Braun­schweigs einst schönste Barock­straße

Ostseite der Breiten Straße mit Häusern Nr. 22 bis 25. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 12: Die Breite Straße gibt Zeugnis über den Raubbau an histo­ri­scher Bausub­stanz nach dem Zweiten Weltkrieg.

Die Breite Straße gehörte in früheren Jahrhun­derten zu den bedeu­tendsten Straßen der Innen­stadt Braun­schweigs. Sie führte vom Altstadt­markt über Bäcker­klint und Südklint in Richtung Petritor und war Teil eines Handels­weges vom Harz nach Bremen. Schon der Name deutet auf die besondere Eigen­schaft des mittel­al­ter­li­chen Straßen­zuges als wichtiger Verkehrsweg hin. Im Jahr 1231 wurde die Breite Straße erstmals mit dem latei­ni­schen Namen „lata platea“ als Wohnsitz eines Bürger­meis­ters erwähnt (1303: brede strate). Damit haben wir gleich­zeitig einen Hinweis auf die dortigen Bewohner, die zu den führenden Kaufleuten und Patri­zi­er­fa­mi­lien im Weichbild Altstadt gehörten.

Blick von Norden in die Breite Straße, um 1900. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Im Zweiten Weltkrieg wurde mit dem gesamten Stadt­quar­tier auch die Breite Straße schwer getroffen. Sämtliche Massiv­bauten brannten aus, während die Fachwerk­häuser vollständig zerstört wurden. Ab 1947 kam es schließ­lich zum Abbruch der Ruinen mehrerer zumindest mit ihren Fassaden aufbau­fä­higer Baudenk­mäler. Da der Straßenzug während des Wieder­auf­baus einschließ­lich der Parzel­lie­rung kaum verändert wurde, erscheinen die Verluste besonders schmerz­lich. Der Raubbau an histo­ri­scher Bausub­stanz ist sogar in einer Disser­ta­tion darge­stellt worden: Gerd Ebeling, Die Zerstö­rung der Breiten Straße, Braun­schweig 1954. Nur wenige bauliche Zeugnisses künden noch heute von der geschichts­träch­tigen Braun­schweiger Adresse.

Reich verzierte Fachwerk­häuser

Das soziale Gefüge der Breiten Straße bildete sich bereits im 13. Jahrhun­dert in der Parzel­lie­rung und Bebauung ab. Auf den geräu­migen Grund­stü­cken entstanden große steinerne Wohnge­bäude. Die meisten Bürger­häuser waren rückseitig mit Kemenaten ausge­stattet, die als älteste bauliche Zeugnisse gelten können. An der Einmün­dung in den Bäcker­klint überwogen seit dem 16. Jahrhun­dert teilweise reich verzierte Fachwerk­häuser aus der Renais­sance­zeit.

Nach dem Dreißig­jäh­rigen Krieg stagnierte die Bautä­tig­keit in der Stadt, wozu eine Pestepi­demie (1657) und die Eroberung Braun­schweigs durch Truppen der welfi­schen Landes­herren im Jahr 1671 beitrugen. Herzog Rudolf August gründete 1681 zur Belebung der Wirtschaft eine jährlich zweimal abgehal­tene Waren­messe. Diese erwies sich bis in das frühe 19. Jahrhun­dert als erfolg­reich und löste damit neue Bautä­tig­keit aus. Schau­plätze der Messen waren die Quartiere um Altstadt­markt und Kohlmarkt mit den angren­zenden Straßen. Das Altstadt­rat­haus wurde für den Messe­be­trieb als Autorshof ausgebaut.

Breite Straße, Nordan­sicht 2023. Foto: E. Arnhold

„Bauen im Bestand“

Das geschlos­senste Ensemble von für Messe­zwecke ausge­bauter Häuser wurde an der Breiten Straße geschaffen. Den Vorgang würde man heute als „Bauen im Bestand“ bezeichnen. Die statt­li­chen und oft noch mittel­al­ter­li­chen Kaufmanns­häuser erhielten im Erdge­schoss breite Bogen­öff­nungen und Räumlich­keiten, die an auswär­tige Messe­händler vermietet wurden. Die charak­te­ris­ti­schen Bögen sind als Messge­wölbe in die Bauge­schichte der Löwen­stadt einge­gangen. Außer den Messe­häu­sern etablierten sich an der Breiten Straße auch Gasthäuser wie das Röncken­dorff­sche Weinhaus (Breite Straße 18, Hotel d’Angle­terre) und das Kaffee­haus Wegener (Haus Nr. 20). Darüber hinaus siedelten sich auch Hofbeamte an, die ihrem Status entspre­chend als Bauherren auftraten.

Neben der Barocki­sie­rung des älteren Hausbe­stands entstanden im 18. Jahrhun­dert vermehrt vollstän­dige Neubauten. Bedeu­tendstes Zeugnis des Hochba­rock war das palais­ar­tige Wohnhaus Breite Straße 9, das 1718 nach Entwurf von Landbau­meister Hermann Korb für den Kammerrat Voigt fertig­ge­stellt wurde. Die Fassade zeigte eine klassi­sche Gliede­rung mit hervor­ge­ho­benen Achsen in der Mitte und an den Seiten. Das Innere barg eines der schönsten Barock­trep­pen­häuser der Stadt. Ebenfalls 1718 entstand gegenüber das Haus der Weinhand­lung Röncken­dorff.

Dieses einst sehr sorgfältig detail­lierte Haus konnte nach 1945 in Anlehnung an den alten Zustand mit origi­nalem Portal wieder­auf­ge­baut werden. Die Weinreben im Portal­re­lief lassen noch heute die ursprüng­liche Bestim­mung des Hauses erkennen. Von dem einstigen Messe­han­dels­haus Breite Straße 22 (um 1720) ist das Erdge­schoss rekon­stru­iert, darüber erhebt sich eine moderne Front. Die beiden Häuser Breite Straße 1 und 2 erfuhren im 18. Jahrhun­dert prägende Umbauten. Das große Kaufmanns­haus Nr. 1 entstand 1765 mit seiner spätba­ro­cken Archi­tektur für den Kaufmann Wilmerding.

Breite Straße 7, Portal. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmal­pflege

Durch­gangshof zur Görde­lin­ger­straße

Es gehörte zu den zahlrei­chen Werken des Baumeis­ters Georg Christoph Sturm. Der Sohn des bedeu­tenden Archi­tek­tur­theo­re­ti­kers Leonhard Christoph Sturm schuf dutzende von Entwürfen für Bürger­häuser in Braun­schweig. Das Wilmerdingsche Haus zeigte die typischen Messge­wölbe und ein Mansar­den­dach. Sein geschweifter Giebel über dem Mittelbau verlieh dem Bau einen fast heiteren Charakter.

Haus Nr. 2 besaß nach seinem Umbau um 1700 ein dagegen eher strenges Erschei­nungs­bild. Entspre­chende schlichte Putzfas­saden mit Messge­wölben ließen auch Breite Straße 23–25 erkennen. Das Portal in Nr. 24 führte in den „Neuen Hof“, ein für Messe­zwecke angelegter Durch­gangshof zur Görde­lin­ger­straße (heute Handelsweg). Blickfang des barocken Fachwerk­hauses Breite Straße 7 war das quali­täts­volle Portal.

Elmar Arnhold ist Bauhis­to­riker (Gebautes Erbe) und Stadt­teil­hei­mat­pfleger. Auf Instagram veröf­fent­licht er regemäßig Beiträge zu histo­ri­schen Bauten in Braun­schweig.

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