In Braun­schweig brannten Bücher schon vor 1933

Bücherverbrennung auf dem Ackerhof am 9. März 1933. Repro: IBR
Bücherverbrennung auf dem Ackerhof am 9. März 1933. Repro: IBR

Geschichte(n) aus dem Braun­schwei­gi­schen, Folge 23: Am 22. März 1930 zog der „Schund­karren“ durch die Stadt.

Am 9. März 1933 brannte auf dem Ackerhof in Braun­schweig ein Schei­ter­haufen, der mit Akten, Büchern, Fahnen, Zeitungen und Flugblät­tern den Kampf der Natio­nal­so­zia­listen gegen Anders­den­kende in seiner ganzen Bruta­lität zum Ausdruck brachte. S

elbst vor Mord waren die Nazi-Schergen beim voran­ge­gan­genen Sturm auf das Volks­freund­haus in der Schloß­straße 8 nicht zurück­ge­schreckt. Ihr Ziel war, die politi­schen Gegner der Sozial­de­mo­kratie und Gewerk­schaften zu vernichten, den Volks­freund Verlag als geistigen Träger sozia­lis­ti­schen Gedan­ken­guts seiner Wirkung zu berauben und die Erinne­rung im „Gedächtnis der Bücher“ zu löschen. Am 10. Mai 1933 brannten dann auf dem Braun­schweiger Schloß­platz die Bücher bei jener Aktion der Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutschen Studen­ten­schaft, bei der sich Heinrich Heines Vision in erschre­ckender Realität zu erfüllen begann: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen.“

„Jugend und Buch“

Doch 1933 war keines­wegs der Anfang der Bücher­ver­bren­nungen im natio­nal­so­zia­lis­tisch dominierten Braun­schweig. Bereits am 22. März 1930 am „Tag des Buches“, den der Börsen­verein des Buchhan­dels unter dem Motto „Jugend und Buch“ veran­stal­tete, hatte man sich in Braun­schweig eine besonders „volks­tüm­liche“ Variante der Veran­stal­tung einfallen lassen. Organi­siert von Jugend­bünden, Verbänden, Buchhand­lungen und Verlagen in Braun­schweig wurden „Das gute Buch“ beworben und „Schund­li­te­ratur“ bekämpft. Der bekannte und beliebte Schau­spieler Hermann Mesmer (1869–1953) als Symbol­figur Till Eulen­spiegel war Schirm­herr.

Er fuhr mit einem „Schund­karren“ durch die Stadt, auf den die Bevöl­ke­rung „mit Begeis­te­rung“ alle „zur Säuberung ihrer Buchre­gale“ gesam­melte „Schund­li­te­ratur“, „alles was nur einen Anschein von Schund hatte“ warf. Auch aus den Buchhand­lungen wurde er reichlich gefüllt. Die gesam­melten Bücher wurden am Abend bei einem Volksfest auf dem Schloß­platz – von Till Eulen­spiegel mit fröhli­chen Sprüchen begleitet – aufge­schichtet und schließ­lich angezündet.

„Unter einem günstigen Stern“

„Der Tag des Buches stand in Braun­schweig unter einem günstigen Stern. Auch die kleinen unfreund­li­chen Wetter­un­ter­bre­chungen am Sonnabend­nach­mittag vermochten den guten Gesamt­ein­druck nicht zu stören und die Kinder und Erwach­senen nicht vom Schloß­platze zu verdrängen. Als dann die abend­li­chen Haupt­ver­an­stal­tungen durch­ge­führt wurden, lachte wieder ein wolken­loser Himmel … Abends wurde auf dem Schloß­platze der große Schei­ter­haufen errichtet. Herrmann Mesmer als Eulen­spiegel ließ alle bösen Geister in schlechten Büchern den Feuertod sterben. Die ganze Bevöl­ke­rung Braun­schweigs nahm Anteil an diesem wirklich volks­tüm­lich durch­ge­führten Tag des Buches. Hoffent­lich wirken sich die Eindrücke, die vermit­telt wurden, auch für die Zukunft segen­brin­gend aus“, berich­tete Braun­schweiger Allge­meine Anzeiger am 24. März 1930.

Ein „Ketzer­ge­richt“ als „Schwur zur Reinheit“, ein „Treuge­löbnis für die deutsche Zukunft“ hatte als Bücher­ver­bren­nung in Deutsch­land erstmals am 22. März 1930, dem „Tag des Buches“ an Goethes Todestag auf dem Schloß­platz in Braun­schweig statt­ge­funden. Dabei erinnert man sich unwill­kür­lich an Goethes Notiz im vierten Buch des ersten Teils von „Dichtung und Wahrheit“, wo er berichtet, wie er als junger Mensch in Frankfurt „Zeuge von verschie­denen Exeku­tionen“ sein musste, und, so stellte er fest, „es ist wohl wert zu gedenken, dass ich auch bei Verbren­nung eines Buches gegen­wärtig gewesen bin. (…) Es hatte wirklich etwas Fürch­ter­li­ches, eine Strafe an einem leblosen Wesen ausgeübt zu sehen“. Wie zuvor Heine und Shake­speare assozi­ierte Goethe die Vernich­tung von Buch und Mensch.

Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel ist Gründungs­di­rektor des Instituts für Braun­schwei­gi­sche Regio­nal­ge­schichte und Geschichts­ver­mitt­lung an der TU Braun­schweig.

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