Auftakt zum Hagen­markt – die Wenden­straße

Wendenstraße mit Westbau von St. Katharinen 1893 (links) und heute. Foto: Braunschweigs Baudenkmäler/E. Arnhold

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 18: Patri­zi­er­fa­mi­lien hatten ihre Wohnstätten im Umfeld der Katha­ri­nen­kirche

Auch nach der fast vollstän­digen Zerstö­rung des Stadt­quar­tiers Weichbild Hagen im Zweiten Weltkrieg bildet der Westbau von St. Katha­rinen für die Wenden­straße den dominanten Blick­punkt. Einst gehörte die Perspek­tive auf die Katha­ri­nen­türme zu den eindrucks­vollsten Stadt­bil­dern Braun­schweigs. Bis 1864 war St. Katha­rinen noch von einer Häuser­zeile abgeschirmt. Diese verschwand mit dem Abbruch des Opern­hauses und der übrigen Bebauung auf dem Hagen­markt – eines der zahlrei­chen Beispiele für die Freistel­lung von Monumen­tal­bauten im 19. Jahrhun­dert.

Ersterwäh­nung 1268

Häuser­zeile vor St. Katha­rinen, vor 1864. Foto: Stadt­ar­chiv BS

Die Wenden­straße wurde erstmals 1268 mit der Bezeich­nung platea Slavorum erwähnt. Damit geht ihr Name auf das einst slawisch besie­delte Wendland zurück. Als eine der Haupt­aus­fall­straßen findet sie ihre Fortset­zung im Zuge der Bundes­straße 4 über Lüneburg und Hamburg bis nach Schleswig-Holstein. Im alten Braun­schweig war sie Teil der prägenden Nord-Süd-Achse im und verband das Wendentor mit dem Hagen­markt. Seit dem verkehrs­ge­rechten Ausbau des Stadt­zen­trums ist die Wenden­straße neben einer Straßen­bahn­trasse lediglich in Nord-Süd-Richtung befahrbar, der nach Norden führende Kraft­fahr­zeug­ver­kehr verläuft über die Wilhelm­straße.

Der Südteil des histo­ri­schen Straßen­zugs lag im Zentrum des Weich­bildes Hagen, das neben der Altstadt als zweit­größte Teilstadt entspre­chende Bedeutung für das mittel­al­ter­liche und frühneu­zeit­liche Braun­schweig besaß. Die hiesigen Patri­zi­er­fa­mi­lien hatten in Wirtschaft und Politik auch für die Gesamt­stadt große Bedeutung. Die Wohnstätten dieser Familien sowie vermö­gender Kaufleute waren am und im Umfeld des Hagen­marktes zu finden. So entstanden am Markt selbst, an Wenden- und Fallers­le­ber­straße sowie am Bohlweg bereits im 13. Jahrhun­dert mehrere große Stein­häuser und zahlreiche Kemenaten. Die ältesten steinernen Gebäu­de­teile wurden oft erst nach dem Feuer­sturm der Bomben­nacht vom 15. Oktober 1944 sichtbar – und dann mit der Trümmer­räu­mung beseitigt.

Apotheke seit 1677

Auf einen mittel­al­ter­li­chen Steinbau ging auch das wohl bekann­teste alte Bürger­haus des Quartiers zurück: die Hagen­markt-Apotheke. In seiner überlie­ferten und auf die Zeit um 1590 zurück­ge­henden Gestalt gehörte es zu den präch­tigsten Renais­sance­bauten der Löwen­stadt. Bauherr war vermut­lich der Bürger­meister Augustin von Peine. Über einem zweige­schos­sigen Steinbau mit reich gestal­teten Portalen erhob sich ein Fachwerkstock. Die Tradition der Apotheke geht bis auf das Jahr 1677 zurück. Leider wurden nach 1945 erste Erwägungen zum Wieder­aufbau der ausge­brannten Ruine verworfen. Das ehemalige Fußgän­ger­portal wurde schließ­lich an die Nordseite des Gewand­hauses am Altstadt­markt versetzt.

Hagen­markt-Apotheke, um 1890. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Auch das gegen­über­lie­gende Eckhaus Wenden­straße 69 zeigte ein steinernes Erd- und Oberge­schoss mit auskra­gendem Stockwerk aus Fachwerk. Der mit einem Laubge­win­de­stab beschnitzte Schwell­balken des einstigen Speicher­ge­schosses trug die Datierung „1533“. In dieser Zeit gehörte das Anwesen der einfluss­rei­chen Familie Wittekop. Das markante Bauwerk mit seinem steilen Sattel­dach musste bereits 1894 einem gründer­zeit­li­chen Neubau weichen. Ein Teil der mit Inschrift verse­henen Schwelle ist im Städti­schen Museum erhalten.

