Das doppelte Sterbe­haus

Das Leisewitz-Haus ersetzte am Aegidienmarkt das Sterbehaus Lessings. Foto: meyermedia
Das Leisewitz-Haus ersetzte am Aegidienmarkt das Sterbehaus Lessings. Foto: meyermedia

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 13: Dort wo einst Lessings Sterbe­haus stand, steht jetzt das von Leisewitz.

Vom Tod seiner Frau und seines Sohnes erholte sich Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) nicht mehr. Er kehrte als gebro­chener Mann nach Braun­schweig zurück, kam bei einem befreun­deten Weinhändler in dessen Haus an der Aegidi­en­kirche  unter und starb dort. Dabei hatte sein Lebens­ab­schnitt in Braun­schweig so verhei­ßungs­voll begonnen. Er stand im Mittel­punkt des Braun­schweiger Dichter- und Gelehr­ten­kreises. Aber nach dem Tod von Frau und Kind ließ sich Lessing gehen. Er war gesund­heit­lich bereits schwer angeschlagen. Überlie­fert ist die Einschät­zung, dass er im Grunde genommen nur noch zum Sterben nach Braun­schweig zurück­kehrte.

Skurril ist vor allem aber die Geschichte von Lessings Sterbe­haus, in dem er sich kurz vor seinem Ende noch eine Wohnung gemietet hatte. Ursprüng­lich stand dort in unmit­tel­barer Nähe der Aegidi­en­kirche das Rathaus des Altewiek. Es wurde aber 1745 abgerissen. Für besagten mit Lessing befreun­deten Weinhändler mit Namen  Angott errich­tete Hofbau­meister Georg Christoph Sturm genau an dieser Stelle ein neues Haus. Es stand dort fast zwei Jahrhun­derte, ehe es schließ­lich beim schweren Bomben­an­griff 1944 ein Opfer der Flammen wurde.

Erst 1976 wurde die Kriegs­lücke wieder geschlossen. Dort, wo einst Lessings Sterbe­haus gestanden hatte, wurde nun tatsäch­lich das Sterbe­haus eines anderen Schrift­stel­lers wieder aufgebaut – nämlich das Sterbe­haus von Johann Anton Leisewitz (1788–1806). Es hatte zunächst an der Wallstraße gestanden. Weil dort aber ein neues Parkhaus gebaut werden sollte, musste das Leisewitz-Haus weichen und wurde verpflanzt. Wer es nicht weiß, denkt natürlich, dass das Haus Aegidi­en­markt Nr. 12 seit jeher dort gestanden hätte.

Als Lessing nach Braun­schweig kam, strotzte er vor Selbst­ver­trauen. Dabei war das Verhältnis zu seinem obersten Dienst­herren, Herzog Carl I., durchaus gespannt. Seit dem 7. Mai 1770 war Lessing Leiter der Wolfen­büt­teler Biblio­thek und erhielt anfäng­lich ein Jahres­salär von 200 Talern, das dann auf 600 Taler und schließ­lich auf 1000 angehoben wurde. Noch aus seiner Hamburger Zeit hatte der Aufklärer und Dramaturg mit Schulden zu kämpfen. Er äußerte selbst einmal, dass die 600 Taler durchaus angemessen seien. Dennoch drohte Lessing mit dem Verlassen des Herzog­tums, sollte ihm nicht mehr Geld bewilligt werden. Erbprinz Carl Wilhelm Ferdinand setzte sich schließ­lich bei seinem Vater für Lessing ein.

