Braun­schweig erinnert sich: So war Sally Perel

Sally Perel vor einer Informationstafel über sein Leben. Das Volkswagen-Werk in Braunschweig war dem Ehrenbürger sehr verbunden. Foto: Volkswagen

Tod mit 97: Der Jude überlebte den Holocaust als Hitler­junge und setzte sich später für mehr Mensch­lich­keit ein. Was Braun­schweiger über ihn denken.

Die Trauer um Sally Perel ist groß. Rasant hat sich die Nachricht vom Tod verbreitet, und aller­orten wird seine Lebens­leis­tung gewürdigt: in Israel und in Deutsch­land – in Tel Aviv, Jerusalem, in Kiryat Tivon, in Peine und Braun­schweig.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 3.2.2023

Als Mitglied der Hitler­ju­gend war es dem gebür­tigen Peiner gelungen, seine jüdische Identität zu verbergen und den Natio­nal­so­zia­lismus zu überleben. Als junger Mann absol­vierte er im Braun­schweiger Volks­wa­gen­werk eine Lehre zum Werkzeug­ma­cher. Seine Geschichte aber machte er erst mit 65 Jahren publik. Die Autobio­grafie „Ich war Hitler­junge Salomon“ wurde 1990 verfilmt. Die Autobio­grafie ist ein nachhaltig wirkendes Zeugnis, wie gefähr­lich ein politi­sches System ist, das Menschen ausgrenzt und gegen­ein­ander aufhetzt. Perel hatte 40 Jahre gebraucht, um das Erlebte zu verar­beiten, bevor er sich entschloss, ein Buch mit seiner Geschichte zu schreiben.

Perel bekannte, der Propa­ganda der Nazis aufge­sessen zu sein

Seit den 1990er-Jahren war er meist zweimal jährlich auf Lesetouren durch Deutsch­land unterwegs. Besonders gerne ging er in Schulen, um seine Erleb­nisse in der Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus der jungen Genera­tion näher zu bringen.

Er bekannte stets offen, damals der Propa­ganda der Nazis erlegen zu sein. „Ich wurde zum Hass erzogen auf alles, was nicht deutsch war.“ Sein Gehirn sei vergiftet worden. „Böses kann nur durch Gutes bekämpft werden; Hass nur durch Liebe“, hatte Perel bei der Preis­ver­lei­hung 2019 gesagt.

Am Tag nach seinem Tod lasen Schüler der Sally-Perel-Schule in Volkma­rode Texte von ihm, fanden die Jugend­li­chen tröstend zusammen in einer eigens einge­rich­teten Trauer­ecke. Viermal hat die Gesamt­schule bereits den Sally-Perel-Preis gewonnen. „Das gab für uns den Anstoß, unserer Schule 2018 seinen Namen zu geben“, erklärt Direktor Christian Düwel. „Wir werden Sally nicht vergessen, er bleibt ein Teil unserer Schul­ge­mein­schaft. Wir haben uns mit unserer Namens­ge­bung auch seinem Engage­ment für Respekt, Toleranz und Gerech­tig­keit verpflichtet.“

Perel wünschte sich ein respekt­volles Zusam­men­leben von Juden und Arabern

Uwe Fritsch, bis Mai 2021 Betriebs­rats­vor­sit­zender bei VW, hatte ein besonders inniges Verhältnis zu Sally Perel. Im Sommer vergan­genen Jahres war er nach Israel gereist – mit einer heraus­ge­trennten Seite aus dem Goldenen Buch der Stadt Braun­schweig, beauf­tragt vom Oberbür­ger­meister. Auf dem Blatt sollte sich der Ehren­bürger, der nicht mehr reisen konnte, verewigen. „Er konnte kaum noch etwas sehen. Aber er freute sich so sehr über die Ehrung“, sagt Fritsch. Die Seite wurde später wieder ins Goldene Buch eingefügt.

Fritsch hatte Perel 2002 als frisch gewählter Betriebs­rats­vor­sit­zender kennen­ge­lernt und 2020 die Laudatio zu dessen Ehren­bür­ger­schaft gehalten. „Sally hat Mensch­lich­keit vorgelebt, war einer, der sich klar bekannte zu Frieden und Gewalt­frei­heit, der entschieden eintrat gegen Rassismus, Faschismus, sexuelle Ausgren­zung, der sich für Minder­heiten einsetzte und Anders­gläu­bige respek­tierte. Das hat uns verbunden.“

Perel habe sich auch stets für ein respekt­volles Zusam­men­leben von Juden und Arabern stark gemacht, was nicht jedem in Israel gefallen habe. „Ich war immer tief beein­druckt, in welcher Art und Weise Sally jungen Menschen begegnet ist. Er hatte den Wunsch, so lange wie möglich in der Lage zu sein, ihnen seine Botschaft mit auf den Lebensweg zu geben.“ Perel sei sehr bescheiden gewesen und habe doch jeden Raum ausge­füllt, den er betrat. „Und er hatte einen ganz besonders verschmitzten Humor“, erinnert sich Fritsch.

