Hölzerne Dachkon­struk­tion von St. Aegidien ist älter als 500 Jahre

Der Dachstuhl von St. Aegidien mit seinen 39 Sparren- bzw. Gefügeachsen. Foto: Elmar Arnhold
Der Dachstuhl von St. Aegidien mit seinen 39 Sparren- bzw. Gefügeachsen. Foto: Elmar Arnhold

Dendro­chro­no­lo­gi­sche Unter­su­chung des Dachwerks über St. Aegidien ergibt Entste­hungs­zeit kurz vor der Refor­ma­tion.

Braun­schweig besitzt eine der größten spätmit­tel­al­ter­li­chen Dachkon­struk­tionen Norddeutsch­lands. Das gewaltige, 18 Meter hohe Dachwerk der Aegidi­en­kirche stellt eine hölzerne Kathe­drale über der steinernen Kirche dar. Die vom Bistum Hildes­heim an das TU-Institut für Holzbau und Baukon­struk­tionen in Auftrag gegebene dendro­chro­no­lo­gi­sche Unter­su­chung (Jahrring­chro­no­logie) ergab, dass die Bauhölzer für das große Hallen­dach zwischen 1512 und 1514 gefällt wurden. Die Hölzer wurden erfah­rungs­gemäß frisch verbaut. Damit ist die Dachkon­struk­tion von St. Aegidien älter als 500 Jahre.

Beein­dru­ckendes Beispiel

Imposanter Blick aus einer Dachluke Richtung Norden mit Rathaus-Turm und St. Katharinen. Foto: Elmar Arnhold
Imposanter Blick aus einer Dachluke Richtung Norden mit Rathaus-Turm und St. Katha­rinen. Foto: Elmar Arnhold

„Mit diesem Hallen­dach besitzt Braun­schweig ein beein­dru­ckendes Beispiel der Zimmer­manns­kunst des späten Mittel­al­ters mit einer großen Bedeutung für die vorin­dus­tri­elle Bautech­nik­ge­schichte“, erläu­terte Bauhis­to­riker Elmar Arnhold (gebautes Erbe). Er war neben Professor Mike Sieder und Dr. Elena Perria vom TU-Institut für Holzbau und Baukon­struk­tionen und Moritz Reinäcker vom TU-Institut für Bauge­schichte an der dendro­chro­no­lo­gi­sche Unter­su­chung beteiligt. Mit der Proben­aus­wer­tung war das Labor für Dendro­chro­no­logie und Gefüge­kunde an der Univer­sität Bamberg betraut.

Die Verzim­me­rung des einheit­li­chen Großdachs von St. Aegidien erfolgte somit mehr als 40 Jahre nach der Schluss­weihe. Mögli­cher­weise existierten bis dahin ältere Dachkon­struk­tionen oder auch Provi­so­rien. Erneue­rungen des Dachs wurden im 18. Jahrhun­dert und nach dem Zweiten Weltkrieg vorge­nommen, weil ein Bomben­treffer einen Teil der Dachkon­struk­tion beschä­digt hatte. Das wesent­lich kleinere Chordach stammt im Ursprung aus den Jahren 1637 bis 1639 und wurde im 18. Jahrhun­dert durch Einbau einer Hänge­kon­struk­tion verändert.

39 einheit­liche Sparren­achsen

Insgesamt handelt es sich um eine der größten und bedeu­tendsten Konstruk­tionen dieser Art in Norddeutsch­land. Die Dachkon­struk­tion ist vom Westgiebel bis zum Choran­satz mit 39 Sparren­achsen einheit­lich und weist somit auf eine Errich­tung in einer einzigen Baupe­riode hin. Es handelt sich um den spätmit­tel­al­ter­li­chen Konstruk­ti­onstyp eines „Aufge­stän­derten Dachwerks“, bei dem das Grund­ge­rüst aus gewal­tigen Ständer­reihen mit Balken­lage besteht, an denen die Seiten­dä­cher anlehnen und der obere Teil der Dachkon­struk­tion aufge­setzt ist.

Innenansicht St. Aegidien. Foto: Elmar Arnhold
Innen­an­sicht St. Aegidien. Foto: Elmar Arnhold

Die gotische Aegidi­en­kirche wurde nach einem Stadt­brand, der den romani­schen Vorgän­gerbau des 1115 gegrün­deten Aegidi­en­klos­ters zerstörte, im Jahr 1278 mit dem Chor im Osten neu begonnen. Dieser ist in verein­fachter Weise nach den großen Vorbil­dern aus der franzö­si­schen Kathe­dral­gotik entworfen und zeigt sich als Basilika mit hohem Haupt­schiff und niedrigem Seiten­um­gang. Auf den Chor folgt das Querhaus mit seiner Schau­fas­sade zum Aegidi­en­markt.

Bauge­schichte geklärt

An Stelle eines Weiter­baus der Basilika nach Westen folgte um 1300 ein Planwechsel: Das Langhaus wurde im frühen 14. Jahrhun­dert als Hallen­kirche mit drei gleich hohen Schiffen weiter­ge­führt. Dies geschah in zwei Schritten mit einer Bauun­ter­bre­chung von fast hundert Jahren: Das Kirchen­schiff wurde erst 1478 geweiht, die Westtürme indessen nie fertig­ge­stellt. Über der Hallen­kirche erhebt sich das riesige Dachwerk, dessen Bauge­schichte nun weitge­hend anhand der Bauauf­nahme und der dendro­chro­no­lo­gi­schen Unter­su­chung geklärt werden konnte.

Fakten

Das Romani­sche Aegidi­en­kloster

Am 1. September 1115 gründete die bruno­ni­sche Markgräfin Gertrud die Jüngere im Süden der heutigen Innen­stadt Braun­schweigs ein Benedik­ti­ner­kloster zu Ehren der Mutter­gottes Maria. Anwesend waren ihr Schwie­ger­sohn, der spätere Kaiser Lothar III. von Süpplin­gen­burg, der Halber­städter Bischof Reinhard, ein römischer Legat und weitere hochge­stellte Geist­liche. Schon im 12. Jahrhun­dert avancierte der Heilige Aegidius zum Haupt­pa­tron des Klosters, nach 1200 kam der Braun­schweiger Stadt­hei­lige St. Auctor hinzu. Die Kloster­an­lage entstand auf dem Köpfeberg, der höchsten Erhebung über die Okernie­de­rung in weitem Umkreis. Das Areal und seine Umgebung waren zu Beginn des 12. Jahrhun­derts noch unbesie­delt. Die ersten Gebäude des neu gegrün­deten Klosters sind als provi­so­ri­sche Fachwerk­bauten zu denken. Die romani­sche Kloster­kirche aus der 1. Hälfte des 12. Jahrhun­derts wurde nach dem großen Stadt­brand von 1278 vollständig beseitigt und durch den heute noch existie­renden Sakralbau ersetzt. (aus Mittel­al­ter­liche Metropole Braun­schweig. Archi­tektur und Stadt­bau­kunst vom 11. bis 15 Jahrhun­dert von Elmar Arnhold).

Blick auf die Dächer von St. Aegidien. Foto: Elmar Arnhold
Blick auf die Dächer von St. Aegidien. Foto: Elmar Arnhold

Mehr unter: www.der-loewe.info/leser-werden-zu-braunschweig-fans

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