Große Hoffnung, noch größere Enttäu­schung

Karl II., 20 Jahre nach seiner (zweiten) Flucht aus Braunschweig, Marmor, 1850, zu sehen in der Dauerausstellung des Schlossmuseums Braunschweig.
Karl II., 20 Jahre nach seiner (zweiten) Flucht aus Braunschweig, Marmor, 1850, zu sehen in der Dauerausstellung des Schlossmuseums Braunschweig.

Folge 2 der Reihe „Schick­sale am einstigen Braun­schweiger Hof“: Im September 1830 vertrieb die Braun­schweiger Bevöl­ke­rung Karl II. Herzog von Braun­schweig als verhassten „Diamant­herzog“. Bei seiner Geburt im Oktober 1804 war er begeis­tert als Hoffnung des Herzog­tums gefeiert worden. Was war in der Zwischen­zeit passiert? Waren die Erwar­tungen zu hoch?

Blickt man zurück ins Jahr 1804, wird die große Freude über Karls Geburt verständ­lich: nachdem die drei älteren Brüder seines Vaters Friedrich Wilhelm kinderlos geblieben waren, hatte man schon das Aussterben der Linie des Neuen Hauses Braun­schweig befürchtet. Im Alter von 33 Jahren galt auch Friedrich Wilhelm in der damaligen Zeit nicht mehr als junger Mann. Als schließ­lich seine Frau Marie schwanger wurde, fieberte man daher der Geburt entgegen und war begeis­tert als ein Sohn zur Welt kam.

Karl konnte das Wohlwollen der Bevöl­ke­rung und die Fürsorge seiner Mutter jedoch nur kurze Zeit unein­ge­schränkt genießen. Kurz vor seinem zweiten Geburtstag im Oktober 1806 befand er sich das erste Mal auf der Flucht. Karl spürte damit die Auswir­kungen der preußi­schen Nieder­lage bei Jena und Auerstedt: Sein Großvater war schwer verwundet und verstarb kurz darauf, sein Vater befand sich in Kriegs­ge­fan­gen­schaft und Braun­schweig wurde von franzö­si­schen Truppen besetzt.

Auf der Flucht

Man kann nur ahnen, welche Eindrücke diese Flucht und der anschlie­ßende Aufent­halt am fremden schwe­di­schen Hof auf Karl machten. Die Trennung vom Vater und auch zeitweise Abwesen­heiten der Mutter waren für eine höfische Kindheit dagegen nicht ungewöhn­lich. Doch auch eine an damaligen Maßstäben gemessene Norma­lität war für Karl mit dem frühen Tod seiner Mutter (im Kindbett nach der Totgeburt eines Mädchens) nicht mehr möglich – er war noch nicht einmal vier Jahre alt.

Ein Famili­en­leben konnte sich nie wieder entwi­ckeln, denn nur ein Jahr später widmete sich Karls Vater Friedrich Wilhelm erneut dem Kampf gegen Napoleon und gründete das Freikorps, das ihn zum „Schwarzen Herzog“ machte. Karl und seinen jüngeren Bruder Wilhelm brachte man über Umwege nach England, wo die beiden zwar zeitweise in der Nähe des Vaters sein konnten, jedoch vorrangig durch wenig sensible Erzieher betreut wurden.

Weniger als ein Jahr waren die Kinder schließ­lich zurück in Braun­schweig, als ihr Vater in der Schlacht bei Quatre-Bras im Juni 1815 ums Leben kam und dem 10jährigen Karl ein Herzogtum hinter­ließ, das dieser kaum kannte. Abgesehen vom Bruder war er allein. In Braun­schweig war niemand mehr, der sich um ihn hätte kümmern können. Weiterhin prägten strenge Erzieher sein Leben, auf deren Erzie­hungs­me­thoden Karl mit Eigensinn und einer Vorliebe für „schlechten Umgang“ reagierte.

