Frauen­stu­dium – ein tiefgrei­fender Umbruch

Das Hauptgebäude der TU im Jahr 1881. Foto: Universitätsarchiv/TU
Das Hauptgebäude der TU im Jahr 1881. Foto: Universitätsarchiv/TU

275 Jahre Techni­sche Univer­sität Carolo-Wilhel­mina, Folge 10: Bildungs­bür­gertum hatte starkes Interesse an Fort- und Weiter­bil­dung ihrer Töchter.

Im Winter­se­mester 1898/99 konnten sich erstmals Frauen als Hörerinnen für Veran­stal­tungen der Allge­meinen Abteilung in die Damen­ma­trikel einschreiben. Mit 85 Anmel­dungen war der Zuspruch unerwartet hoch. Auch in Braun­schweig traf für die Hörerinnen der Befund zu, den man bei Hörerinnen in Preußen ausmachte, wo erstmals im Winter­se­mester 1896/97 Frauen als Hörerinnen zugelassen worden waren: „Überwie­gend protes­tan­ti­sche, ledige Frauen aus Akade­miker- und Unter­neh­mer­fa­mi­lien; sie wollten sich vorzugs­weise in Sprachen, Kunst­ge­schichte und Literatur weiter­bilden.“

Regina Eckhoff weist in ihrer Master­ar­beit „Das Frauen­stu­dium an der TU Braun­schweig vom Kaiser­reich bis 1933“ zudem auf den Anteil von Frauen hin, die aus Familien von Hochschul­an­ge­hö­rigen kamen und schließt daraus zu recht, dass Familien aus dem Bildungs­bür­gertum ein starkes Interesse an Fort- und Weiter­bil­dung ihrer Frauen und Töchter aufwiesen.

Hochschule war aufge­schlossen

Somit zeigt sich, dass Kreise der Hochschule einer Öffnung für Frauen im Grundsatz aufge­schlossen gegen­über­standen. Berufs­tä­tige Frauen waren unter den Hörerinnen hingegen in der Minder­zahl, wobei der Beruf der Lehrerin mehrfach vertreten war. Die meisten Hörerinnen kamen aus der Stadt Braun­schweig, die wenigen Auslän­de­rinnen unter ihnen lebten wohl in der Stadt, weil ihre Männer aus beruf­li­chen Gründen dort tätig waren.

Soziale Exklu­si­vität

Nicht zuletzt unter­stri­chen sowohl die Einfüh­rung einer einmalig zu entrich­tenden Einschreib­ge­bühr als auch der beim Besuch jeweils fällige Beitrag von 2 Mark eine gewisse soziale Exklu­si­vität. In den Jahren bis 1914 lag der Zuspruch der Hörerinnen in den Winter­se­mes­tern deutlich höher als in den Sommer­se­mes­tern, dabei schwankte die Zahl zwischen 0 im Sommer­se­mester 1904 und 193 im Winter­se­mester 1909/10. Das Frauen­stu­dium ist sozial­ge­schicht­lich vielleicht der tiefgrei­fendste Umbruch in dieser Zeit.

Nach dem Beschluss des Bundes­rats vom 20. April 1899, Frauen zu medizi­ni­schen, pharma­zeu­ti­schen und zahnärzt­li­chen Prüfungen zuzulassen und ihnen damit diese Berufe zu eröffnen, erschien in der Frauen-Zeitung, einer Beilage der Neusten Nachrichten, am 6. Juni 1900 ein Artikel mit dem Titel „Drei akade­mi­sche Frauen­be­rufe“. Die neue Regelung wurde von der Verfas­serin begrüßt, die die Frauen nachdrück­lich dazu auffor­derte nun „die richtigen Wege einzu­schlagen“. Betont wurde der Bedarf an Ärztinnen und dabei zugleich auf den Rückstand verwiesen, den das Deutsche Reich gegenüber anderen Ländern in Bezug auf das Frauen­stu­dium einnahm. Gebe es in Deutsch­land lediglich neun Ärztinnen, so die Verfas­serin, lauteten demge­gen­über die Zahlen im Jahr 1900 für Russland 700 und für Amerika 5.000.

Pharmazie von 1911 an

Tatsäch­lich blieb das Kaiser­reich bei der Zulassung von Frauen zum Studium weit hinter dem Ausland zurück. Im Jahr 1900 ließen die Univer­si­täten Freiburg und Heidel­berg erstmals Frauen zum Medizin­stu­dium zu. Auch wenn ein Medizin­stu­dium in Braun­schweig nicht möglich war, so verdeut­lichte der Beitrag doch die Stimmung der Zeit und entwarf aus weibli­cher Sicht eine Perspek­tive für die Zukunft. In Braun­schweig legte erstmals 1911 eine Frau im Fach Pharmazie die Staats­prü­fung ab.

