Braun­schweigs koloniale Verbin­dungen: Von der Oker in die Welt

Kolonialwaren wie Kaffee, Tee und Schokolade erfreuten sich in Braunschweig hoher Nachfrage. Über 400 koloniale Groß- und Kleinhandlungen etablierten sich in der Stadt um die Jahrhundertwende (Drogerie und Kolonialwarenhandlung Dr. Heinen & Sander, Sonnenstraße 6 in Braunschweig, ca. 1923/24, Stadtarchiv BS, H XVI: D III).
Kolonialwaren wie Kaffee, Tee und Schokolade erfreuten sich in Braunschweig hoher Nachfrage. Über 400 koloniale Groß- und Kleinhandlungen etablierten sich in der Stadt um die Jahrhundertwende (Drogerie und Kolonialwarenhandlung Dr. Heinen & Sander, Sonnenstraße 6 in Braunschweig, ca. 1923/24, Stadtarchiv BS, H XVI: D III).

Braun­schweig war Anfang des 20. Jahrhun­derts kulturell, wirtschaft­lich und politisch mit den europäi­schen Kolonien vernetzt. Der Histo­riker Clemens Janke hat Quellen zu Braun­schweigs kolonialem Erbe erschlossen. Ein Einblick anhand von drei Beispielen.

Bildkärt­chen aus Kaffee­dosen ließen das Sammel- und Tausch­be­gehren der Kinder aufflammen; begeis­terte Sammler stellten sich Raritäten in ihre ‚exoti­schen‘ Sammelzimmer; Firmen setzten lokal herge­stellte Produkte nach Übersee ab, während koloniale Waren ihren Weg in die Stadt Heinrich des Löwen fanden. Das Koloni­al­zeit­alter war in Braun­schweig allge­gen­wärtig.

Von 2023 bis 2024 entstand ein Überblick über Quellen und Zeugnisse dieser Zeit, die sich im Stadt­ar­chiv sowie regio­nalen Museen und Biblio­theken erhalten haben. Im Rahmen einer Koope­ra­tion zwischen Stadt­ar­chiv Braun­schweig, dem Institut für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und dem Kultur­de­zernat wurde damit ein erster Ausgangs­punkt für weitere Forschung geschaffen. Ein Einblick in die Vielfalt der Verknüp­fungen lohnt – und überrascht.

Bunte Bilder­welten – mit Voigt­länder durch Afrika

„Unser beson­deres Bestreben ist es, besonders den Tropen­rei­senden die am sichersten wirkenden Apparate in die Hand zu geben“ (Werbe­bro­schüre 1906, Stadt­ar­chiv Braun­schweig, GIX 45: 221 Bd. 3).

Die Voigt­länder AG aus Braun­schweig, die berühmt für Ihre Fotoob­jek­tive war, stieg Anfang des 20. Jahrhun­derts auch in das Geschäft der tropen­taug­li­chen Reise­fo­to­grafie ein. Die kompakten Reise­ka­meras bewarb die Firma mit Bildern aus den deutschen Kolonien in Afrika. Diese Fotos spielten häufig mit der Faszi­na­tion des ‚Fremden‘.

Voigtländer war international bekannt. Die Werbung der Firma wurde in verschiedene Sprachen wie Englisch, Französisch und Russisch übersetzt. Abgebildet ist eine Werbebroschüre der Voigtländer AG mit Anzeigen für tropensichere Kameras von 1904/05 (Stadtarchiv Braunschweig, GIX 45: 221 Bd. 3).
Voigt­länder war inter­na­tional bekannt. Die Werbung der Firma wurde in verschie­dene Sprachen wie Englisch, Franzö­sisch und Russisch übersetzt. Abgebildet ist eine Werbe­bro­schüre der Voigt­länder AG mit Anzeigen für tropen­si­chere Kameras von 1904/05 (Stadt­ar­chiv Braun­schweig, GIX 45: 221 Bd. 3).

Im Jahr 1907 stattete Voigt­länder die Zentral-Afrika-Expedi­tion von Adolf Friedrich zu Mecklen­burg mit Kameras aus. Adolf Friedrich war der Bruder von Johann Albrecht zu Mecklen­burg, Regent von Braun­schweig zwischen 1907 und 1913.

Die Firma warb in der Zeitschrift Simpli­cis­simus mit über 5000 Aufnahmen der Expedi­tion, „ohne dass trotz der tropi­schen Witte­rungs­ver­hält­nisse und der Strapazen einer solchen 1 ¾ Jahre langen Expedi­tion die Aufnah­me­ap­pa­rate in ihrer Leistungs­fä­hig­keit und prakti­schen Brauch­bar­keit eingebüßt hätten“ (Werbe­an­zeige 1909, Stadt­ar­chiv Braun­schweig, GIX 45: 221 Bd. 3).

Voigt­länder nutzte die koloni­al­po­li­ti­schen Struk­turen geschickt, indem sie mit neuen Produkten wie tropen­si­cheren Fotoap­pa­raten oder militä­ri­schen Fernrohren aufstre­bende Absatz­märkte erschloss.

Sammel­fieber – mit frischem Kaffee und Klischees versorgt

Die Gebrüder Jürgens versorgten die Braun­schwei­ge­rinnen und Braun­schweiger um 1900 mit frisch gerös­tetem Kaffee in ihrer Koloni­al­wa­ren­hand­lung am Steinweg. Sie legten dem halben Pfund Kaffee Sammel­bilder mit kolonialen Motiven bei.