Perel sprach im November 2019 auch auf der Gegendemo zum AfD-Parteitag

Ulrich Markurth, Braun­schweigs Oberbür­ger­meister bis Oktober 2021, hat sich ein Erlebnis vor dem Schloss ins Hirn gebrannt. Es war im November 2019: Die AfD traf sich in Braun­schweig zum Bundes­par­teitag – und 20.000 Menschen waren zum Protest auf die Straße gegangen. „Es war eine politisch bunt gemischte, laute Gegen­de­mons­tra­tion. Doch als Sally Perel ans Mikro trat, wurde es plötzlich ganz still. Er sprach, ohne die Stimme zu erheben. Jeder hatte verstanden: Jetzt kommt eine Autorität, die alle anerkennen. Es war grandios – und für mich die Initi­al­zün­dung, Sally Perel für die Ehren­bür­ger­schaft vorzu­schlagen.“

Die Stadt wird ab Montag, 6. Februar, 12.30 Uhr, im Foyer des Rathauses ein Kondo­lenz­buch auslegen. Oberbür­ger­meister Thorsten Kornblum: „Ich bin sehr traurig über den Tod von Sally Perel. Zugleich empfinde ich große Dankbar­keit dafür, was er für Braun­schweig und die Region getan hat. Unzählige Jugend­liche haben durch seine Schil­de­rungen ein konkretes Bild von der Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus erhalten und dem unsag­baren Mensch­heits­ver­bre­chen, das sich niemals wieder­holen darf.“

Die Erinne­rung daran wachzu­halten, niemals zu vergessen, das sei Ziel seines Wirkens bis ins hohe Alter gewesen. Mit seiner großen Persön­lich­keit sei er den jungen Menschen auf Augenhöhe begegnet, sei niemals anklagend gewesen. „Wichtig war ihm das Bewusst­sein für den verant­wor­tungs­vollen Umgang der Nachge­bo­renen mit der deutschen Vergan­gen­heit. Ich bin dankbar für die schöne Zeremonie der Verlei­hung der Ehren­bür­ger­würde, an der Sally Perel aus Israel digital teilge­nommen hat. Er wird uns sehr fehlen, als Botschafter für Frieden, Versöh­nung und Völker­ver­stän­di­gung, mit seiner großen Persön­lich­keit, mit seiner Stärke und seinem Humor.“

Das sagt Nieder­sach­sens Minis­ter­prä­si­dent Stephan Weil zu Perels Tod

Minis­ter­prä­si­dent Stephan Weil sagte zu Perels Tod: „Ich habe ihn immer bewundert – Sally Perel hatte eine unglaub­liche innere Stärke. Er hat nie vergessen, wer er ist, das war die letzte Bitte seines Vaters an ihn. Er vergaß es auch nicht, als er jahrelang erst in der Wehrmacht und später in der Hitler­ju­gend diente und als Lehrling im Volks­wagen-Vorwerk gearbeitet hat.“

Und weiter: „Es muss ihm sehr schwer gefallen sein, sich als Nazi auszu­geben, um als Jude zu überleben. Wir alle sind ihm unendlich dankbar dafür, dass er von dieser Zeit berichtet, geschrieben und immer wieder den Kontakt zu Kindern und Jugend­li­chen gesucht hat. Ihnen wollte er Toleranz und Respekt vermit­teln und sie so gegen rechts­extremes Gedan­kengut wappnen. Mein herzli­ches Beileid gilt den Angehö­rigen und Freunden von Sally Perel.“

Auch der Bundes­prä­si­dent würdigt Sally Perel

Laut evange­li­schem Presse­dienst hat sich auch Bundes­prä­si­dent Frank-Walter Stein­meier am Freitag zum Tod Sally Perels geäußert. Perel habe die Herzen unzäh­liger Menschen mit seiner Autobio­grafie berührt, schrieb Stein­meier in einem Beileids­brief an Angehö­rige, wie das Bundes­prä­si­di­alamt am Freitag mitteilte.

Das furcht­bare Leid und die unsagbare Angst, die er als Kind und Jugend­li­cher ertragen musste, habe Perel in Worte gefasst und dazu seine Mutter­sprache benutzt, erklärte der Bundes­prä­si­dent: „Welch eine Kraft ihn dazu angetrieben hat, sich dazu zu überwinden, auf Deutsch zu schreiben, wissen wir nicht.“„Dass er den Deutschen und meinem Land die Hand zur Versöh­nung gereicht hat, dass er auf zahlrei­chen Reisen nach Deutsch­land so vielen jungen Menschen von seinem Schicksal berichtet hat, dafür werden wir ihm für immer dankbar sein“, unter­strich Stein­meier. Sein Wirken, seine Herzens­güte und Weisheit würden in Erinne­rung bleiben.

Logo Braunschweiger ZeitungDieser Artikel ist zuerst erschienen am 3.2.2023 und erreichbar unter: https://www.braunschweiger-zeitung.de/braunschweig/article237533865/Braunschweigs-Ehrenbuerger-Sally-Perel-ist-tot.html

Das könnte Sie auch interessieren

  • Braun­schweiger Abitu­rient fährt für ein Jahr nach Jerusalem

    Braun­schweiger Abitu­rient fährt für ein Jahr nach Jerusalem

    Der 18-jährige Frederik van der Veen geht als Stipendiat der Stiftung „Ökumenisches Lernen“ nach Israel. Weiterlesen

  • Offenes Atelier Peine „ganz sicher 2020“

    Offenes Atelier Peine „ganz sicher 2020“

    Die Künstler des Vereins „Künstler im Peiner Land“ kommen in die Stadt: „Offene Ateliers Peine“ Corona-bedingt anders als sonst. Weiterlesen

  • Aus Łódź wurde Litzmann­stadt

    Aus Łódź wurde Litzmann­stadt

    Elftklässler der Neuen Oberschule und ein katho­li­sches Gymnasium aus Łódź erfor­schen mit Hilfe der Gedenk­stätte Schill­straße den Kriegs­an­fang 1939 in ihrer jewei­ligen Heimat­stadt. Es ist ein Schüler­pro­jekt, wie es nicht alle Tage vorkommt. Unter Feder­füh­rung der Gedenk­stätte Schill­straße in Braun­schweig arbeiten ein Geschichts­kurs der Neuen Oberschule und ein katho­li­sches Gymnasium in Łódź (Polen) seit dem… Weiterlesen