Bauhis­to­risch einst so bedeutend wie das Gewand­haus

Die Ruine des Martineums mit dem Portal. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege
Die Ruine des Martineums mit dem Portal. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Folge 1: Das Martineum am Bankplatz – ein Renais­sancebau von hohem Rang.

Stich von Anton August Beck um 1750. Foto: Stadtarchiv
Stich von Anton August Beck um 1750. Foto: Stadt­ar­chiv

Jede Braun­schwei­gerin und jeder Braun­schweiger kennt das Gewand­haus – und wer ein wenig in Kunst­ge­schichte bewandert ist weiß, dass der Ostgiebel dieses Bauwerks zu den bedeu­tenden Zeugnissen der Renais­sance­bau­kunst in Deutsch­land gehört. Er ist aber gleicher­maßen auch ein Denkmal für den geglückten Wieder­aufbau eines wichtigen Baudenk­mals. Dagegen ist wohl nur wenigen Bürge­rinnen und Bürgern sowie Gästen unserer Stadt bekannt, dass nicht weit von Altstadt­markt und Kohlmarkt entfernt ein ähnlich bedeu­tendes Werk der Renais­sance­ar­chi­tektur existierte: Das ehemalige Martineum.

Einer der größten Verluste

Es ist das Auftakt­thema der neuen Serie „Zerstörte Kostbar­keiten“, die „Der Löwe – das Portal für das Braun­schwei­gi­sche“ startet. Jeden Monat soll ein Bauwerk vorge­stellt werden, das bis zu seiner Zerstö­rung in den Bomben­nächten des Zweiten Weltkriegs Braun­schweigs Stadtbild prägte und nicht wieder aufgebaut wurde. Das Martineum zählt in diese Kategorie. Es war eine der beiden Vorgän­ger­insti­tu­tionen des heutigen Gymna­siums Martino-Katha­ri­neum. Es kann als einer der größten Verluste in der einstigen Denkmal­land­schaft unserer Löwen­stadt angesehen werden.

Das Martineum wurde gleich­zeitig mit der Schule an St. Katha­rinen (Katha­ri­neum) im Jahr 1415 als städti­sche Latein­schule gegründet. Ihre ursprüng­liche Heimstatt hatte die Lehran­stalt in einem Gebäude an der Jakobstraße bezie­hungs­weise an ihrer Einmün­dung in die heutige Brabandt­straße (zwischen Karstadt­haus und Deutscher Bank).

Nach längerer Vorbe­rei­tung entstand zwischen 1592 und 1594 am Übergang vom heutigen Bankplatz zum Ziegen­markt der überaus statt­liche Neubau des Gymna­siums. Feder­füh­rend war dabei der Braun­schwei­gi­sche General­bau­meister Hans Lampe, der wenige Jahre zuvor bereits bei der Errich­tung des Gewand­haus­gie­bels tätig war. Die quali­täts­volle Bauplastik wurde von dem aus Baden stammenden Bildhauer Balthasar Kircher geschaffen, der ebenfalls am Gewand­haus mitge­wirkt hatte.

Typisch für die Renais­sance

Die unzerstörte Fassade um 1900. Foto: aus Architektur der Renaissance in Deutschland, Stuttgart 1909
Die unzer­störte Fassade um 1900. Foto: aus Archi­tektur der Renais­sance in Deutsch­land, Stuttgart 1909

Das Martineum bestand aus einem straßen­sei­tigen dreige­schos­sigen Steinbau und einem rückwär­tigen Hofge­bäude mit massivem Erdge­schoss und zwei Stock­werken in Fachwerk. Letzteres grenzte direkt an den inner­städ­ti­schen Okerlauf. Die bemer­kens­werte Fassade des Hauptbaus war mit seinen fünf Fenster­achsen und dem mittigen Portal symme­trisch und durch Gesimse betont waagrecht geglie­dert – ganz typisch für die Renais­sance. Die histo­ri­schen Fotos zeigen jedoch nicht ihre ursprüng­liche Gestalt: Über der Traufe ragten drei Dachauf­bauten (Zwerch­häuser) mit geschweiften Giebeln auf. Sie wurden vermut­lich im 19. Jahrhun­dert beseitigt. Außerdem war das auf den Fotodo­ku­menten sichtbare Bruch­stein­mau­er­werk einst verputzt und die Front farbig gefasst.

So sieht es heute am ehemaligen Standort der Martinischule aus. Foto: Elmar Arnhold
So sieht es heute am ehema­ligen Standort der Marti­ni­schule aus. Foto: Elmar Arnhold

Der reiche plasti­sche Schmuck am Portal und in den schmalen Rundbo­gen­ni­schen zwischen den Oberge­schoss­fens­tern thema­ti­sierte die seiner­zei­tigen Inhalte der schuli­schen Bildung: Am noch erhal­tenen Portal (seit 1953 Eingang zur Aula des MK) sind die Sieben Freien Künste und der Heilige Martin darge­stellt, die Nischen­fi­guren präsen­tierten allego­ri­sche Darstel­lungen der Tugenden. Unterhalb der Traufe war eine latei­ni­sche Inschrift in antiki­sie­renden Lettern angebracht, sie lautete: SINITE PVEROS , ET NE PR[O]HIBE[AT]IS EOS A[D ME VENIRE · TALIVM EST ENIM REGNVM] COELORVM · MA[TTH · XIX] (Laßt die Kinder und hindert sie nicht, zu mir zu kommen, denn solchen gehört das Himmel­reich). Teile der Inschrift wurden am ehema­ligen Waisen­haus angebracht. Es befindet sich über der heutigen Parkplatz-Einfahrt zum Hotel „Stadt­pa­lais“ (Rosen­garten).

Nachdem die Schule 1828 in einem Progym­na­sium aufge­gangen war, endete die Nutzung als Bildungs­stätte mit dem Neubau des Martino-Katha­ri­neums an der Scharrn­straße im Jahr 1870. In den ehrwür­digen Renais­sancebau zog nun die Schoko­la­den­fa­brik Wittekop ein. Inzwi­schen hatte sich mit der Neuanlage des Bankplatzes nach 1850 auch die städte­bau­liche Situation verändert.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram @elmararnhold veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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