Die allge­meine Stimmung nutzten auch in Braun­schweig Frauen, um über Ausnah­me­ge­neh­mi­gungen Zugang zur Hochschule zu erhalten. Neben zusätz­li­chen Veran­stal­tungen im Rahmen der Allge­mein­bil­dung rückten dabei auch Fächer zur beruf­li­chen Quali­fi­ka­tion in den Fokus, wie etwa Volks­wirt­schafts­lehre oder Botanik. Für die beiden genannten Fächer wurden in den Jahren 1905/06 Anträge gestellt und positiv beschieden. Aller­dings bestand das Minis­te­rium weiterhin auf einer Einzel­fall­prü­fung, im Gegensatz zur Hochschule, die für eine generelle Zulassung von Frauen plädiert hatte, „falls diese die für jenen Beruf grund­sätz­lich vorge­schrie­bene Vorbil­dung besitzen“. 1907 wurde mit Johanna Judenberg aus Braun­schweig, Tochter eines Ingenieurs, die sich für die Fächer Mathe­matik, Physik und Chemie einschrieb, erstmals eine Frau für ein geplantes Fachstu­dium zugelassen.

Braun­schweig war spät dran

Zum Winter­se­mester 1909/10 konnten sich Frauen erstmals als ordent­liche Studen­tinnen an der TH Braun­schweig immatri­ku­lieren. Voraus­ge­gangen waren Regelungen in Preußen, das 1908 Frauen den Zugang zu Univer­si­täten ermög­licht hatte und ihnen auch 1909 das Studium an den Techni­schen Hochschulen öffnete. Braun­schweig folgte dem Beispiel Preußens noch im selben Jahr und erteilte die Studi­en­erlaubnis für Frauen mit der Verfügung: „Wir bestimmen, dass vom Winter­se­mester 1909/10 ab auch Frauen als Studie­rende der Herzog­li­chen Techni­schen Hochschule zugelassen werden“. Das Minis­te­rium hatte bis dahin eine hinhal­tende Position einge­nommen und sich – nicht zuletzt in Fragen der Anerken­nung von Abschlüssen – an Preußen orien­tiert. Damit wurde die TH Braun­schweig nach Preußen die letzte Techni­sche Hochschule in Deutsch­land, die sich dem Frauen­stu­dium öffnete.

In Braun­schweig blieb in den folgenden Jahren die Zahl der Studen­tinnen gering, bis 1914 immatri­ku­lierten sich lediglich 17 Frauen. Dies entsprach der allge­meinen Entwick­lung an den Techni­schen Hochschulen. So waren an allen deutschen Techni­schen Hochschulen bis 1914 maximal jeweils 73 Frauen pro Semester einge­schrieben. Die Mehrzahl der Frauen strebte an die Univer­si­täten.

In den ersten Jahren kamen die Studen­tinnen mehrheit­lich aus dem Herzogtum. In der Auswahl ihrer Studi­en­fä­cher folgten sie nicht dem spezi­fi­schen Angebot Techni­scher Hochschulen, sondern wählten bevorzugt allge­mein­bil­dende Fachrich­tungen mit dem Ziel des Lehramts­ab­schlusses. Dabei dürften neben persön­li­chen Neigungen im Beson­deren auch die Einschät­zung zukünf­tiger Berufs­mög­lich­keiten und sozialer Absiche­rung eine wichtige Rolle gespielt haben. So immatri­ku­lierten sich 10 der 17 Studen­tinnen, die bis 1914 an der TH Braun­schweig studierten, in der Abteilung für Allge­meine Wissen­schaften. Fünf Frauen waren zuvor bereits als Lehre­rinnen tätig und verfügten über Berufs­er­fah­rung. Es zeigte sich, dass Frauen an einer akade­mi­schen Ausbil­dung inter­es­siert waren und die neuen Möglich­keiten wahrnahmen – auch dann, wenn sie ein Studium erst während ihrer Berufs­tä­tig­keit mit Verspä­tung absol­vieren konnten.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

Das könnte Sie auch interessieren

  • Von 1897 an durften auch Frauen studieren

    Von 1897 an durften auch Frauen studieren

    275 Jahre Technische Universität Carolo-Wilhelmina, Folge 9: Prinzregent Albrecht von Preußen verlieh das Promotionsrecht. Weiterlesen

  • Feierjahr für des Herzogs Kapell­meister

    Feierjahr für des Herzogs Kapell­meister

    Im 400. Todesjahr von Michael Praetorius gedenken der Kulturstadt Wolfenbüttel e.V. und das Michael Praetorius Collegium e.V. dem Musiker, Komponisten, Organisten und Dirigenten. Weiterlesen

  • Ein drama­ti­scher Tod hievte ihn ins Amt

    Ein drama­ti­scher Tod hievte ihn ins Amt

    Geschichte(n) aus dem Braun­schwei­gi­schen, Folge 29: Der konser­va­tive Oberbür­ger­meister Hugo Retemeyer (1851–1931) sorgte mit kluger Haushalts­füh­rung für solide Stadt­fi­nanzen und wichtige Infra­struk­tur­pro­jekte. Drama­ti­sche Ereig­nisse führten dazu, dass Hugo Retemeyer (1851–1931) Oberbür­ger­meister der Stadt Braun­schweig werden konnte. Weiterlesen