Blick zurück auf den Schrecken der Mauer

Achim Walther, Vorsit­zender des Grenz­denk­mal­ver­eins Höten­s­leben e.V., erläutert im Interview die Bedeutung eines Stücks Weltge­schichte.

Das Grenz­denkmal Höten­s­leben zeigt die unmensch­liche inner­deut­sche Grenze, wie sie bis zum 19. November 1989 bestand. Das Grenz­denkmal Höten­s­leben steht seit 1990 unter Denkmals­schutz und ist Bestand­teil der Gedenk­stätte Deutsche Teilung Marien­born. An der deutsch-deutschen Grenze starben mehrere Hundert DDR-Flücht­linge. Achim Walther, Vorsit­zender des Grenz­denk­mal­ver­eins Höten­s­leben e.V. ist es mit zu verdanken, dass dieses einzig­ar­tige Zeugnis der Geschichte heute existiert. Im Interview äußert er sich über die Bedeutung des heute letzten komplett erhal­tenen Mauer­strei­fens. Die Richard Borek Stiftung unter­stützte das Projekt.

Herr Walther, anfäng­lich war die Bevöl­ke­rung von Höten­s­leben nicht begeis­tert vom Grenz­denkmal. Wie ist die Situation jetzt?

Es hat sich jetzt eindeutig beruhigt. Am schlimmsten war es von 1993 bis 1996. Danach kamen dann immer mehr Leute hierher, darunter auch zwei Bundes­prä­si­denten und viele hochran­gige Politiker. Im Prinzip ist dieses Denkmal weltweit bekannt. Selbst ein japani­scher Fernseh­sender hat hier schon gedreht. Bei unseren inzwi­schen 17 Workcamps waren schon Jugend­liche aus 32 Ländern in Höten­s­leben. Und das ist etwas für einen Ort, der im Sperr­ge­biet lag, in das damals nicht mal die eigene Bevöl­ke­rung der DDR so einfach hinfahren konnte. Das alles hat sicher­lich bewirkt, dass die Akzeptanz schon zugenommen hat.

Was hatte denn die Bevöl­ke­rung seiner­zeit gegen das Grenzland-Museum?

Die DDR, das Regime, die Grenze standen den Leuten natürlich bis zum Hals und viele haben gesagt, die Mauer muss hier verschwinden. Wir haben das lange genug ertragen. Das war das eine. Wir wollten aber ein Geschichts­zeugnis bewahren. Es sollte einfach so bleiben, wie es war und jeder sollte sich selbst seine Gedanken drüber machen, wie er das findet. Heute erläutern wir auf Tafeln natürlich, was hier an der Grenze damals passierte, wie sie aufgebaut war. Der Sinn des Ganzen ist ja, den Leuten zu vermit­teln, die jünger sind oder aus dem Ausland kommen, zu sagen, guckt mal her: So was kriegt eine Diktatur fertig! Also Demokratie muss man schon auch vertei­digen.

Sie waren einer derje­nigen, die von Anfang an für das Denkmal waren. Was hat Sie denn damals bewogen, so früh dafür einzu­treten?

Das war im Prinzip mein Interesse an der Geschichte allgemein. Ich habe auch zum Glück den Bürger­meister auf meiner Seite gehabt. Wir wollten einfach ein Stück Ortsge­schichte erhalten, weil wir der Meinung waren, das die inner­deut­sche Grenze so einschnei­dend war. Und dann haben wir damals schnell gemerkt, dass an anderen Stellen in Deutsch­land mehrere ähnliche Initia­tiven kaputt gemacht wurden. Oftmals durch die Bevöl­ke­rung, die für den Erhalt kein Verständnis mehr hatte. Wir haben uns aber gesagt: Das müssen wir durch­halten hier. Inzwi­schen ist das Grenz­denkmal allgemein und auch politisch anerkannt.

Durch Ihre frühe Initia­tive ist es ja gelungen, die Anlage tatsäch­lich in ihrem Ursprungs­zu­stand zu erhalten. Das gibt es in ganz Deutsch­land nicht noch einmal oder haben Sie andere Erkennt­nisse?

Nein. Der Landes­kon­ser­vator von Sachsen-Anhalt hat das ja auch so geschil­dert. Es gibt noch viele Orte, an denen noch Reste zu sehen sind: ein Turm, ein Kilometer Mauer oder irgend­etwas anderes. Aber bei uns ist der Schutz­streifen komplett erhalten am origi­nalen Standort. In diesem Streifen sollten die Flücht­linge bezie­hungs­weise die Grenz­ver­letzer festge­nommen oder vernichtet werden. Das war der Dienst­be­fehl, den die Grenzer hier jahrzehn­te­lang bei jedem Dienst­aufzug bekamen.

Woher kommen die Besucher­gruppen haupt­säch­lich?

Aus ganz Deutsch­land, wobei ich sagen muss, dass mehr aus dem westli­chen Teil kommen als aus dem östlichen Teil. Und dann kommen viele aus dem Ausland, vor allem Holländer. Wir freuen uns aber ganz besonders, wenn junge Menschen, Schul­klassen kommen. Neulich war eine deutsch-ameri­ka­ni­sche Schüler­gruppe hier, da haben wir eine zweispra­chige Führung gemacht. Die kennen die Grenze ja nicht mehr, wissen nicht, was sie bedeutete.

Worin lag die Beson­der­heit der Grenz­an­lage in Höten­s­leben?

Dieser sogenannte antifa­schis­ti­sche Schutz­wall ging ja durch ganz Deutsch­land. Der war 1400 Kilometer lang und musste eigent­lich mindes­tens 500 Meter breit sein. Aber Höten­s­leben lag nun als relativ großer Ort – das waren damals vielleicht 4000 Einwohner – so dicht am Westen, dass man den Streifen nicht 500 Meter breit machen konnte, denn dann hätte der Zaun ja durch den Ort gehen müssen und alle Häuser, die im Schutz­streifen lagen, hätten abgerissen werden müssen. Deswegen musste der Schutz­streifen hier viel schmaler sein. Er wurde dann aber stärker ausgebaut und schärfer beobachtet. Und das ist der Ausbau, wie er noch viel schärfer in der Innen­stadt von Berlin ausge­führt worden war. Das können wir hier origi­nal­ge­treu zeigen. Und das ist das Besondere.

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