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Auftakt zum Hagenmarkt – die Wendenstraße

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Verschwundene Kostbarkeiten, Teil 18: Patrizierfamilien hatten ihre Wohnstätten im Umfeld der Katharinenkirche

Auch nach der fast vollständigen Zerstörung des Stadtquartiers Weichbild Hagen im Zweiten Weltkrieg bildet der Westbau von St. Katharinen für die Wendenstraße den dominanten Blickpunkt. Einst gehörte die Perspektive auf die Katharinentürme zu den eindrucksvollsten Stadtbildern Braunschweigs. Bis 1864 war St. Katharinen noch von einer Häuserzeile abgeschirmt. Diese verschwand mit dem Abbruch des Opernhauses und der übrigen Bebauung auf dem Hagenmarkt – eines der zahlreichen Beispiele für die Freistellung von Monumentalbauten im 19. Jahrhundert.

Ersterwähnung 1268

Häuserzeile vor St. Katharinen, vor 1864. Foto: Stadtarchiv BS

Die Wendenstraße wurde erstmals 1268 mit der Bezeichnung platea Slavorum erwähnt. Damit geht ihr Name auf das einst slawisch besiedelte Wendland zurück. Als eine der Hauptausfallstraßen findet sie ihre Fortsetzung im Zuge der Bundesstraße 4 über Lüneburg und Hamburg bis nach Schleswig-Holstein. Im alten Braunschweig war sie Teil der prägenden Nord-Süd-Achse im und verband das Wendentor mit dem Hagenmarkt. Seit dem verkehrsgerechten Ausbau des Stadtzentrums ist die Wendenstraße neben einer Straßenbahntrasse lediglich in Nord-Süd-Richtung befahrbar, der nach Norden führende Kraftfahrzeugverkehr verläuft über die Wilhelmstraße.

Der Südteil des historischen Straßenzugs lag im Zentrum des Weichbildes Hagen, das neben der Altstadt als zweitgrößte Teilstadt entsprechende Bedeutung für das mittelalterliche und frühneuzeitliche Braunschweig besaß. Die hiesigen Patrizierfamilien hatten in Wirtschaft und Politik auch für die Gesamtstadt große Bedeutung. Die Wohnstätten dieser Familien sowie vermögender Kaufleute waren am und im Umfeld des Hagenmarktes zu finden. So entstanden am Markt selbst, an Wenden- und Fallersleberstraße sowie am Bohlweg bereits im 13. Jahrhundert mehrere große Steinhäuser und zahlreiche Kemenaten. Die ältesten steinernen Gebäudeteile wurden oft erst nach dem Feuersturm der Bombennacht vom 15. Oktober 1944 sichtbar – und dann mit der Trümmerräumung beseitigt.

Apotheke seit 1677

Auf einen mittelalterlichen Steinbau ging auch das wohl bekannteste alte Bürgerhaus des Quartiers zurück: die Hagenmarkt-Apotheke. In seiner überlieferten und auf die Zeit um 1590 zurückgehenden Gestalt gehörte es zu den prächtigsten Renaissancebauten der Löwenstadt. Bauherr war vermutlich der Bürgermeister Augustin von Peine. Über einem zweigeschossigen Steinbau mit reich gestalteten Portalen erhob sich ein Fachwerkstock. Die Tradition der Apotheke geht bis auf das Jahr 1677 zurück. Leider wurden nach 1945 erste Erwägungen zum Wiederaufbau der ausgebrannten Ruine verworfen. Das ehemalige Fußgängerportal wurde schließlich an die Nordseite des Gewandhauses am Altstadtmarkt versetzt.

Hagenmarkt-Apotheke, um 1890. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

Auch das gegenüberliegende Eckhaus Wendenstraße 69 zeigte ein steinernes Erd- und Obergeschoss mit auskragendem Stockwerk aus Fachwerk. Der mit einem Laubgewindestab beschnitzte Schwellbalken des einstigen Speichergeschosses trug die Datierung „1533“. In dieser Zeit gehörte das Anwesen der einflussreichen Familie Wittekop. Das markante Bauwerk mit seinem steilen Satteldach musste bereits 1894 einem gründerzeitlichen Neubau weichen. Ein Teil der mit Inschrift versehenen Schwelle ist im Städtischen Museum erhalten.

