Die Geheim­nisse der Oker

Braunschweigs Lebensader: die Oker. Foto: meyermedia
Braunschweigs Lebensader: die Oker. Foto: meyermedia

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 31: vom Hakemann, dem Krokodil und neugie­rigen Männer­bli­cken.

Die Oker hat die Entste­hung Braun­schweigs vom 9. Jahrhun­dert an entschei­dend geprägt. Und natürlich ranken sich um ein solches Gewässer zahlreiche Legenden und Geschichten. Da geht es um den Hakemann, der Menschen vom Ufer in den Unter­grund zog. Angeblich hatte sich sogar ein Krokodil in die Oker verirrt. Ganz Verwegene behaupten sogar, dass über die Oker trans­por­tierte Braun­schweiger Mumme bei der Entde­ckung Amerikas eine Rolle gespielt haben könnte. Und natürlich gibt es eine Reihe von Anekdoten, als Männer und Frauen noch getrennt baden mussten.

Heute ist die Oker zwischen Eisen­büt­teler Wehr und dem Oker-Düker bei Waten­büttel längst zum Wasser­sport- und Freizeitort. Es gibt ein umfang­rei­ches Ausflugs­pro­gramm mit allerlei kultu­rellen und kulina­ri­schen Angeboten sowie kundigen Flößern, die ihre Gästen mit dem Skurrilen rund um die Oker bei Laune halten. Erwähnt werden soll von den Veran­stal­tungen die schon 2002 gestar­tete Reihe „Mord auf der Oker“, die in jedem Jahr durch eine Reihe von Autoren mit ihren Krimi­nal­ro­manen viele Besucher begeis­tert. Eine Floßfahrt ist jeden­falls eines der schönsten Erleb­nisse, das ein Tourist in Braun­schweig haben kann.

Die Oker entspringt auf ca. 910 m Höhe auf dem Bruchberg im Harz und kommt mit großer Fließ­ge­schwin­dig­keit nach Braun­schweig. Nach 125 Kilome­tern mündet sie bei Müden in die Aller. Ursprüng­lich floss sie in einer 200 bis 500 Meter breiten Talaue in nördli­cher Richtung durch das heutige Stadt­ge­biet. In Braun­schweig bildeten sich im 9. Jahrhun­dert erste Ansied­lungen an einer Okerfurt, über die wichtige Fernstraßen führten.

Schiff­fahrt

Wenn auch immer wieder die Rede vom „alten Handelsweg“ Oker-Aller-Weser ist, so gilt das doch nur mit Einschrän­kungen. Heinrich der Löwe hatte den Kaufleuten in der Stadt­rechts­ur­kunde des Weich­bildes Hagen zugesagt, dass sie das Recht der freien Schiff­fahrt auf dem Wasserweg bis Bremen hätten. Tatsäch­lich gibt es aber kaum Nachrichten über die Nutzung zwischen dem 12. und 14. Jahrhun­dert. Es gab von Seiten des Rates in Celle immer wieder Forde­rungen von Abgaben für die Schiffe, später gab es Probleme mit Lüneburg, weil man die Oker für die Verschif­fung von Korn und anderen Waren nutzen wollte.

Erst im 18. Jahrhun­dert wird ein neuer Versuch unter­nommen, die Oker durch einen Ausbau verstärkt für den Transport zu nutzen. Doch die regel­mä­ßige Versan­dung der Oker sowie rutschende Böschungen bedingten schon sehr schnell den täglichen Einsatz eines Bagger­schiffes. Herzog Carl ließ zudem 1745 südlich von Wolfen­büttel mehr als 1000 wirtschaft­lich wertvolle Weiden­bäume fällen, um Treidel­pfade zu schaffen. Man trans­por­tierte von Hedwigs­burg bei Halchter bis Braun­schweig auf dem Wasserweg Bruch­steine und Holz aus dem Harz, auf einem schon im 15. Jahrhun­dert gebauten Kanal von Ösel ebenfalls Bruch­steine. Unpro­ble­ma­tisch war die Schiff­fahrt auf der Oker nie, weil sie oft zu flach war und mit Schleusen und Zulei­tungen aus Bächen gearbeitet werden musste, um den Wasser­stand zu regulieren. Die teilweise großen Untiefen deuten nicht auf die frühere Schiff­bar­ma­chung hin, sondern sind Bomben­trichter aus dem II. Weltkrieg.

Okerhäfen

Im südlichen Bruch­ge­biet bei Stöckheim bestand ein Hafen, in dem die Besat­zungen der Schiffe ausge­wech­selt wurden, der Straßen­name „Am Schiff­horn” weist noch darauf hin. Für 1753 sind 489 Fahrten dokumen­tiert, die überwie­gend Bier, Brot und Baustoffe beför­derten. Insbe­son­dere beim Bier wurde nachweis­lich von Schiffs­be­sat­zungen „genascht”, was aus Gerichts­akten hervor­geht.

Der Braun­schweiger Hafen lag also zunächst am Bruch (mit Kran und Güter­schuppen), danach im Beginen­garten des Johan­nis­stifts (heute etwa Kattreppeln/Ecke Friedrich-Wilhelm-Straße). Nach dem Bau der Oker-Umflut­gräben im späten 18. Jahrhun­dert wurde dem Innen­stadt­hafen dann das Wasser entzogen. Seit etwa 1900 wird die Oker unter­ir­disch durch die Stadt geführt.