Aus der Zeit Heinrichs des Löwen

Im Anschluss an die Hagen­markt-Apotheke folgten an der Westseite der Wenden­straße weitere Häuser mit steinernem Unterbau und Oberge­schoss in Fachwerk: Nr. 2, 3 und 6, sowie der reine Massivbau Wenden­straße 5. An der Hofseite waren bei den Häusern Nr. 2, 3 und 5 Kemenaten vorzu­finden. Sämtliche Gebäude stammten vermut­lich in ihrer Grund­sub­stanz noch aus dem Jahrhun­dert nach der Gründung des Weich­bildes Hagen durch Heinrich den Löwen um 1160.

Wenden­straße 1 zeigte einen in der Barock­zeit umgebauten steinernen Gebäu­de­teil mit Laden­ein­bauten aus den Jahren um 1900. Darüber erhob sich ein gut erhal­tenes Stockwerk in Fachwerk – der ursprüng­liche Speicher­stock. Er war anhand der Speicher­luken auch im Dachaufbau (Zwerch­haus) noch deutlich erkennbar. Der kräftige Schwell­balken war mit einem Laubge­win­de­stab verziert, an dessen Ende befand sich die Jahres­zahl 1529. Auch das obere Stockwerk von Wenden­straße 2 war in Fachwerk gezimmert und mit einer Inschrift datiert: Hier stammte der einstige Speicher­stock von 1491. Wie für spätgo­ti­sches Fachwerk in Braun­schweig üblich war die Geschoss­schwelle hier mit einen Treppen­fries dekoriert. Speicher­luken in Fachwerk und Zwerch­haus deuteten wiederum auf die ursprüng­liche Funktion zur Einla­ge­rung von Waren. Im Erdge­schoss des im 18. Jahrhun­dert verän­derten steinernen Unterbaus befanden sich gründer­zeit­liche Laden­ein­bauten.

Das Haus Wenden­straße 5 erhielt bei seinem 1763 erfolgten Umbau eine spätba­rocke Putzfront mit breitem Zwerch­haus und Mansar­den­dach. Der Entwurf stammte von dem damals vielbe­schäf­tigten Archi­tekten Georg Christoph Sturm, Bauherr war der Obrist Gernreich. Zuvor gehörte das im Kern mittel­al­ter­liche Steinhaus u. a. der Patri­zi­er­fa­milie Schwa­len­berg. 1838 gründete Carl Friedrich Jürgens hier eine Brauerei, die nach ihrer 1872 erfolgten Verla­ge­rung an einen Standort am Rebenring unter dem Namen „National-Actien-Bier-Brauerei“ und von 1920 bis 1977 als „National-Jürgens-Brauerei“ firmierte.

Eckhaus Wenden­straße 69 / Fallers­le­ber­straße, vor 1894. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Teile im Städti­schen Museum

Wenden­straße 6 überragte mit seinen zwei Fachwerk-Oberge­schossen und einem überaus hohen Steildach sämtliche Häuser der Umgebung. Das von starken Stock­werks­vor­kra­gungen gekenn­zeich­nete Fachwerk mit Treppen­fries­ver­zie­rungen stammte von 1512. Die Speicher­ge­schosse hatten sich völlig unver­än­dert erhalten, in den Fenster­öff­nungen saßen noch die hölzernen Lüftungs­gitter aus der Bauzeit. Im Rahmen einer um 1890 von Baurat Hans Pfeifer gefer­tigten Bauauf­nahme ist die Struktur des klassi­schen Kaufmanns­hauses mit hoher Diele und Aufzugs­vor­rich­tung für die Speiche­rung von Waren überlie­fert. Wenige Jahre später wurde das einzig­ar­tige Bauwerk für einen gründer­zeit­li­chen Neubau abgebro­chen. Auch hier blieben Teile der Schwell­balken mit Schnitz­werk im Städti­schen Museum erhalten.

Im weiteren Verlauf der Wenden­straße nach Norden folgten ganz überwie­gend Fachwerk­häuser aus sämtli­chen Epochen der Braun­schweiger Holzbau­kunst. Von den in den Jahren um 1900 entstan­denen Neubauten ist lediglich das ehemalige Gloria-Filmtheater von 1912 erhalten geblieben. Es handelt sich um das einzige aus der Vorkriegs­zeit stammende Bauwerk dieses Straßen­zuges.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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