Eine versteckte Kostbar­keit im Dom

Die Passionssäule und die Figur des leidenden Jesus im Braunschweiger Dom: Foto: meyermedia
Die Passionssäule und die Figur des leidenden Jesus im Braunschweiger Dom: Foto: meyermedia

Braun­schweigs skurrile Ecken und andere Merkwür­dig­keiten, Folge 30: Passi­ons­säule mit Schweiß­tuch.

Der Marien­altar (1188), der sieben­ar­mige Leuchter (um 1170/80), das Imervard­kreuz, (zweite Hälfte 12. Jahrhun­dert), kunst­volle Wandma­le­reien sowie das Grabmal von Heinrich dem Löwen und Mathilde machen den Dom St. Blasii zur wohl bedeu­tendsten Sehens­wür­dig­keit der Stadt. Nach einer Umfrage des Nachrich­ten­ma­ga­zins „idea” (ideaSpek­trum 29/39.2013), so ist auf der Homepage der Stadt zu lesen, steht der Braun­schweiger Dom auf dem achten Platz der bestbe­suchten evange­li­schen Kirchen in Deutsch­land. Rund 325.000 Besucher kommen jährlich in die Kirche. Und doch gibt es ein Kunstwerk, das ein Schat­ten­da­sein führt:  die Passi­ons­säule mit Schweiß­tuch.

Dabei ist sie ein beson­deres Beispiel deutscher Bildhau­er­kunst zum Ende des 15. Jahrhun­derts. Aller­dings präsen­tiert sich die Säule nicht dem flüch­tigen Blick eines Besuchers, denn sie steht in der Apsis neben dem Aufgang zum Chor auf der südlichen Seite des Domes an der hinteren Wand. Und vor der Säule sitzt der leidende Christus, auch „Christus in der Rast“ genannt.

Was ist darge­stellt worden? Dazu gibt das Evange­lium des Matthäus Hinweise. Jesus wird nach Geißelung vor der Staup­säule gezeigt, die Dornen­krone wurde ihm bereits aufge­setzt, er hat große Schmerzen erlitten und wurde ernied­rigt. In der Hand hält er ein Bündel Rohre, mit dem er zuvor ausge­peitscht wurde – zur weiteren Verun­glimp­fung wurde es ihm wie ein Zepter in den Arm gelegt. Christus stützt seinen Kopf in die rechte Hand und richtet den Blick in die Ferne. Doch mit dieser Darstel­lung der Leiden Christi, die man dem Bildhauer Hans Witten von Cöln zuschreibt, ist die Marter- oder Passi­ons­säule eng verbunden, denn dort findet der Betrachter viele Bezüge zum im Neuen Testament beschrie­benen Geschichte.

Gekrönt wird die Säule von einem Hahn, dem Symbol der Verleug­nung durch Petrus. Ein passendes Gegen­stück dazu findet sich in den Palmwe­deln am Fuß der Säule. Vom trium­phalen Einzug in Jerusalem zur Gefan­gen­nahme im Garten Gethse­mane finden sich Hinweise mit der Darstel­lung einer Lampe und dem Schwert des Petrus samt abgeschla­genem Ohr.

Sehr deutlich ist der weitere Leidensweg vorge­zeichnet, denn etwa in der Mitte der Säule findet sich ein großes Schweiß­tuch mit dem Gesicht Christi. Nach der Legende hatte ihm Veronika das Tuch gereicht, auf dem sich dann das Abbild seines leidenden Gesichtes fand.

Braun­schweig und der Dom dürfen sich glücklich schätzen, dass beide Werke zusammen erhalten geblieben sind. Das ist sehr selten der Fall. Auf den mutmaß­li­chen Bildhauer kam man durch Vergleiche mit Werken, die er für andere Kirchen schuf, so zum Beispiel Maria als Himmels­kö­nigin und die Heilige Anna selbdritt (das bedeutet: Anna, Mutter Marias, dazu Maria mit dem Chris­tus­kind) an der Kanzel, die sich jetzt in St. Aegidien befindet, sowie der Pieta in der St. Jakobi­kirche von Goslar.

Die spätmit­tel­al­ter­liche Darstel­lung der Leiden Christi im Braun­schweiger Dom ist eine Beson­der­heit, die viel zu wenig Beachtung finden. Der leidende, ausge­peitschte Christus wurde zwar schon im 10. Jahrhun­dert bildlich darge­stellt. Eine „Leidens­säule“ wird aller­dings in den Evange­lien nicht erwähnt, eine frühe Mittei­lung darüber findet sich erst etwa um 1300:

„Dann zogen sich die Ältesten zurück und ließen ihn in einen Kerker bringen, der unter der Erde lag, und dessen Reste heute noch sichtbar sind. Dort wurde er an eine Stein­säule gebunden, von der heute noch ein Stumpf steht, wie ich von einem Mitbruder erfuhr, der ihn sah. Trotzdem ließ man zur größeren Sicher­heit einige Bewaff­nete zurück, welche ihn die ganze Nacht noch vollends mit Spott­reden und Verwün­schungen quälten. … So beschimpften sie ihn, bald der eine, bald der andere, die ganze Nacht durch Worte und Taten […] So stand er aufrecht an die Säule gebunden bis am Morgen.“ (Johannes de Caulibus: Medita­tiones vitae Chris­tiKap. 70. Kap./nach RDK / Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Gei%C3%9Fels%C3%A4ule)

Die ersten Darstel­lungen einer solchen Säule durch Bildhauer finden sich zu Beginn des 15. Jahrhun­derts. Ein „Schmer­zens­mann“, der Christus mit seinen Wunden, aber noch lebend und nicht am Kreuz, darstellt, kam als Darstel­lung im 12. Jahrhun­dert in Byzanz auf. Das Schweiß­tuch mit dem Gesicht des Leidenden findet sich unter anderem auch auf einer Passi­ons­säule in St. Martinus in Ahaus-Wessum, Bistum Minden, datiert auf den Anfang des 16. Jahrhun­derts.

Wir können also mit Recht sagen, dass unser Dom zwei sehr frühe und auffal­lende Darstel­lungen aus der Passi­ons­ge­schichte besitzt. Sie sollten ein wenig mehr in das Bewusst­sein der Besucher treten.

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