Ein Hotspot deutsch-jüdischer Kultur

Seesen, Jacobsonschule um 1899. Foto: Archiv Jacobson Gymnasium Seesen
Seesen, Jacobsonschule um 1899. Foto: Archiv Jacobson Gymnasium Seesen

Rund 30 Insti­tu­tionen und Privat­per­sonen koope­rieren im Israel Jacobson Netzwerk für jüdische Kultur und Geschichte (IJN).

„Das Land Braun­schweig war seit der Aufklä­rung eine Muster­re­gion deutsch-jüdischer Kultur“, erklärt Prof. Alexander von Kienlin, Leiter der Bet Tfila – Forschungs­stelle für jüdische Archi­tektur in Europa und des Instituts für Bauge­schichte der Techni­schen Univer­sität Braun­schweig. Um das in vielen Aspekten noch unbekannte Thema fundiert aufzu­ar­beiten, wurde im April 2016 unter Betei­li­gung der TU Braun­schweig und der Allianz für die Region das Israel Jacobson Netzwerk für jüdische Kultur und Geschichte (IJN) ins Leben gerufen. Rund 30 Netzwerk­partner aus den Bereichen Forschung, Sammlung, Vermitt­lung, Bildung, Politik und Verwal­tung werden mit Hilfe von Forschungs­pro­jekten die Erinne­rungen an das aufge­klärte, liberale deutsche Judentum im Braun­schweiger Land wachhalten.

Der promi­nen­teste Koope­ra­ti­ons­partner ist das Leo Baeck Institut in New York. Das Institut mit Weltruhm sammelt seit 1955 in den drei Teilin­sti­tuten – in den Zentren jüdischer Emigra­tion – in Jerusalem, London und New York City Lebens­er­in­ne­rungen, Akten und Dokumente über die Geschichte und Kultur des deutsch­spra­chigen Judentums. Viele mittler­weile digita­li­sierte Unter­lagen exilierter Juden lagern beim Leo Baeck Institut, darunter auch Nachlässe von Emigranten aus Braun­schweig, Seesen, Wolfen­büttel und anderen Orten unserer Region.

Mit dem renom­mierten ameri­ka­ni­schen Forschungs­in­stitut verab­re­dete das IJN gleich beim Start zahlreiche Projekte. Zwei Ausstel­lungen zum Thema sollen in Deutsch­land und den USA erarbeitet und gezeigt werden. „Während das Forschungs­thema in unseren Landen häufig ein unbekanntes Phänomen ist, bewerten die Juden in den USA unsere Region schon lange als einen der Hotspots des weltweiten Reform­ju­den­tums“, betont Prof. Alexander von Kienlin. Ziel sei der Aufbau eines „Wissens­spei­chers“ zu der Thematik.

Welchen Stellen­wert das schon jetzt national und inter­na­tional vielbe­ach­tete Projekt besitzt, beweist der Besuch von Dr. Felix Klein, Sonder­be­auf­tragter der Bundes­re­gie­rung für die Bezie­hungen zu jüdischen Organi­sa­tionen und Antise­mi­tis­mus­fragen, in der Region. Nur wenige Tage nach der IJN-Gründung im April dieses Jahres besich­tigte der Botschafter des Auswär­tigen Amtes die Erinne­rungs­stätte für die Zwangs­ar­beiter auf dem Gelände des Volks­wagen Werkes in Wolfsburg. Im Anschluss besuchte Dr. Klein, der die diplo­ma­ti­sche Abstim­mung mit natio­nalen und inter­na­tio­nalen jüdischen Organi­sa­tionen begleiten wird, das Lessing­haus und die berühmte Herzog August Biblio­thek in Wolfen­büttel. Histo­ri­sche Orte: Dort trafen sich der jüdische Aufklärer und Philosoph Moses Mendels­sohn und der in Wolfen­büttel als Biblio­thekar arbei­tende Gotthold Ephraim Lessing. In seinem Arbeits­zimmer im Lessing­haus schuf Lessing das Werk „Nathan der Weise“, ein Schlüs­sel­do­ku­ment aufge­klärter Toleranz.

Woher stammt der Name für das Netzwerk? Einer der führenden Köpfe der jüdischen Reform­be­we­gung war der Bankier des Braun­schweiger Herzogs, Israel Jacobson. Er gründete in Seesen die Jacob­son­schule, eine jüdische Freischule, die auch christ­liche Kinder besuchen durften. In der von Jacobson erbauten Synagoge wurde die Liturgie auch auf Deutsch gespro­chen, darüber hinaus existierte eine Orgel. Jacobsons „Tempel“ gilt als die „Mutter-Synagoge“ aller jüdischen Reform­ge­meinden. Das Ziel der jüdischen Aufklä­rung verfolgte auch die in den 1780er Jahren gegrün­dete Wolfen­büt­teler Samson-Schule, bis sie in der Weltwirt­schafts­krise 1929 aufgrund finan­zi­eller Probleme die Pforten schloss. Die ehema­ligen jüdisch-christ­li­chen Reform­schulen in Wolfen­büttel und Seesen und die Ende des 19. Jahrhun­derts erbauten Synagogen in Braun­schweig und Wolfen­büttel sind Symbole jüdischer Integra­ti­ons­leis­tung in die nicht­jü­di­sche Gesell­schaft.

In der Region Braun­schweig wurden im Rahmen des Israel Jacobson Netzwerks erste Forschungs­pro­jekte auf den Weg gebracht. Beispiel: Im Stadt­ar­chiv Hornburg liegen große Teile der dortigen ehema­ligen jüdischen Gemeinde. Ein wertvoller Schatz, denn die meisten jüdischen Gemein­de­ar­chive wurden bei der „Reichs­po­grom­nacht“ im November 1938 durch die Natio­nal­so­zia­listen gezielt vernichtet. Jetzt sollen die Schriften in Zusam­men­ar­beit mit der Hornburger Archiv­lei­terin Dr. Sybille Heise transkri­biert werden. Große Teile der Synagogen-Einrich­tung kamen bereits 1923 in das damalige „Vater­län­di­sche Museum“, das heutige Braun­schwei­gi­sche Landes­mu­seum. Wie durch ein Wunder überlebte das einmalige Zeugnis jüdischer Religion und Kultur unbeschadet die zwölf Jahre des NS-Terrors.

Am. 6. April 2016 hat sich der Verein Israel Jacobson Netzwerk gegründet, dessen Präsident Prof. Dr. Alexander von Kienlin Leiter der Bet Tfila – Forschungs­stelle für jüdische Archi­tektur ist. Die Bet Tfila wurde vor mehr als 20 Jahren gegründet und u.a. auch von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz sowie einige Male von der Braun­schwei­gi­schen Stiftung gefördert. Seit 1994 dokumen­tiert und erforscht die Braun­schweiger Forschungs­stelle, die aktuell über drei haupt­amt­liche Projekt­mit­ar­beiter verfügt, jüdische Ritual­bauten in Nieder­sachsen und anderen Bundes­län­dern. Sie koope­riert dabei eng mit ihrem Partner­institut, dem Center for Jewish Art an der Hebräi­schen Univer­sität Jerusalem.

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