Startseite Heimat & Identität Die Erfinder des weißen Sparge...

Die Erfinder des weißen Spargels

Der weiße Spargel wurde in Braunschweig „erfunden“. Foto: Knut Bussian
von

Geschichte(n) aus dem Braunschweigischen, Folge 11: Die ersten Anbaugebiete des „Bleichspargels“ lagen auf den Sandflächen des Langen Kamps, Am Bülten und im Gebiet des heutigen Siegfriedviertels.

Eine Besonderheit beim hiesigen Spargel gilt es zu Saisonbeginn herauszustreichen, denn Braunschweig hat historisch betrachtet eine kulinarische Vorreiterrolle eingenommen und dafür gesorgt, dass das edle Gemüse weiß verzehrt wird. Während in der Frühzeit stets der Grünspargel angebaut wurde, den man in weiten Teilen Deutschlands noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts bevorzugte, baute man in Braunschweig den weißen Spargel an, den sogenannten „Bleichspargel“, dessen Geschmack wesentlich besser war und der sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland auch allgemein durchsetzte. Ausgangspunkt dieser „Entdeckung“ war einer Erzählung nach ein Bauer im Bereich der heutigen Siegfriedstraße.

Der Sage nach hatte er eines morgens keine Zeit für die Ernte gefunden und deshalb das Gemüse mit Erde bedeckt, damit niemand etwas merkte. Groß war die Verblüffung am nächsten Tag, als der Spargel nach dem Freilegen ganz „blaich“ war, dick und saftig und obendrein auch noch viel besser als der dünne grüne Spargel schmeckte. Die Braunschweiger Bauern sollen daraufhin alle begonnen haben, über den Wurzelstöcken Hügelbeete aufzuhäufen und den Spargel zu stechen, bevor er durch die Erde herauswuchs und vollständig dem Tageslicht ausgesetzt war – damit war allgemein der weiße Spargel „erfunden“.

Noch im 17. und 18. Jahrhundert blieb Spargel aber ein eher seltenes Gemüse, das nur allmählich für das Bürgertum erschwinglich und auf den Märkten der großen Städte angeboten wurde. 1775 findet sich in einer Statistik des Herzogtums der erste Hinweis auf den Beginn des agrarmäßigen Anbaus, jedoch nur mit einem Spargelfeld. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Spargelanbau in Braunschweig und seinem Umland dann schon relativ weit verbreitet. Zunächst handelte es sich nach wie vor um gärtnerischen Anbau, aus dem sich erst allmählich der feldfruchtmäßige Anbau entwickelte. Die ersten Anbaugebiete lagen auf den Sandflächen des Langen Kamps, Am Bülten und im Gebiet des heutigen Siegfriedviertels. Später breitete sich der Spargelanbau weiter nach Norden bis in die Kreise von Gifhorn und Peine aus.

Die Vermutung, dass reformierte Pfälzer Kolonisten, die Mitte des 18. Jahrhunderts durch Zusicherung religiöser und wirtschaftlicher Privilegien von Herzog Carl I. nach Veltenhof geholt wurden, auch das „Know How“ vom Spargelanbau mitbrachten, ist nicht nachzuweisen. Sie bemühten sich vielmehr, Tabak und Wein anzubauen und Essig herzustellen, jedoch ohne Erfolg. Dank der Marketingstrategie der Region Mannheim/Schwetzingen heißt es bis heute oft, dort liege das traditionsreichste und größte Spargelanbaugebiet in Deutschland. Dies trifft allerdings nicht zu, denn tatsächlich ist dies das Braunschweiger Land mit seinen idealen Sandböden.

Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert bildeten sich im Zuge der Verkehrserschließung durch die Eisenbahn überregionale Märkte, die eine Ausweitung der Spargelproduktion lohnend machten. Der Spargel konnte nun in größeren Mengen abgesetzt werden und gelangte vor allem auch schnell auf entfernter gelegene Märkte. Man ging daher zum feldmäßigen Anbau über und entwickelte Spezialgeräte, um die Felder rationeller bewirtschaften zu können.
Erneut war Braunschweig Vorreiter: Die Konservenindustrie entdeckte Spargel als Rohware und legte eigene Spargelfelder an: spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Spargelproduktion zu einem echten Wirtschaftsfaktor geworden. Die erste Spargelkonserve entstand in Braunschweig, und zwar um 1840. Die landwirtschaftliche Spezialliteratur widmete seit dieser Zeit den Problemen des Anbaus von Spargel eigene Abhandlungen, und die Bauern in Gebieten mit sonst unbrauchbaren Sandböden versprachen sich neue Einnahmequellen durch Spargelanbau.

Doch mit dem Anbau alleine ist die Erfolgsgeschichte des Braunschweiger Spargels noch längst nicht zu Ende. Eine Idee des Franzosen Apert aus dem Jahr 1804, zur Konservierung von Lebensmitteln, gelangte in der Zeit des Königreiches Westphalen nach Braunschweig und fand in der Folgezeit ideenreiche Entwickler bis hin zur Dosenkonservierung für den entfernt liegenden Export. Bereits um 1840 gab es erste Konservenfabriken und entsprechende Versuche zur Spargelkonservierung. Professor Varrentrapp, Chemiker am Collegium Carolinum, unternahm diese Versuche und regte die Klempnermeister Pillmann und Daubert erfolgreich zur Dosenherstellung an.

1861 pachtete der Konservenfabrikant Gustav Grahe einige Morgen Land vor Braunschweig, um Spargel anzubauen und zu konservieren. Er forderte auch die Gärtner und Landwirte der Region zur „feldmäßigen Anlage von Spargel“ auf und verpflichtete sich zur Abnahme der Ernte, was einen enormen Aufschwung des Spargelanbaus zur Folge hatte. In den ersten Jahren wurde mit eher handwerklichen Produktionsmethoden gearbeitet. Durch den Einsatz von Dampfmaschinen und modernen Fertigungsanlagen entstand aber bald ein fabrikmäßiges Unternehmen.

Spargelanbau und Entwicklung der Dosenindustrie standen in Braunschweig im 19. Jahrhundert in ursächlichem Zusammenhang. Die Qualität und die Menge des angebauten Gemüses machten Braunschweig schließlich zum Zentrum der Konservenindustrie des Deutschen Reiches, das erst nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich seine Bedeutung verlor.

Ein Beispiel der frühen Entwicklung mag die Dimension und wirtschaftliche Bedeutung unterstreichen. Die Firma von Max Koch (1852 – 1923) in der Bertramstraße konservierte nach 1880 jährlich etwa 15 000 Zentner Spargel in drei Millionen Dosen oder Gläsern und exportierte weltweit, u.a. nach Manila, Montevideo, Kapstadt und an Schiffe auf allen Weltmeeren. Was im Spätmittelalter als braunschweigischer globaler Exportschlager die Mumme war, wurde nun die Spargelkonserve. Bald schlossen sich zahlreiche Landbesitzer zu einer Spargelbau-Aktiengesellschaft zusammen, die z.B. auf den Feldern um Braunschweig 1891 eine halbe Million Pfund (5000 Z.) Spargel erntete, wovon 350 000 Pfund (3500 Z.) in den Export gelangten. Dies bedeutete Globalisierung des Spargelmarktes, und Braunschweig bildete das Zentrum.

1895 begann schließlich Johann Andreas Schmalbauch mit der Konservierung von Spargel in Braunschweig. Er hatte zunächst die benötigten Dosen von dem Klempnermeister Franz Becker bezogen, dessen Firma er 1898 übernahm. 1913 wurde aus Marketinggründen der Familienname in Schmalbach geändert. Das zunächst als Konservenfabrik gegründete Unternehmen Schmalbauchs wurde später zum größten Verpackungsmittelhersteller Deutschlands.

Bilboard 2 (994x118 px)