Die Scharrn­straße – Bürger­häuser vom Feinsten

Häuser Scharrnstraße 7, 8 und 9. Foto: Nieders. Landesamt f. Denkmalpflege

Verschwun­dene Kostbar­keiten, Teil 13: Eine erste Überlie­fe­rung des  Namens in Latein geht auf das Jahr 1304 zurück: platea schernere.

Die Scharrn­straße gehört heute zu den eher gesichts­losen Straßen­zügen der Braun­schweiger Innen­stadt. Bietet das Bankhaus Löbbecke an der Ecke zur Marti­ni­kirche auch einen opulenten Auftakt, so findet man hier überwie­gend biedere Nachkriegs­ar­chi­tektur ohne gestal­te­ri­schen Anspruch. Auch der Altbau des Martino-Katha­ri­neums an der östlichen Straßen­seite wurde nach 1945 verein­facht wieder­her­ge­stellt.

Der Name der Scharrn­straße rührt von den mittel­al­ter­li­chen Fleisch­ver­kaufs­ständen her, die dort konzen­triert waren. Eine erste Überlie­fe­rung dieses Namens in Latein geht auf das Jahr 1304 zurück: platea schernere. Verkaufs­stände für Lebens­mittel, besonders für Fleisch­waren, wurden in früheren Jahrhun­derten je nach Region als Scharren, Schrangen oder – wie in Frankfurt am Main – als Schirn bezeichnet. Die Kunst­halle Schirn erinnert in der Mainme­tro­pole bis heute an den histo­ri­schen Standort der Fleisch­bänke. Diese Verkaufs­orte wurden von der städti­schen Obrigkeit vorge­halten und streng kontrol­liert.

Heimat vermö­gender Familien

Die Scharrn­straße gehörte außerdem zu den wichtigen Straßen­zügen im Weichbild Altstadt. Sie verknüpfte das Markt­quar­tier in nördliche Richtung mit dem Petritor. Daher war der Straßenzug, wie auch Breite und Görde­lin­ger­straße, ein bevor­zugter Wohnort der vermö­genden und einfluss­rei­chen Familien. So entstanden hier bereits im 13. Jahrhun­dert steinerne Patri­zi­er­häuser und Kemenaten, von denen in der Literatur sieben Beispiele überlie­fert sind. Seit dem 15. Jahrhun­dert überwogen schließ­lich die Fachwerk­bauten. Sie waren an der Scharrn­straße mit besonders kostbaren Exemplaren vertreten.

Scharrn­straße 13, um 1940. Foto: aus Rudolf Fricke, Braun­schweiger Fachwerk, 1942

In städte­bau­lich exponierter Lage erhob sich das dreige­schos­sige Eckhaus Scharrn­straße 1 zur Sonnen­straße. Es handelte sich um ein typisches Werk der spätgo­ti­schen Holzbau­kunst mit stark vorkra­genden Oberge­schossen und kräftigen Schnit­ze­reien. Die Treppen­friese an den Stock­werk­schwellen waren das Leitmotiv des Braun­schweiger Fachwerks im 15. und frühen 16. Jahrhun­dert. Eine Bauin­schrift an der Brand­mauer des Nordgie­bels mit der Jahres­zahl 1453 (M CCCC L III) bezeugte das früheste Auftreten dieser Schmuck­form in der Löwen­stadt.

Gasthof „Stadt London“

Als einstiger Glanz­punkt kann das bereits 1870 abgebro­chene Anwesen Scharrn­straße 7 gelten. Das Vorder­haus zeigte einen steinernen Unterbau mit auskra­gendem Fachwerkstock. Seine ursprüng­liche Nutzung als Speicher ist auf einer histo­ri­schen Fotografie noch sichtbar. Auch dort deutete die Schwelle mit Treppen­fries auf eine Bauzeit im Spätmit­tel­alter. Der Hof nun gehörte zu den schönsten im alten Braun­schweig. Unmit­telbar hinter dem Haus stand die in das 13. Jahrhun­dert zurück­rei­chende Kemenate, die ebenfalls um 1500 mit Fachwerk aufge­stockt wurde und dabei ihren steilen Brand­giebel erhielt. Im Anschluss an die Kemenate folgte ein kleiner, aber äußerst reizvoller Fachwerkbau der Frühre­nais­sance mit Fächer­ro­setten (um 1540). Im Oberge­schoss hatte sich die alte Bleiver­gla­sung erhalten. Das nächste Hofge­bäude aus dem späten 16. Jahrhun­dert besaß im Oberge­schoss einen offenen Lauben­gang. Scharrn­straße 7 gehörte im 16. Jahrhun­dert der Ratsfa­milie von Peine und beher­bergte zuletzt den Gasthof „Stadt London“.

Scharrn­straße 8 zeigte sich als großer Massivbau mit einem wuchtigen Sattel­dach, das von langen Schlepp­gauben für die Belüftung der dortigen Speicher­räume gekenn­zeichnet war. Das Rundbo­gentor und die Fenster­ge­wände stammten aus der Zeit um 1550. Das im Kern mittel­al­ter­liche Haus Nr. 9 war wiederum von einem massiven Erd- und Oberge­schoss sowie einem vorkra­genden Speicher­stock aus Fachwerk mit Treppen­fries geprägt. Zur Bauzeit des Fachwerkstocks (1503) gehörte es Ilse von Kalm, deren Ehemann Tile von Damm ein Jahr zuvor verstorben war.

Zwei weitere Höhepunkte des Fachwerk­baus waren die spätgo­ti­schen Häuser Scharrn­straße 12 und 13. Letzteres entstand laut Inschrift im Jahr 1470 und gehörte zu den künst­le­risch wertvollsten Bürger­häu­sern Braun­schweigs. Die vorkra­genden Oberge­schosse des dreige­schos­sigen Bauwerks zeigten wiederum Treppen­friese, hinzu kamen mit Masken beschnitzte Balken­köpfe und eine geschlos­sene Reihe von Figuren­kn­aggen über dem 1. Oberge­schoss. Die Figuren stellten Christus acht Aposteln dar. Ein schlich­terer Bau der Renais­sance­zeit von 1558 war Scharrn­straße 18, in dessen Fassade sich noch das ursprüng­liche Tor mit sogenanntem Esels­rü­cken abzeich­nete.

Eltern­haus von Konrad Koch

Zu den wenigen Barock­bauten gehörte das massive Doppel­haus Scharrn­straße 3/4, das zu Beginn des 18. Jahrhun­derts von einem unbekannten Archi­tekten errichtet wurde. Es ist erstmals in einem Kupfer­stich von 1720 überlie­fert und zeigte an seiner symme­tri­schen Front zwei Portale mit zeitty­pi­schen gesprengten Giebeln sowie zwei Zwerch­häuser mit seitli­chen Voluten. Im barocken Fachwerk­haus Scharrn­straße 5 verlebte Konrad Koch, der Wegbe­reiter des modernen Fußball­spiels in Deutsch­land, seine Kindheit.

Die Bebauung der Ostseite des Straßen­zuges war insgesamt schlichter, handelte es sich hier doch teilweise um die rückwär­tige Hofbe­bauung der großen Patri­zi­er­häuser an der Breiten Straße. 1867 entstand hier der langge­streckte Schul­neubau für das Gymnasium Martino-Katha­ri­neum im Rundbo­gen­stil. Im Zweiten Weltkrieg wurde die ältere Bebauung bis auf Reste der Stein­bauten völlig zerstört.

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