Aus der Zeit Heinrichs des Löwen

Im Anschluss an die Hagenmarkt-Apotheke folgten an der Westseite der Wendenstraße weitere Häuser mit steinernem Unterbau und Obergeschoss in Fachwerk: Nr. 2, 3 und 6, sowie der reine Massivbau Wendenstraße 5. An der Hofseite waren bei den Häusern Nr. 2, 3 und 5 Kemenaten vorzufinden. Sämtliche Gebäude stammten vermutlich in ihrer Grundsubstanz noch aus dem Jahrhundert nach der Gründung des Weichbildes Hagen durch Heinrich den Löwen um 1160.

Wendenstraße 1 zeigte einen in der Barockzeit umgebauten steinernen Gebäudeteil mit Ladeneinbauten aus den Jahren um 1900. Darüber erhob sich ein gut erhaltenes Stockwerk in Fachwerk – der ursprüngliche Speicherstock. Er war anhand der Speicherluken auch im Dachaufbau (Zwerchhaus) noch deutlich erkennbar. Der kräftige Schwellbalken war mit einem Laubgewindestab verziert, an dessen Ende befand sich die Jahreszahl 1529. Auch das obere Stockwerk von Wendenstraße 2 war in Fachwerk gezimmert und mit einer Inschrift datiert: Hier stammte der einstige Speicherstock von 1491. Wie für spätgotisches Fachwerk in Braunschweig üblich war die Geschossschwelle hier mit einen Treppenfries dekoriert. Speicherluken in Fachwerk und Zwerchhaus deuteten wiederum auf die ursprüngliche Funktion zur Einlagerung von Waren. Im Erdgeschoss des im 18. Jahrhundert veränderten steinernen Unterbaus befanden sich gründerzeitliche Ladeneinbauten.

Das Haus Wendenstraße 5 erhielt bei seinem 1763 erfolgten Umbau eine spätbarocke Putzfront mit breitem Zwerchhaus und Mansardendach. Der Entwurf stammte von dem damals vielbeschäftigten Architekten Georg Christoph Sturm, Bauherr war der Obrist Gernreich. Zuvor gehörte das im Kern mittelalterliche Steinhaus u. a. der Patrizierfamilie Schwalenberg. 1838 gründete Carl Friedrich Jürgens hier eine Brauerei, die nach ihrer 1872 erfolgten Verlagerung an einen Standort am Rebenring unter dem Namen „National-Actien-Bier-Brauerei“ und von 1920 bis 1977 als „National-Jürgens-Brauerei“ firmierte.

Eckhaus Wendenstraße 69 / Fallersleberstraße, vor 1894. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

Teile im Städtischen Museum

Wendenstraße 6 überragte mit seinen zwei Fachwerk-Obergeschossen und einem überaus hohen Steildach sämtliche Häuser der Umgebung. Das von starken Stockwerksvorkragungen gekennzeichnete Fachwerk mit Treppenfriesverzierungen stammte von 1512. Die Speichergeschosse hatten sich völlig unverändert erhalten, in den Fensteröffnungen saßen noch die hölzernen Lüftungsgitter aus der Bauzeit. Im Rahmen einer um 1890 von Baurat Hans Pfeifer gefertigten Bauaufnahme ist die Struktur des klassischen Kaufmannshauses mit hoher Diele und Aufzugsvorrichtung für die Speicherung von Waren überliefert. Wenige Jahre später wurde das einzigartige Bauwerk für einen gründerzeitlichen Neubau abgebrochen. Auch hier blieben Teile der Schwellbalken mit Schnitzwerk im Städtischen Museum erhalten.

Im weiteren Verlauf der Wendenstraße nach Norden folgten ganz überwiegend Fachwerkhäuser aus sämtlichen Epochen der Braunschweiger Holzbaukunst. Von den in den Jahren um 1900 entstandenen Neubauten ist lediglich das ehemalige Gloria-Filmtheater von 1912 erhalten geblieben. Es handelt sich um das einzige aus der Vorkriegszeit stammende Bauwerk dieses Straßenzuges.

Elmar Arnhold ist Bauhistoriker (Gebautes Erbe) und Stadtteilheimatpfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröffentlicht er regemäßig Beiträge zu historischen Bauten in Braunschweig.

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