Die Avant­garde im Abstell­raum

Letzte Arbeiten an der Ausstellung im Schlossmuseum. Foto: Andreas Greiner-Napp
Letzte Arbeiten an der Ausstellung im Schlossmuseum. Foto: Andreas Greiner-Napp

Mit seiner neuen Sonder­aus­stel­lung über die „Gesell­schaft der Freunde junger Kunst“ beleuchtet das Schloss­mu­seum Braun­schweig einen bisher wenig beach­teten Aspekt der Schloss­ge­schichte.

„Braun­schweig ist eine ruhige und schöne Stadt, eine Kunst­stadt ist es nicht“, stellte die Braun­schwei­gi­sche Landes­zei­tung 1919 fest. Die wenigen Ausstel­lungen moderner Kunst stießen bei den Braun­schwei­gern überwie­gend auf Ablehnung und Skepsis. Das seien „ganz blödsin­nige Bilder“, meinte ein Beamter. 

Auch in den Braun­schweiger Museen fanden sich kaum Werke der Moderne und als das Herzogs­paar Ernst August und Victoria Luise 1913 in das Braun­schweiger Schloss zog, richteten sie sich überwie­gend tradi­tio­nell ein.

Otto Ralfs – Kunst­sammler und Mäzen

Braun­schweig war kultu­relle Provinz, bis mit der Gesell­schaft der Freunde junger Kunst die Avant­garde in der Stadt kam. Gründer und Kopf der Gruppe war Otto Ralfs. Die Tätigkeit in der Eisen­wa­ren­hand­lung des Vaters erlaubte Ralfs, viel Zeit und Geld in die Kunst zu inves­tieren. Trotzdem blieb sie immer nur Hobby und Leiden­schaft für ihn. Bei einem Besuch der Bauhaus­aus­stel­lung in Weimar lernte er Paul Klee kennen und begeis­terte sich für die moderne Kunst. 1924 bekam Ralfs das Angebot von Kurt Schwit­ters, Kunst gegen Hausrat und Küchen­ge­räte zu tauschen. So wuchs seine Sammlung durch private Kontakte und persön­liche Bezie­hungen. Das Netzwerk nutzte er auch, um Ausstel­lungen in Braun­schweig zu organi­sieren.

Die Avant­garde im Abstell­raum

1924 organi­sierte Otto Ralf mit Gleich­ge­sinnten eine erste Ausstel­lung mit Werken moderner Kunst in Braun­schweig im Landes­mu­seum, dem heutigen Herzog Anton Ulrich-Museum. Doch das Museum war bald nicht mehr bereit, den Lichthof dafür zur Verfügung zu stellen. Ralfs stellte schließ­lich einen Antrag auf Nutzung eines „Vorrats­raumes“ im Schloss, der schließ­lich genehmigt wurde und in dem in den folgenden Jahren zahlreiche Ausstel­lungen statt­fanden. „Wir erzählen also Schloss­ge­schichte und deshalb passt die Ausstel­lung auch genau ins Schloss­mu­seum“, erklärt Dr. Ulrike Sbresny, Leiterin des Schloss­mu­seums. „Die Gesell­schaft musste den Raum auch selbst renovieren und übernahm teilweise alte Möbel des Schlosses zur Einrich­tung.“ Und sie klagte über die schlechte Erreich­bar­keit des Raumes, die Besucher mussten mühsam über eine dunkle und glatte Eisen­treppe in den zweiten Stock steigen.