Diese Sammel­kärt­chen waren einfluss­reiche Medien, die sich durch Kaffee, Konserven und Rauch­waren als kosten­lose Beigaben verbrei­teten. Damals wie heute überzeugen sie als marke­ting­stra­te­gi­sche Kultob­jekte, die noch heute zu Sport­groß­ereig­nissen in Schoko­la­den­ta­feln zu finden sind.

Sammelkarte der Kaffeerösterei Gebrüder Jürgens aus Braunschweig um 1900: „Viehraub durch Hereros“ aus der Reihe „Herero-Aufstand in Deutsch Südwest-Afrika“. (Stadtarchiv Braunschweig, H III 5: 197 Akz. 2022/087)
Sammel­karte der Kaffee­rös­terei Gebrüder Jürgens aus Braun­schweig um 1900: „Viehraub durch Hereros“ aus der Reihe „Herero-Aufstand in Deutsch Südwest-Afrika“. (Stadt­ar­chiv Braun­schweig, H III 5: 197 Akz. 2022/087)

Die Bilder­serie „Aufstand der Hereros in Deutsch-Südwest­afrika“ trans­por­tierte Klischees über ‚exotische‘ Länder in die braun­schwei­gi­schen Haushalte. Das Motiv zeigt Einwoh­nende Südwest­afrikas, die Rinder von einer Farm rauben. Die entblößte Frau, die in scheinbar tradi­tio­neller Tracht gekleidet ist, vollendet die stereo­typen und eroti­sierten Vorstel­lungen des ‚weißen Mannes‘ über den ‚schwarzen Kontinent‘.

Das Sammel­bild­motiv verbrei­tete damit die Erzählung der vermeint­lich gerecht­fer­tigten Koloni­al­po­litik vor Ort. Zugleich spielt es auf die brutale Zerschla­gung der Aufstände der Ovaherero und Nama um die Jahrhun­dert­wende an.

Andere „Völker“ ausstellen – Ostafrika und Indien in Braun­schweig

„Völker­schauen“ waren eine weit verbrei­tete Form des Unter­hal­tungs­ge­schäfts zu Beginn des 20. Jahrhun­derts. Die völker­kund­liche Ausstel­lung 1912 in der Gewer­be­schule am Stein­tor­wall wurde vom Leipziger Missi­ons­werk und der Braun­schweiger Missi­ons­kon­fe­renz organi­siert. Ziel der Ausstel­lung war die Präsen­ta­tion des ‚heidni­schen Aberglau­bens‘.

Im Gegensatz zu kommer­zia­li­sierten „Völker­schauen“ wie in Hagen­becks Tierpark in Hamburg wurden die verschie­denen Kulturen der Braun­schweiger Ausstel­lung nicht durch echte Menschen, sondern durch lebens­große Figurinen reprä­sen­tiert. Diese stellten – tradi­tio­nell gekleidet – das indische und ostafri­ka­ni­sche Volk dar.

„Denn wo das Kreuz nicht siegt, da wird der Halbmond siegen oder der nackte Materialismus herrschen!“ Flugblatt zur völkerkundlichen Ausstellung 1912. Landeskirchliches Archiv Wolfenbüttel, Pa BlB 174.
„Denn wo das Kreuz nicht siegt, da wird der Halbmond siegen oder der nackte Materia­lismus herrschen!“ Flugblatt zur völker­kund­li­chen Ausstel­lung 1912. Landes­kirch­li­ches Archiv Wolfen­büttel, Pa BlB 174.

Die dreiwö­chige Ausstel­lung wurde von 24.500 Inter­es­sierten besucht und als „Sehens­wür­dig­keit ersten Ranges“ betitelt (Leipziger Missi­ons­blatt 1913, S. 118). Die Anschauung anderer Gesell­schaften aus Sicht der Missi­ons­werke liefert eine spannende Perspek­tive. Unter anderem initi­ierten Akteure und Akteu­rinnen aus Braun­schweig auch die Missio­nie­rung Deutsch-Ostafrikas, deren Spuren sich bis heute in den ostafri­ka­ni­schen Ländern verfolgen lassen.

Zahlreiche Verflech­tungen von der Oker in die kolonia­li­sierten Teile der Welt lassen sich in der Braun­schweiger Stadt­ge­schichte aufdecken. Die Koloni­al­zeit hat Spuren in den Gesell­schaften der Koloni­sierten und Koloni­sie­renden hinter­lassen, denen nachzu­gehen auch eine erinne­rungs­po­li­ti­sche Aufgabe der Gegenwart darstellt.

Weitere Infor­ma­tionen

Clemens Janke, Braun­schweig und die Welt. Ein sachthe­ma­ti­sches Archiv­in­ventar zu kolonialen Kontexten 1880 bis 1919, Hildes­heim 2025. Bestellbar bei der Buchhand­lung Graff oder im Stadt­ar­chiv Braun­schweig.

Clemens Janke arbeitet als wissen­schaft­li­cher Mitar­beiter am Institut für Geschichts­wis­sen­schaft der TU Braun­schweig und an der Kustodie der OVGU Magdeburg. In einem Koope­ra­ti­ons­pro­jekt von 2023 bis 2024 zwischen der Stadt Braun­schweig und der TU Braun­schweig erschloss er Quellen zur Aufar­bei­tung des kolonialen Erbes der Stadt.

Mehr lesen: “Geschichte wird nicht besser, indem man sie entsorgt” – Gerd Biegel im Interview zum Koloni­al­denkmal

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