Trink­wasser

Das Wasser der Oker war als Trink­wasser nur sehr bedingt verwendbar, denn die Stadt leitete alle Abfälle hinein, aller­dings wird berichtet, dass zum Bierbrauen das Okerwasser wieder Verwen­dung fand – die Anekdote vom Stadt­schreier, der durch die Gassen ging und angeblich ausrief, man möge heute nicht mehr in die Oker….machen, weil morgen wieder frisch gebraut würde, ist dadurch entstanden. Im 16. Jahrhun­dert organi­sierten sich verschie­dene „Pipen­bru­der­schaften“ (Pipe = Röhre), die nach und nach ein System mit hölzernen Rohren aufbauten, das mehr als 300 Jahre lang fließendes Wasser in die Häuser der Stadt lieferte. So wurden etwa zehn Prozent der Häuser mit fließendem Wasser für das Bierbrauen und als Brauch­wasser versorgt. Die Quelle war der Jödebrunnen außerhalb der Stadt­mauern.

Indus­trie­denkmal

1865 wurde die „Wasser­kunst“ im Bürger­park eröffnet. Mit Hilfe von mehreren Filter­vor­gängen, u.a. durch Sand und dem Druckwerk, von dem heute noch der Förder­turm und das Maschi­nen­haus als Indus­trie­denkmal beim Steigen­berger Hotel stehen und zu dem auch die Kennel­teiche gehörten, gelang es, das Flußwasser als Trink­wasser aufzu­be­reiten. Konstruk­teur der Anlage war der Eisen­bahn­in­ge­nieur Clauss.

Nutrias

Heute ist das Okerwasser nicht etwa braun und trüb, wie man bei einer Boots­fahrt annehmen könnte, denn man sieht durch das kristall­klare Wasser auf den schlam­migen Unter­grund. Das Wasser hat Trink­was­ser­qua­lität der Stufe 2 und ist somit trinkbar. Außerdem leben zahlreiche Fisch­sorten, eine seltene Krötenart und neben den Ratten auch die biber­ar­tigen Nutrias hier.

Badever­gnügen

Schon von 1783 – 1809 gab es eine Badean­stalt auf einem Floß in der Oker. 1813 entstand die Schwimm­an­stalt für die gebil­deten Stände Magnitor, 1859 die kosten­lose „Freiba­de­an­stalt“ für arme Männer. Ab 1874 war für die Öffent­lich­keit die „Bahnbade“ zugäng­lich, die sich an der Stelle befand, an der heute alljähr­lich im Bürger­park die Okerca­bana entsteht. Nach dem Krieg wurde sie noch von 1947–1952 betrieben, dann aber geschlossen. Eine Schwimm­ba­de­an­stalt nur für Frauen wurde 1909 von der Stadt einge­richtet, Famili­en­bäder entstanden erst nach dem 1. Weltkrieg, 1927 gab es vom Schwimm­verein Delphin ein Bad an der Oker bei Melverode. Viele Okerfluß­bäder wurden privat von Bademeis­tern betrieben und erweckten rasch Konkur­renz­neid unter­ein­ander.

Neugierde

Als es endlich ein Flußbad nur für Frauen gab, wurde berichtet, dass plötzlich kein Paddel­boot auf der Oker mehr zu mieten war, weil sich zahlreiche Männer auf den Weg gemacht hatten, um die badenden Frauen vom Boot aus zu beobachten. Doch dem schob der Bademeister rasch einen Riegel vor, spannte zwischen Bäumen eine Leine und legte große Laken darüber, die bis ins Wasser hingen – und schon hatten die Damen einen Sicht­schutz.

Krokodil

Eine weitere Anekdote berichtet, dass sich ein Betreiber der Badean­stalt unterhalb der Badetwete/Wolfenbütteler Straße über die ausblei­benden Besucher trotz des schönen Wetters wunderte. Als er nach oben zur Straße ging, um Ausschau zu halten, entdeckte er ein Schild mit der Aufschrift „Warnung vor dem Oker-Krokodil!“, das vermut­lich von einem Konkur­renten aufge­stellt wurde. Der Mann war jedoch pfiffig, besorgte sich das als Dekora­tion in einer Apotheke unter der Decke hängende Krokodil, dazu einen Reporter einer der hiesigen Zeitung, ließ sich mit dem toten Tier ablichten und stolz verkünden, man hätte das Reptil erlegt. Die ersten Badegäste nach diesem Ereignis hätten aber vor dem Baden kräftig auf die Wasser­ober­fläche geschlagen. Das war jedoch nicht die einzige Gefahr in der Oker!

Hakemann

Kindern wurde immer wieder die Schau­er­story vom „Hakemann“ erzählt, der wie eine Nixe einen mensch­li­chen Oberkörper und einen Fischleib als Unter­körper habe. Hatte der Hakemann Hunger auf Menschen, so zog er die vom Ufer mit seinem Haken­stock ins Wasser und fraß sie auf. Aller­dings vergriff er sich nie an Schwim­mern oder Badenden, deshalb sollte jedes Kind schwimmen lernen, um ihm zu entgehen. Der Hakemann lebt in Brunnen wie in Teichen und Flüssen, er ist in ganz Deutsch­land bekannt und wurde schon 1901 in der „Braun­schweiger Volks­kunde“ erwähnt.

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