Moderne Kunst in Braun­schweig

Paul Klee, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky, Paula Modersohn-Becker, Gabriele Münter, Emil Nolde – die Liste der ausge­stellten Künstler liest sich heute wie das who is who der klassi­schen Moderne. „Für die Menschen vor rund 100 Jahren war das anders, die Kunst war neu, radikal und ein enormer Gegensatz zu dem, was man kannte“, gibt Ulrike Sbresny zu bedenken. Die Ausstel­lung versucht, diese Wider­sprüche deutlich zu machen und so bilden die Fürsten­por­träts und Landschafts­dar­stel­lungen im Weißen Saal im Schloss­mu­seum einen passenden Kontrast zu der Archi­tektur der Sonder­aus­stel­lung, die sich an dem Stil des Bauhauses orien­tiert. Die aktuelle Ausstel­lung zeigt Werke, die entweder für die Ausstel­lungen der Gesell­schaft in Braun­schweig waren oder gezeigt worden sein könnten. „Wir wollen einen Eindruck von der Qualität und der Fülle geben, die damals im Schloss zu sehen war. Denn die Gesell­schaft und ihre Aktivi­täten haben die Aufmerk­sam­keit verdient“, erklärt Ulrike Sbresny. Im Sonder­aus­stel­lungs­raum bieten Künst­ler­karten und Selbst­por­träts die Möglich­keit, mehr zu den Biogra­fien der Künst­le­rinnen und Künstler zu erfahren.

Das Ende der Gesell­schaft

Mit dem wachsenden Einfluss der Natio­nal­so­zia­listen auf Politik und Gesell­schaft in Braun­schweig nahm die Ausstel­lungs­tä­tig­keit der „Gesell­schaft der Freunde junger Kunst“ deutlich ab, im März 1933 lud die Gesell­schaft noch einmal zu einer Ausstel­lung. Doch die Natio­nal­so­zia­listen verur­teilten die Kunst­werke und kündigten der Gesell­schaft schließ­lich ihren Ausstel­lungs­raum im Schloss. Nach der Macht­über­nahme der Natio­nal­so­zia­listen im Reich am 30. Januar 1933 sahen sie keinen Handlungs­spiel­raum mehr, moderne, von den Natio­nal­so­zia­listen als „entartet“ diffa­mierte Kunst zu zeigen und zu besitzen. „In den Beschrei­bungen der Werke erzählen wir, was aus den Künstlern geworden ist, einige wurden verfolgt, andere haben sich oder ihren Malstil angepasst“, so Ulrike Sbresny. Der Zweite Weltkrieg war schließ­lich auch das vorläu­fige Ende der Sammler­tä­tig­keit von Otto Ralfs, seine Kunst­werke gelten als kriegs- und nachkriegs­be­dingt verschollen.

Die Rückkehr ins Schloss

Die Gesell­schaft wollte von Anfang an nicht nur Sonder­aus­stel­lungen zeigen, sondern auch eine ständige Galerie anlegen. Dafür erwarb sie Kunst­werke und bekam Schen­kungen. Bei ihrer Auflösung übergab die Gesell­schaft dem Herzog­li­chen Museum 21 Werke, in der Hoffnung, dass sie dort dauerhaft bewahrt bleiben würden. Doch die Hoffnung erfüllte sich nicht, „Die Werke wurden zum großen Teil als „entartete Kunst“ von den Natio­nal­so­zia­listen beschlag­nahmt, heute wäre es eine wirklich hochka­rä­tige Sammlung“, bedauert Ulrike Sbresny. Das einzige Gemälde, das nach dem Krieg zurück­kehrte, ist „Neues Land“ von Karl Hofer, das heute als Dauer­leih­gabe im Herzog Anton Ulrich-Museum hängt. Nun kehrt es ins Schloss zurück und ist auch Plakat­motiv der Sonder­aus­stel­lung. Die Ausstel­lung wird unter anderem von der Stiftung Braun­schwei­gi­scher Kultur­be­sitz, der Braun­schwei­gi­schen Stiftung, der Richard Borek Stiftung, der Stiftung Nieder­sachsen und dem Fachbe­reich Kultur und Wissen­schaft der Stadt Braun­schweig gefördert.

Infor­ma­tion

Sonder­aus­stel­lung: Gesell­schaft der Freunde junger Kunst
26. September 2019 bis 30. August 2020

Schloss­mu­seum Braun­schweig
Schloss­platz 1
38100 Braun­schweig

Homepage: www.schlossmuseum-braunschweig.de, dort auch Infor­ma­tionen zu dem Begleit­pro­gramm zur Sonder­aus­stel­lung
Öffnungs­zeiten: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Mittwoch 13 bis 20 Uhr

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