Unruhige Jugend

Auch sein Vormund, der spätere Georg IV. von Großbri­tan­nien, der unbeliebt und schwierig war, konnte ihm kein positives Vorbild sein. Karls gesamte Jugend­zeit blieb unruhig: ein Erzie­hungs­auf­ent­halt in der Schweiz, ein Besuch bei der Großmutter in Bruchsal, ein Aufent­halt in Wien…

Der in seinen frühesten Lebens­jahren gefeierte und umsorgte und später allein gelassene Junge entwi­ckelte sich zu einem eigen­sin­nigen, egois­ti­schen Mann, der gern reiste und sich in die Welt des Theaters zurückzog. Wider­sprüch­liche Anord­nungen über den Zeitpunkt der Regie­rungs­über­nahme verär­gerten ihn, und als er schließ­lich seine Rolle hätte einnehmen können, überließ er die Regie­rungs­ge­schäfte nach wie vor anderen.

Er bemühte sich nicht, das Herzogtum besser kennen­zu­lernen, sondern widmete sich statt­dessen ausgie­bigen Auslands­reisen. Was es hieß, Verant­wor­tung zu übernehmen, wusste er nicht und enttäuschte die Braun­schweiger Bevöl­ke­rung, die ihn an seinem 19. Geburtstag 1823 noch immer hoffnungs­voll empfangen hatte, in jeder Hinsicht.

Erbit­tertes Zerwürfnis

Schließ­lich wollte der junge Mann, der mit Ratgebern und Erziehern denkbar schlechte Erfah­rungen gemacht hatte, sich nichts mehr sagen lassen. Er wollte die Regie­rungs­macht ausschließ­lich und allein. Seine Fähig­keiten in dieser Hinsicht hinter­fragte er nicht und beging einen Fehler nach dem anderen: ein erbit­tertes Zerwürfnis mit einem Geheimrat, der die Regierung maßgeb­lich mitge­tragen hatte, brachte auch das König­reich Hannover gegen ihn auf und auf Zuspruch aus der Bevöl­ke­rung des Herzog­tums Braun­schweig konnte er nach der Rücknahme der 1820 beschlos­senen Verfas­sung nicht mehr hoffen.

Zeitge­nossen beschrieben das höfische Leben in Braun­schweig als chaotisch und Familien des Hofadels zogen sich sogar aus der Stadt zurück. Es muss gleich­zeitig erschre­ckend und lächer­lich gewirkt haben, dass Karl derart unnach­giebig und kurzsichtig agierte und gleich­zeitig für sich und seine Lieblings­pro­jekte äußerst großzügig mit den finan­zi­ellen Ressourcen umging. Diese verwen­dete er gern für das Theater, das er prächtig ausbauen ließ und auf dessen Insze­nie­rungen er mit viel Enthu­si­asmus einwirkte. Immerhin wurde dort 1829 Goethes Faust urauf­ge­führt!

Schloss angezündet

Nur ein Jahr später griff man Karls Kutsche auf dem Heimweg vom Theater an. Sein Schloss wurde angezündet und Karl floh nach London. Als einziger deutscher Herrscher des 19. Jahrhun­derts wurde er 1830 durch revolu­tio­näre Ausschrei­tungen abgesetzt. Kein anderer Herrscher kam ihm zur Hilfe und trotzdem erkannte er diese Absetzung nie an.

Karls gut angelegtes Vermögen (1860 besaß er Diamanten im Wert von 15,5 Mio. Franken) ermög­lichten ihm aller­dings ein schil­lerndes Leben in London, Paris und schließ­lich Genf, das vermut­lich viel besser zu ihm passte als die Regent­schaft in Braun­schweig. Dass er als Schach­spieler gegen die Größen seiner Zeit antrat, ist nicht nur eine weitere Anekdote eines außer­ge­wöhn­li­chen Lebens, sondern auch Zeichen für seine Intel­li­genz, die er leider nie für sein Herzogtum einzu­setzen wusste. Er starb 1873 in Genf.

Heute führt nicht zuletzt die Erinne­rung an seinen beliebten Bruder Wilhelm dazu, in Karl nur den charak­ter­schwa­chen Sonder­ling zu sehen und nicht ebenso den unglück­li­chen Menschen, der keinerlei Unter­stüt­zung erfuhr, um die an ihn gestellten hohen Erwar­tungen tatsäch­lich erfüllen zu können.

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