1776 beglich Lessing die Rechnung eines Wolfen­büt­teler Weinhänd­lers in Höhe von 70 Talern. Eine derartige Summe ließ nicht gerade auf beschei­dene Lebens­ver­hält­nisse schließen. Aber auch seine Eltern und seine Schwester unter­stützte Lessing jährlich mit 125 Talern. Seine langjäh­rige Verlobte, die Witwe Eva König, hatte zudem das Erbe ihres Mannes, eine Seiden­fa­brik, in Wien verkauft, so dass einer Hochzeit am 8. Oktober 1776 nichts mehr im Wege stand. Das Paar bezog ein ehema­liges Hofbe­am­ten­haus direkt neben der Biblio­thek in Wolfen­büttel. Doch das Glück währte nur kurze Zeit. Zu Weihnachten wurde Sohn Traugott geboren und starb wenige Stunden nach der Geburt, Eva an den Folgen des Kindbett­fie­bers schließ­lich am 10. Januar 1778 ebenfalls.

Es folgte für Gotthold Ephraim Lessing eine trostlose Zeit. Im Sterbe­zimmer seiner Frau schrieb er seinen weltbe­rühmten Roman „Nathan der Weise“, der 1779 vollendet war. Doch die Erinne­rungen an das Erlebte trieben ihn immer wieder nach Braun­schweig, wo er sich die Wohnung im Haus des Weinhänd­lers Johann Hermann Angott gemietet hatte

Beigesetzt wurde Lessing auf dem Magnif­riedhof an der Stadt­halle. Der Verleger Johann Heinrich Campe ließ 1793 einen einfachen Stein mit Namen und Sterbe­datum setzen. In den folgenden Jahren geriet das Grab in Verges­sen­heit. 1833 entdeckte es  der Privat­ge­lehrte Carl Schiller durch die Hilfe eines Toten­grä­bers wieder. Mitte des 19. Jahrhun­derts entwarf der Bildhauer Ernst Rietschel, dem wir auch die Quadriga auf dem Residenz­schloss verdanken, ein Lessing-Denkmal, das von Georg Howaldt gegossen wurde.

Die 2,60 m große Bronze­figur wurde am heutigen Lessing­platz am 29. September 1853 aufge­stellt, unweit des im Krieg zerstörten Sterbe­hauses. Übrigens handelt es sich bei dem Lessing-Denkmal um das erste mensch­liche Denkmal in unserer Stadt, das älteste überhaupt dürfte der um 1166 aufge­stellte Burglöwe sein. 1874 wurde  das heutige Grabmal Lessings mit einem Relief­por­trät von Friedrich Lilly und Theodor Strümpell aufge­stellt. Lessing wird so angemessen gewürdigt. Er ist einer der größten Söhne unserer Stadt.

Fotos

Das könnte Sie auch interessieren

  • Vom Rathaus der Altewiek zum Sterbe­haus Lessings

    Vom Rathaus der Altewiek zum Sterbe­haus Lessings

    Verschwundene Kostbarkeiten, Teil 7: Das 1395 erstmals genannte Altewiekrathaus ist durch Zeichnungen des Kupferstechers Anton August Beck in seinem Zustand um 1750 bildlich überliefert. Es zeigte sich als pittoresker, weitgehend aus Fachwerk errichteter Baukomplex. Weiterlesen

  • Wie ein Lindwurm – die Gülden­straße

    Wie ein Lindwurm – die Gülden­straße

    Verschwundene Kostbarkeiten, Teil 22: Möglicherweise war im 13. Jahrhundert dort das Goldschmiedehandwerk. Weiterlesen

  • Preußi­sche Strenge und Liebe zur Kultur

    Preußi­sche Strenge und Liebe zur Kultur

    Folge 7 der Reihe „Schick­sale am einstigen Braun­schweiger Hof“: Philip­pine Charlotte. 1716 geboren und 1801 verstorben – Philip­pine Charlotte erreichte ein für ihre Zeit sehr hohes Alter. Sie gehört zu den bekann­testen braun­schwei­gi­schen Herzo­ginnen. Am 13. März jährt sich ihr Geburtstag zum 300. Mal. Philip­pine Charlotte wurde als siebtes der insgesamt vierzehn Kinder des preußi­schen… Weiterlesen