verfasste der herzog­lich braun­schweig-lünebur­gi­sche Kammer­as­sessor August Philipp von Amsberg (1788 – 1871) eine 300 Seiten Denkschrift zur Planung einer braun­schwei­gi­schen Eisenbahn. Amsbergs Ziel war der Aufbau einer Schie­nen­ver­bin­dung – „Eisen­pfade“ genannt – von Hannover nach Braun­schweig, dann über Celle und Lüneburg nach Harburg und Hamburg und damit Anschluss an die Seehäfen. Der Ausbau in den Süden sollte zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die Trassie­rung war längs der alten Heerstraße geplant und zukünftig arbeits­lose Fuhrleute sollten in Unter­nehmen im Umfeld der Bahn Anstel­lung finden.

Die fürst­liche Kammer in Braun­schweig hielt die Pläne für „förder­lich“, empfahl aber die Auswei­tung der Strecke nach Magdeburg. Falls Hannover ausschließ­lich Trans­porte zu den Seehäfen zulassen würde, blieb für Braun­schweig die Möglich­keit, statt­dessen über Magdeburg weiter in Deutsche Länder zu trans­por­tieren. Im Januar 1826 erklärte das „Kabinetts-Minis­te­rium“ des Königs­reichs Hannover den Amsber­gi­schen Plan als „nicht mit hanno­ver­schen Inter­essen vereinbar“. Es bestanden Bedenken gegen eine Eisenbahn nach Hamburg. An Hannovers egois­ti­scher Klein­geis­tig­keit hat sich bekannt­lich bis heute nichts geändert.

1832 veröf­fent­lichte von Amsberg seinen Bericht in modifi­zierter Form und bezog die Strecke Hannover-Bremen mit ein. Diese Schrift erschien im Vieweg-Verlag Braun­schweig unter dem Titel „Plan zur Anlegung einer Eisen­straße zwischen Hannover, Braun­schweig und den freien Hanse­städten“. Darin war ein sehr umfang­rei­ches Strecken­netz im norddeut­schen Flachland mit Anbindung an den Süden enthalten. Dieser Plan fand, im Gegensatz zum ursprüng­li­chen, in der Stände­ver­samm­lung des Herzog­tums Braun­schweig keine Mehrheit, und in Hannover traf er – wie üblich – auch weiterhin auf Argwohn.

Reali­siert wurde daher nur die in Richtung Harz führende Strecke mit dem ersten Teilstück von Braun­schweig nach Wolfen­büttel. Im Jahre 1834 stellte daher von Amsberg den Antrag, mit einer Bahn nach Harzburg hanno­ver­sches Gebiet überqueren zu dürfen. Außerhalb Braun­schweigs (Hannover/Preußen) fand er dafür kein Gehör, jedoch stimmte am 4. Mai 1835 der braun­schwei­gi­sche Landtag (noch vor der Eröffnung der Strecke Nürnberg-Fürth!) einem Enteig­nungs­ge­setz zu, das den Lander­werb zum Bau einer Eisen­bahn­strecke erleich­tern sollte. Grund für den Bau dieser Bahn in den Harz war die Trans­port­ver­bin­dung des Harzer Bergbau­ge­bietes ohne Einschrän­kung durch preußi­sche Zollgrenzen. Braun­schweigs Wirtschafts­po­litik wurde auf Zukunft ausge­richtet.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung, TU Braun­schweig

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